Sage

Mahlzeiten in der Sage

Die poetische Schwierigkeit im Erfinden und Erzählen einer Sage besteht darin, das Tatsächliche mit dem Wunderbaren in Übereinstimmung zu bringen. Der Erzähler der Sage beginnt seinen Bericht nicht selten mit einer genauen Ortsangabe; Angaben zur Zeit des Geschehens oder Belege seiner Regelmäßigkeit unterstreichen, dass das Erzählte sich einmal zugetragen habe: "Im Jahr 1688 ging Christoph Patzeber von St. Michael nach Salurn in Verrichtungen". Weil aber das Erzählte in seinem Stoff so unglaublich vorkommt, wendet der Sagenerzähler zwei Kunstgriffe an: er führt, erstens, Gewährsleute an, deren Geltung nur begrenzt ist und durch die indirekte Rede zusätzlich begrenzt wird. Zweitens strebt er danach, im Rahmen des Wahrscheinlichen das Wunderbare so vor seiner Überprüfung zu schützen, dass es sich unbefragt auch weiterhin entfalten kann. Goldschubladen in den Wänden eines Stollens verschwinden, einmal geöffnet, für immer; Eingänge zu Zwergenhöhlen sind unauffindbar. Der wunderbare Weinkeller von Salurn (GRS I, 15: 36) ist unzugänglich, sobald er verraten ist. Der Held der Sage zeichnet sich im Gegensatz zum Märchenhelden selten durch eingängige Merkmale seines Verstands oder seiner Lebensart aus: im Gegenteil, oft handelt es sich um Figuren von bestürzender Alltäglichkeit. Dem Ringen um Glaubwürdigkeit ist es denn auch zuzuschreiben, wenn Sagen im Gegensatz zu vielen Märchen keine mehr oder minder deutliche Lehre bezwecken, wenn die Scheidung von Gut und Schlecht nicht ihr erstes Ziel ist. Die Vielfalt der Quellen, die den Grimms bei den Deutschen Sagen zur Hand war, macht es schwer, die Sage einem unzweifelbaren Scheidungsgrund zu unterwetrfen. Das Wunderbare, das als Fremdes in die geschichtlich erfahrene Wirklichkeit der Sage einbricht, nicht aber zur erzählten Welt selbstverständlich gehört wie im Märchen - es kommt reichlich in den oft örtlich gebundenen Volkssagen vor, fehlt aber in den Geschichtssagen des zweiten Bandes. Diese hingegen zeichnen sich mitunter aus durch eine Handlung, die sich im Gleichlauf mit biblischen Erzählungen befindet, diese spiegelt und als Gerüst übernimmt. Legendarisch sind die Züge einiger Erzählungen, die den Grimms nichtsdestoweniger in ihre Deutschen Sagen zu passen schienen: von der Genovefa von Brabant wird erzählt, sie habe sich selbst in der Wildnis von den Kräutern des waldes ernährt, ja, selbst nach ihrer Rettung habe sie diese vorgezogen. Ihre Kinder gleichwohl werden, bezeichnenderweise nach einer Anrufung Mariens, von einer Hindin gesäugt; ganz so, wie Romulus und Remus an einer Wölfin liegen (GRS II, 538: 491). Die sieben Kinder der Beatrix mit Oriant hingegen säugt eine weiße Geiß, die ungerufen herbeeilt (GRS II, 540: 497).

Das Gastmahl als Wendepunkt der Geschichte. In den Geschichtssagen erscheint zunächst der Hunger als die treibende Kraft der Völkerwanderung: er zwingt die Goten, bei wuchernden Römern für teures Silber, dann im Austausch gegen Sklaven und zuletzt die eigenen Söhne "Schaf- und Ochsenfleisch" zu erstehen, "ja selbst das Aas von Hunden und andern unreinen Tieren". Die Einladung zum Gastmahl soll den Goten Fridiger in die Falle locken, erreicht aber das Gegenteil: eine Volkserhebung (GRS II, 372: 338). Hunger habe auch zur Benennung der Goten als "Trullen" genannt, nach einem offenbar geringwertigen Hohlmaß der Vandalen (GRS II, 375: 340). Von Wilas wird erzählt, so rechnen die Grimms, dass er Ildebad beim Gastmahl das Schwert in den Nacken gehauen habe, "so daß seine Finger noch die Speise hielten, während sein abgeschnittenes Haupt auf den Tisch fiel und alle Gäste sich entsetzten." (GRS II, 285: Urajas und Ildebad, 344). Erkennbar wird hier schon die Dramatik, die der Gegenstand des Germanenmahls in der zeitgenössischen Malerei erfährt. Das Gastmahl ist der denkbar geeignetste Gegenstand der Historienmalerei. Bei Tisch sind die Handelnden der Geschichte auf engstwem Raum versammelt, hier ist der Meuchelmord besonders ruchlos, hier lassen sich Ruhe und Bewegung am schärfsten in einen Gegensatz bringen. Bei Tisch vollziehen sich jene Ränke, die in historischen Sagen zum Tod, Fall und Aufstieg der Geschichtsträger führen: bei Tisch schwört Kunimunds Tochter Rosimund Rache an Alboin, als er sie aus dem Schädel ihres Vaters Wein lässt (GRS II, 400: 353). Bischof Hatto von Mainz soll, so berichten es die Grimms (GRS II, 468: 418), mit einer Täuschung das Versprechen aufgehoben haben, dem Grafen Adalbert von Babenberg freies Geleit zu gewähren. Er spiegelt ihm Hunger vor und lässt sich in dessen Burg zum "Frühstück" einladen; damit sei, so folgert er bei der Hinrichtung des Grafen, das Versprechen bereits erfüllt. Auch den Anschlag auf Herzog Heinrich will Hatto mittels einer Einladung zur Tafel ins Werk setzen: von hinten soll Heinrich mit einer schweren Goldkette beim Essen erdrosselt werden. Bei Tisch wird auch Kaiser Ottos Truchsess erschlagen, nachdem er mit seinem Protokollstab den Zögling Heinrich von Kemptens erschlägt. Ursache der Bluttat ist ein Naschen vom Tisch des Kaisers, der selbst nicht zugegen ist:

Dieser schöne Jüngling kam von ungefähr vor die Tische gegangen, griff nach einem linden Brot mit seinen zarten weißen Händen, nahm es auf und wollte essen, wie alle Kinder sind, die gerne in hübsche Sachen beißen, wonach ihnen der Wille steht.

Heinrich von Kempten, der eine Züchtigung seines Schützlings von fremder Hand nicht duldet, fällt daraufhin in Ungnade (GRS II, 472: Otto mit dem Bart).

Wunderbare Festmähler. Die höfische Esskultur ist reich an Bezügen zur Geschichte der Musik und des Schauspiels. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Festumzüge und Tischdienst ins Überirdische gesteigert und einem namhaften Heiligen zum Verdienst ausgelegt werden wie in der Sageum Albertus Magnus und Kaiser Wilhelm (GRS II, 495: 439). Mitten im Winter des Jahres 1248, am Dreikönigstag, lädt der Gelehrte, so heißt es bei den Grimms, den "Kaiser Wilhelm von Holland" zu Gast. Dessen Räte empfehlen, die Einladung auszuschlagen; Wilhelm aber nimmt sie an, wundert sich zunächst über die "seltsame und widersinnige Anstalt", im schneebedeckten Klostergarten "etliche Tafeln" aufzustellen - dann aber findet er sich einen paradiesisch anmutenden Garten entrückt:

Indem der Kaiser samt Fürsten und Herren zur Tafel gesessen und die Speisen vorgetragen und aufgestellt sind, ist der Tag obenrab unversehens heiter und schön worden, aller Schnee zusehends abgegangen und gleich in einem Augenblick ein lustiger, lieblicher Sommertag erschienen. Laub und Gras sind augenscheinlich, desgleichen allerhand schöne Blumen aus dem Boden hervorgebrochen, die Bäume haben anfahen, zu blühen und gleich nach der Blüt ein jeder fein Frucht zu tragen; darauf allerhand Gevögel niedergefallen und den ganzen Ort mit lieblichem Gesang erfüllet; und hat die Hitze dermaßen überhandgenommen, daß fast männiglich der winterlichen Kleidung zum Teil sich entblößen müssen.

Die Bereitung der Speisen, die Ursache solch wunderbarer Umstände und die Herkunft der engelsgleichen Diener bleiben dunkel; das Mahl und der Sommertag schwinden so rasch, wie sie eraschienen.

Der vergiftete Trank. Vergiftete Tränke sind, wie man weiß, aus mehrerlei Gründen in der Erzählung ein gerne gebrauchtes Spannungsmittel. Sie sind dies vor allem deshalb, weil sie leicht zu umgehen sind, leicht beiseite gestellt werden: sie erreichen oft nicht den, dem ihr Gift gilt, töten auch den, der es anrührt oder anbietet. Gift wirkt langsam, kann entkräftet werden: weil sich die Wirklung verzögert einstellt, ist lange unsicher, ob der Anschlag geglückt ist. Ein überraschendes Aufwachen aus dem Giftschlaf oder eine unvermutet ausbleibende Wirkung vermag so manche neue Wendung ins Geschehen tragen. Die lange Geschichte des Gifttranks, die nicht erst bei Sokrates ansetzt, bietet einen reichen Schatz von Vorbildern: das Kreuz, dass der blinde Sabinus (GRS II, 387: 345) über dem vergifteten Kelch schlägt, den ihm ein missgünstiger Archidiaconus reicht, es erinnert sicher nicht zufällig an den heiligen Johannes. Der vergiftete Trank eignet sich aber auch als Werkzeug der poetischen Gerechtigkeit, lässt dem Vergifteten Zeit, sich am Giftmischer zu rächen: Rosimund, die bereits den Tod ihres ersten Mannes eingefädelt hat, reicht auch ihrem zweiten Ehemann Helmichis den Giftbecher: dieser zwingt sie, bereits vergiftet, den Becher selbst zu lehren (GRS II, 401: 354). Dem Grafen Otto soll dagegen eine im Wald erscheinende Jungfrau ein "künstlich und mit viel Zieraten gearbeitetes Horn" angeboten haben, das einen wundermächtigen Trank enthalte: er versprengt etwas von diesem Trank auf das Fell des Pferdes, dessen Haare sich daraufhin unmittelbar ablösen. Eine wie auch immer geartete Folge tritt nicht ein, sieht man davon ab, dass das Vorhandensein eines solchen Horns im Haus Oldenburg nun erklärbar ist.

Der Becher als Symbol der Eheschließung. Aus dem Faust kennt man dieses Motiv bereits: "Es war ein König in Thule / Gar treu bis an das Grab, / Dem sterbend seine Buhle / Einen goldenen Becher gab." Der goldene Becher siegelt aber nicht allein den Ausgang einer Ehe, er besiegelt vorrangig deren Anbahnung. Der Langobardenkönig Authari, der seiner künftigen Frau Theodelind unerkannt am bairischen Hof gegenübertritt, wird von der Amme als rechtmäßiger Bräutigam erkannt, weil er es wagt, mit dem kleinen Finger beim Entgegennehmen des Bechers die Hand der Königstochter zu berühren (GRS II, 402: 355). Einen Becher mit Wein reicht Theodelind auch ihrem nächsten Gemahl Agilulf (GRS II, 404: 357). Es ist daher auch kein Zufall, wenn der Möringer aus der bekannten Sage (GRS II, 529: 474) nach Jahren in der Fremde durch seinen Siegelring, versenkt in einem Becher Wein, der treu gebliebenen Gräfin seine Rückkehr anzeigt, gleichsam, als solle der unterbrochene Ehebund gleich mit der Entdeckung wieder aufgenommen werden. Ohne dass es zur Aufklärung kommt, lässt Graf Hubert von Calw (GRS II, 530: 476) seinen Ring in einen Weinkrug fallen, den er bei der Hochzeit seiner Frau als armer Pilger zum Almosen erhält.

Der Wein als Wirker von Geschichte. Ohne von den üblichen Vorwürfen begleitet zu sein, gestaltet der Wein in der Geschichtssage den Handlungsverlauf. Er berauscht, durchbricht den vernünftigen Gang des diplomatischen Verkehrs und ermöglicht so erst die Verwicklungen, die der Geschichtsdichtung zum Stoff dienen. Der Rausch als geschichtsmächtiger "Umstand" tötet den Johannes durch den Pfeil des betrunkenen Uliares, der Wandalenfürst Gelimer kann seinem byzantinischen Verfolger Belisar entkommen, die Sage kann weitererzählt werden (GRS II, 376: Sage von Gelimer, 340). Wein erscheint, hier und auch vielerorts sonst, als Mittel des unvernünftigen Schicksals, das der Erzählung zu ihrem Recht erstverhilft: ginge alles den unvermeidlichen Gang der Verhandlung, dann wäre die Geschichtsdichtung überflüssig: dann bliebe zwischen den gegen einander handelnden Kräften ein ewiges Gleichgewicht, plötzliche Wendungen, die nicht durch List herbeigeführt werden, sind dann unmöglich. Dann wäre die Erzählung ohne jede Spannung und liefe zielstrebig dem angezielten Endzweck entgegen.

Wie Helden essen. Helden haben bei Tisch wenig Gelegenheit, ihren Heldenmut zum Ausdruck zu bringen: ein übermäßiger Genuß von Wein und Speise rückt bedenklich in die Nähe der Völlerei. Will der Erzähler der Sage die Leibeskraft eines Helden vorstellen und dennoch die guten Sitten nicht außer Kraft setzen, dann bedarf es einer besonderen Erfindung. In jenen Lagen, da sich der Held nicht namentlich und nicht wappenmäßig zu erkennen gibt, ist er an seinem Verzehr leicht zu erkennen. Der Lombarde Adelgis, der sich an die Tafel Karls des Großen schleicht, bedient sich eines besonderen Kniffs, um dem Franken seine Anwesenheit erst im Nachhinein zu verraten. Einem der Diener, die dem Frankenkönig bei Tisch aufwarten, gibt er auf, dass alle Knochen während eines Gastmahls ihm vorgelegt würden:

Als nun das Mahl gehalten wurde, so tat er allerdings so und legte die Knochen vor Adelgis, der sie zerbrach und gleich einem hungrigen Löwen das Mark daraus aß. Die Splitter warf er unter den Tisch und machte einen Haufen zusammen. Dann stand er früher als dir andern auf und ging fort. Der König, wie er die Tafel aufgehoben hatte, und die Menge Knochen unter dem Tisch erblickte, fragte: "Welcher Gast hat so viele Knochen zerbrochen?" Alle antworteten, sie wüßten es nicht; einer aber fügte hinzu: "Es saß hier ein starker Degen, der brach alle Hirsch-, Bären und Ochsenknochen auf, als wären es Hanfstengel."

An der Gewaltsamkeit seiner Tischsitten wird Adelgis schließlich erkannt, Karl ordnet die Verfolgung an. Das verzehrte Edelwild, Bär, Hirsch und Ochs, ist zugleich ein Nachbild der erschlagenen Feinde, die er löwengleich "mit einer Eisenstange" beim Einbruch der Franken getötet haben soll (GRS II, 449: 397).

Speisen als Mahnmale: Speisen rufen zur Besinnung. Gelegentlich vermögen Speisen nicht aufgrund ihrer Symbolkraft, sondern aufgrund schierer Ähnllichkeit Handlungswenden mit handelnden Figuren herbeiführen. So lässt sich Theoderich, der Westgotenkönig, "den Kopf eines großen Fisches" servieren. Dieser Fisch, als Christussymbolik für eine solche Täuschung denkbar geeignet, scheint dem Goten nun "der Kopf des enthaupteten Symmachus zu sein, wie er die Zähne in die Unterlippe biß und mit verdrehten Augen drohend achaute." Erinnert fühlen mag man sich durch diese Darstellung auch an die Köpfung Johannes des Täufers, dessen Haupt den Mächtigen um Herodes ebenfalls in einer Schüssel vorgeführt wird (GRS II, 383: 383). Ähnliches widerfährt der Wendilgart , Witwe des Grafen zu Buchhorn, die sich ins Kloster zurückzieht. Als Anzeichen, dass ihr Adel der Heilwerdung noch im Wege stehe, erzählt die Sage von der Vorliebe der Edelfrau für süße Äpfel. Die Klosterfrau Wiborad sagt ihr Äpfel zu, "wie sie arme Leute essen", und lässt sie den sprichwörtlich sauren Apfel, in einen Holzapfel beißen: "sie schmeckten so herb, daß sie ihr den Mund zusammenzogen". Den Hinweis, einen solchen Apfel hätte Eva sicher verschmäht, wendet die Nonne so, dass sie Evas Neigung zum Süßen zur Ursache des Sündenfalls macht: "Mit Recht führst du Even an ... , denn sie gelüstete gleich dir nach süßer Speise." Wendilgart besinnt sich also eines Besseren und "entwöhnt sich aller Süßigkeiten", führt fürderhin ein rundum tadelloses Leben.

Das verspeiste Herz. Im Märchen wird der Verzehr von menschlichen Innereien nur angedeutet, von Leber, Herz und Niere; im griechischen Mythos isst Demeter gedankenverloren ein Stück von der Schulter des Pelops, den Tantalos den Göttern als Festbraten vorsetzt. Das Herz als Sitz der feineren Leidenschaften, dem Magen als Sitz des Mutes und der Leber als Sitz der Lebenskraft beigeordnet, wird verschiedentlich entfernt, wie in der Ballade von Archibald Douglas umhergetragen, mitunter verspeist. In der Sage vom Brennberger (GRS II, 506: 450). wird der fahrende Minnesänger vom Gemahl der in hoher Minne verehrten Herrin geköpft; "das Herz aber gebot der Herr auszuschneiden und zu kochen." Die Edelfrau verspeist "mit ihrem roten Mund" unwissentlich das Herz ihres Minnegesellen. Darüber aufgeklärt, verweigert sie jede Nahrung und stirbt nach einer Frist von Tagen. Verspeist werden soll auch ein Knabe in Thüringen; allein, durch "Gottes Erbarmen" erblickt der Vater, der das Schwert bereits gezückt hat, zwei Wölfe über dem Aas einer Hirschkuh. Diese Fleischspende erinnert wohl nicht von ungefähr an die Darbringung des Isaak, wie der Widder ist auch die Hindin ein Botentier Gottes. Aus reiner Neugier verlangt der durch seinen Reichtum hochmütigen Herzog die Schlachtung eines Knaben, "ihn gelüste zu schmecken, wie gut Menschenfleisch schmecke." Der Knabe wird in der Tat serviert, beim Anblick des Fleisches jedoch entsetzt sich der Herzog so sehr, dass er zur Sühne zwei Klöster im Schwarzwald errichten lässt (GRS II, 527: 472). Um menschliches Fleisch wird in der Ursprungssage gelost, die auf abenteuerlichem Wege den Beinamen Heinrichs des Löwen erklären soll: Heinrich und seinen letzten Gefolgsmann überfällt auf einem Kriegszug so sehr der Hunger, dass man üereinkommt, durch Los ein Opfer zu bestimmen: Heinrich zieht den kürzeren, wird aber durch einen rettenden Einfall seines Knechts vom drohenden Verzehr erlöst (GRS II, 526: 467).

Das Motiv der unbegrenzt vorhaltenden Speise. In Bergarbeitersagen ist neben der Ölspende die Brotspende ein nicht allzu seltenes Motiv. Vom Kuttenberg berichten die Grimms (GRS I, 1: 26), dass Bergarbeiter sieben Jahre unter Tage eingeschlossen von ihren kargen vorräten hätten zehren können: "Also geschah es, daß ihr Licht sieben Jahre brannte, und ihr kleines bißchen Brot, von dem sie täglich aßen, ward auch nicht all, sondern blieb ebenso groß, und sie meinten, die sieben Jahre wäre nur ein Tag." Unbegrenzt hält auch der Wein im Salurner Weinkeller vor, zudem schmeckt er als Wunderwein besser als jeder wirkliche Wein und ist kostenlos: "Er kostete das Getränk und fand es von solchem herrlichen Geschmack, als er zeitlebens nicht über seine Zunge gebracht hatte.[...] dieser Trunk, der einer kaiserlichen Tafel wohlgestanden hätte, kostete ihn keinen Heller." Ein unausgesprochenes Schweigegebot ist über diesen Vorgang verhängt; einmal gebrochen, führt es den Tod des einzigen Zeugen herbei, und die wunderbare Begebenheit ist nicht mehr zu wiederholen. Schlosskeller mit übergroßen Weinfässern, die unmittelbar nach ihrer Entdeckung für immer unauffindbar bleiben - darüber berichtet so manche Sage. Vom Helfenstein wird das Folgende erzählt (GRS I, 107: 121): eine junge Magd und einige Kinder, Unmündige also, entdecken ein unterirdisches Gelass und treten ein. Hinter einer Vorhalle entdecken sie

[...] besonders ein ein groß zehneimerig Faß Wein, davon waren die meisten Dauben abgefallen; allein es hatte sich eine fingersdicke Haut angesetzt, so daß der Wein nicht herauslaufen konnte. Als sie es alle vier mit Händen angriffen, schlotterte es und gab nach wie ein Ei mit weichen Schalen.

Das Fass deutet hier voraus auf das unwirkliche Geschehen, das seiner Entdeckung folgt: ein Fass ohne Dauben, ein Geist ohne feste Hülle, ein Ding der Unmöglichkeit. So wundert es nicht, dass der Mundschenk überdies einen roten Federbusch auf dem Hut trägt: der Wein, den er aus dem gespenstischen Fass zapft, ist - so folgert die Entdeckergruppe - nicht zu menschlichem Genuss geeignet.

Magische Mahlzeiten: der gebannte Liebhaber. In einem freieren Sinn geht in der Volkssage gelegentlich die Liebe durch den Magen. Als Küchenzauber der unverheirateten Frauen zwingt ein gedeckter Tisch oder eine Mahlzeit den erhofften Freier in der Andreasnacht, der Thomasnacht, der Christnacht und der Neujahrsnacht herbei. Vorweggenommen wird damit, was der Zauber erst erzielen soll: die Gemeinschaft des Tischs und dann auch des Betts. Bei den Grimms (GRS I, 115: 125) verstört die Bermerkung, beim Tischzauber seien die Gabeln wegzulassen - soll ausgeschlossen werden, dass der Teufel sich einstellt? Frühe Einwände gegen die Gabel als Essbesteck führen diese unheilvolle Beziehung ins Feld. Aus Saalfeld stammt die Sage, der Schreiber sei des Nachts durch eine Steuereinnehmerin herbeigezwungen worden: "Durch Zauber aber wollte sie ihn gewinnen, ließ ein frisches Brot backen und steckte mitten in der heiligen Christnacht zwei Messer hinein, indem sie etliche Worte dazu murmelte." Der Zauber tut seine Wirkung, wie andere beschworene Liebhaber wirft er der Frau die beiden Messer hinterher. Dasselbe widerfährt "einigen Edeljungfrauen" die mit "neunerlei Essen" ihre Künftigen herbeizaubern (GRS I, 116: 126): auch sie werden mit Messern beworfen. In der Christnacht, berichten die Grimms weiter (GRS I, 117: 127) gingen "abergläubische Mägde" mit einer Rinde von einer Semmel unter dem Arm "fleißig" umher, "frühe des Tags vor dem Heiligen Abend" gekauft, vom "letzte[n] Stößchen". Diese Kruste verhelfe dazu, vom Geliebten zu träumen; eine nachgeschobene Erzählung berichtet, ein "Weibsbild" habe in ihrer Semmelrinde ein hineingefressenes Kreuz gefunden und einen Soldaten geheiratet. Weniger harmlos sind die Verfehlungen, die eine Sage Berliner Frauen unterstellt: durch das Aufkochen eines zerstückelten Nachbarskind sollen sie den Frost herbeigerufen haben; als verderbliche Zauberei, als "schimpflich Gaukelstück", wird das Kunststück eines Gauklers dargestellt, der einer Runde von Zechern weisgemacht haben soll, anstelle der Nase des Tischnachbarn eine saftige Weintraube in der Hand gehalten zu haben, die man sich eben vom Trauben zu schneiden bemüht (GRS I, 253: 222).

Begabung durch Unirdische. Eine Begabung durch Zwerge oder andere Schicksalsfiguren ist aus dem Mythos bekannt, man findet sie im Märchen und schließlich auch in der Sage. Mit der Lösung einer Aufgabe befasst erhält der Haupthandelnde von überirdischen Schutzmächten das Werkzeug, das ihn die Prüfung erfolgreich bestehen lässt. Diese Begabung ist in der Sage selten so gut begründet wie im Märchen, selten auf ein klar erkennbares Erzählziel bezogen. Eher veranschaulicht eine solche Begabung die Launen des Schicksals, die freigiebig allerhand wunderbare Tafelbestecke und Speisen austeilt, ohne dass zuvor eine Gesinnungsprobe hätte stattfinden müssen. Zu guter und verschwiegener Nutzung ist dieses magische Gerät zuhanden, wird es Dritten bekannt, dann verschwindet es, wird zerstört oder verliert seine Zauberkraft. Krüge oder Teller, magisches Brot und dergleichen versinnbildlichen im Gegensatz zum Geld, das Wohlstand verheißt, das leibliche Wohlleben. Ein gewisser Winkelmann (GRS, I, 43) berichtet von einem "hundertjährigen Krugwirt", so zumindest verzeichnen es die Grimms, der von einem "Erdmännlein" im Rahmen eines offenbar lang gewohnten Tauschhandels zwischen Männchen und Menschen den Bierkrug hinterlässt, mit dem es gegen unbekannte Währung das Bier der Berganwohner abschöpft. Dieser Krug nun verheißt reichlich Nahrung, solange er heil bleibt. Selbstverständlich zerbricht er, und die Verhältnisse. Sofern die Sage von den Osenberger Zwergen wie die meisten solcher Erzählungen erklärend ist, dann mag sie undeutlich verstandene Bedingungen des Wirtschaftens einfassen: solange das Maß des Kruges gewahrt bleibt, solange man das Überkommene bewahrt und die Hausgemeinschaft schützt, solange herrscht eitel Sonnenschein auch im Betrieb. Eine sprechende Schlange, der ein Hirtenmädchen zur Linderung ihrer Schmerzen den Milchkrug reicht, vergilt es ihr, indem sie ihr am Hochzeitstag eine goldene Krone reicht (GRS I, 221: 201). Im Hochgebirge wird, sofern es die Sage angeht, von mildtätigen Zwergen berichtet, die den Beerensammlern, spielenden Kindern und den hungernden Hirten verschiedene Gaben darbringen: arme Kinder finden "Näpfe mit Milch" oder "Körbchen mit Beeren"; Hirten, die den aufsteigenden Nebel als Dämpfe aus der Zwergenküche wahrnehmen, werden auf einem plötzlich erscheinenden Gedeck mit Kuchen verköstigt (GRS I, 299: 248). Besonders häufig jedoch ist eine Speise, die in der menschlichen Kultur auch des Alpenlandes nicht vorkommt: der Gämsenkäse. Diesen Gämsenkäse stellen die sagenhaften Bergmännchen der Schweiz aus Gämsenmilch her, und solche Käse wachsen wunderbarerweise solange nach, "bis man sie unvorsichtigerweise völlig und auf einmal, ohne Reste zu lassen, verzehrt." (GRS I; 299: 248). Eine weitere alpenländische Sage berichtet, das eherne Gesetz des gebrochenen Verbots ins Bild setzend, dass ein Jäger von einem Zwerg angehalten worden sei, die Gämsen künftig zu verschonen. Als Ausgleich wird ein allwöchentlicher Ziegenbock geboten oder, ja nach Fassung, ein "Gemskäslein"; der Jäger lässt das Jagen nicht und endet in der Fluh (GRS I, 302: 249-250). Legendarische Züge hat dagegen eine Sage, die einen armen Krämer im Böhmerwald sein Brot mit einer Maus teilen lässt, die ihn danach zu einem Goldversteck führt (GRS I, 333: 271).

Verbotene Speisen. Außer den willig dargebotenen sind, soweit es die Sage angeht, die Speisen der Zwerge mit einem Verbot belegt, das nicht, wie im Märchen, zur Durchbrechung reizt oder eine Gesinnungsprobe einschließt. Von den Speisen der Unterirdischen, erneut spekuliere ich, ist deshalb nicht zu kosten, weil damit die notwendige Trennung von Wunderbarem und Tatsächlichem aufgehoben wäre. Solange Innen und Außen sich nicht vermengen, solange also das Fremde außerhalb des eigenen Leibes gehalten wird, solange kann es sich spurlos zurückziehen. Die Ahnfrau von Ranzau (GRS I, 40: 55, vgl. auch GRS I, 68: 76) wird in einen hohlen Berg geführt, wo eine kreißende Bergfrau ihrer Hebammendienste bedarf. Diese verrichtet sie; zum Lohn wird sie vorbeian verbotenen Speisen , die man ihr vorhält, in den Berg geführt und erhält verschiedene Gegenstände, die über Wohl und Wehe des Geschlechts auskunft geben. Lässt sich die Versuchung durch jene "köstlichsten Speisen" als klug versteckte Sippenlehre verstehen? Soll das Geschlecht, in ihrem Spitzenahn vermenschlicht, in der Ahnfrau, von übermäßigem Genuss zurückstehen? Auch hier liegt Eindeutigkeit, wie sie die lehrhafte Dichtung erfordert, der genealogischen Sage fern. Ohnehin ist schwer auszumachen, wie für den eigenartigen Zusammenhang zwischen Niederkunft und Festmählern der kleinen Leute aufzukommen ist: so finden sich bei der in den Wochen liegenden Frau von Bonikau (GRS I, 70: 78) eine Festgemeinschaft von Erdmännchen ein, die sich um ein "klein Tischchen" mit "viel Schüsseln darauf" versammelt.

Verboten sind auch die Speisen, die während eines Geistermahls gereicht werden: mehrere Sagen, auch einige Volksballaden, berichten von solchen Festmählern, ausgerichtet von Teufeln oder Geistern. Ein Metzger, der einem Kutschgeleise folgt und in eine solche Gesellschaft gerät, wird erst die Kommunion gereicht. Das Gegenstück einer Kommunion erblickt er, sobald er "einen Saal" erblickt, "wo große Gesellschaft um einen Tisch sitzt, in lautem Lärmen und Schreien ein Mahl verzehrend." Ein Krug Wein wird gereicht: zweimal widersteht der Metzger, beim dritten Mal trinkt er. Offenbar, weil er dieser verkehrten Kommunion beiwohnt und der Versuchung nicht widersteht, lässt ihn die Sage büßen: binnen dreier Tage ist er tot (GRS I, 279: 236). Binnen dreier Tage stirbt auch ein Wirt, der im Weinrausch und von Weinhändlern beschwatzt gehenkte Diebe vom Galgen zum Gastmahl lädt: die stellen sich denn auch tatsächlich ein (GRS I, 336: 275). Ein ausführliches Geistermahl berichten die Grimms in der Sage von Ritter Ulrich, Dienstmann zu Wirtenberg (GRS II, 533: 479). Hier versammelt sich die tausendköpfige Festgemeinschaft nicht um einen Tisch, sondern auf dem Rasen in einer Burgumfriedung:

Darauf saßen sie je zwei, Ritter und Frauen, zusammen auf das grüne Gras; denn es waren keine Stühle vorhanden; jene elende Frau saß ganz allein am Ende und niemand achtete ihrer. Goldne Gefäße wurden aufgetragen, Wildbret und Fische, die edelsten Speisen, die man erdenken konnte, weiße Semmel und Brot; Schenken gingen und füllten die Becher mit kühlem Wein.

Wildpret und Fische unterliegen den Privilegien des Adels, auch das weiße Weizenbrot hebt hervor, dass die Gesellschaft adelig, die Gäste durchweg nicht von schlechten (einfachen) Eltern sind. Der Geruch der Speisen lässt Ulrich nach dem gebratenen Fisch greifen, obgleich seine Tischdame, die allein sitzende, ihm jede Beteiligung am Mahl streng verboten hat. Die Verführung steigert sich in der Rangfolge der Ritterlichkeit: das Essen schon verbrennt Ulrich die Finger, erst das auf dem Handrücken eingeschittene Kreuz vermag den Brand aufzuhalten. Danach widersteht er der Verführung, sich im ritterlichen Zweikampf im Turnier zu messen. Dem Minnegruß der tanzenden Tischdame vermag er erneut nicht zu widerstehen und stützt nach einer flüchtigen Berührung tot zu Boden; allein, seine Begleiterin heilt ihn mittels eines unbekannten Heilkrauts. Eine ebenfalls düstere Tischgesellschaft erlebt auch Freiherr Albrecht von Simmern in einer stofflich verwandten Sage (GRS II, 532: 482) den Freiherr jedoch verführt das "wunderköstliche silberne Tafelgeschirr" keineswegs, "darin die Speisen auf- und abgetragen wurden". Das geisterhafte Speiseverbot wird nur mittelbar spürbar: der Freiherr und sein Anderweltführer, ein Bote Gottes, schützen nur vor, die Mahlzeit zu teilen. Das Geistermahl bebildert die Sünden der Vergangenheit einem gegenwärtigen Menschen, um ihn zu gottgefälligem Lebenswandel zu bewegen: als Gastmahl erscheint die Schau deshalb, weil sich in ihr der ganze Hofstaat wiederfindet, weil sie die Gesellschaft für Turnier und Liebe, für Hoffahrt und Wollust rüstet. Bilder geisterhaften Prassens wirken besonders eindringlich als Mahnungen, wo Kirchenleute zeuchend und schlemmend über alle Stränge schlagen: der Komtur auf Christburg befielt, als er ins Feld reitet, das Kloster dem Chorherrn "und allen Teufeln" (GRS II, 536: 486). Diese führen dann auch tagtäglich Regiment, und den Ordensleuten füllen sich die Schüsseln mit Blut. Ein Bürger von Christburg, ein Schmied, der Jahre später bei diesem Spukschloss anlangt, erhält eine gespenstische Führung durch einen untoten Ordensmann: Würfelspiel, Fluchen, "Fressen und Saufen", Tanz, "Unzucht und Schande", all die dem Ordensstand unangemessenen Laster werden ihm allegorisch an geeigneten Orten im Schloss vorgeführt. Diese Anordnung macht ganz den Eindruck, als sei sie im Sinne der Gedächtniskunst als einprägende Merkhilfe gedacht: in dieser Sage spiegeln sich Überlieferungen, die von dunklen Machenschaften der Deutschordensritter erzählen und so deren geschichtlichen Untergang begründen.

Wilde Leute essen? Vom wilden Jäger wird an anderer Stelle (GRS, I, 48: 61) berichtet, dass er die rätselhaften Moosleute jage: ein Bauer soll ihm vorwitzigerweise mit seinem Geschrei beim Jagen geholfen haben und dafür im Pferdestall "vor der Tür ein Viertel eines grünen Moosweibchens aufgefunden haben". Der Edelmann von Watzdorf rät ihm, das Fleisch nicht anzurühren - in der Tat ist es tags darauf verschwunden. Bilden der wilde Jäger und die Moosleute ein vergessenes Jagdrecht ab, ist die Teilnahme an der Jagd also Jagdfrevel und das Verbot Ausdruck eines Banns gegen die Wildbeuter? Nimmt daher der Edelmann sein Wissen über Wohl und Wehe des Bauern?

Das Motiv der Leihe von Unirdischen. Zwischen Menschen und dem kleinen Volk zeichnet sich in zahltreichen Sagen ein reger Leihverkehr ab. Geliehen und geborgt werden gerade auch Speisen und Getränke, all das, was zur Bereitung eines Mahls notwendig ist. So wird berichtet (GRS I, 33), dass sich in der Nähe Aachens ein Berg erhebe, "dessen Bewohner zu ihren Hochzeiten von den Städtern Kessel, eherne Töpfe, Schüssel und Bratspieß entlehnen, hermals richtig wiederbringen." Eine solche Zwergenleihe berichtet auch der Pfarrer Hedler, den die Grimms zum Gewährsmann aufbauen: im Wald zwischen Selbitz und Marlsreuth liege das inzwischen verlassene Zwergenloch, in desssen Nähe "Hans Kohmann, dreiundsechzig Jahre alt und 1679 gestorben" eine Zwergenfrau antrifft:

"[...] Kohmanns Großvater habe einst auf seinem bei diesem Loch gelegenen Acker geackert und sein Weib ihm frischggebackenes Brot zum Frühstück aufs Feld gebracht und in ein Tüchlein am Rain hingelegt. Bald sei ein Zwergenweiblein gegangen kommen und habe den Ackermann um sein Brot angesprochen: ihr Brot sei eben auch im backofen, aber ihre hungrigen Kinder könnten nicht darauf warten, und sie wolle es ihnen mittags von dem ihrigen erstatten. Der Großvater habe eingewilligt, auf den Mittag sei sie wiedergekommen, habe ein sehr weißes Tüchlein gebreitet und darauf einen noch warmen Laib gelegt, neben vielen Danksagungen und Bitte, er möge ohne Scheu das Brot essen, und das Tuch wolle sie schon wieder abholen."

Auch um die "Zwerglöcher" im Harz habe ein solcher Leihtausch stattgefunden. Zwerge hätten ihr Geschirr vor den Höhleneingang gestellt, die Bürger und Bauern der nahgelegenen Dörfer die Leihgabe entgegengenommen und, versehen mit etwas Speise, nach einigen Tagen zurückgebracht (GRS I, 303: 250). Einen regen Handel zwischen Menschen und Unirdischen berichten zahlreiche Sagen, die sich mit Wasserleuten und Nixen befassen. Verschiedentlich (GRS I, 53: 66 u. 60: 70) betreten Wassergeister, in der Sage zu erkennen an einem nassen Rockzipfel, den Fleischer- oder Wochenmarkt, um dort Fleisch einzukaufen, von der Bevölkerung offenbar geduldet. Gegen Übergriffe könne man sich mit wildem Majoran ("Dost", oreganum vulgare) und weißem Andorn ("Dorant", marrubium vulgare L.) schützen, ersteres ein Liebeskraut, letzteres ein Wöchnerinnenkraut, beide Heilmittel gegen Erkrankungen der Luftrühre und der Lunge. Dient die Sage, dient der eingelagerte Reim nur dem Zweck, die beiden Kräuter in einen Zusammenhang mit dem Wasser zu bringen, ihre Wirkung auch gegen Entzündungen zu erläutern? Jedenfalls ist es jeweils der Nix als Vertreter des Bösen, der glaubwürdig die Magie der Kräuter anreimt: "'Heb auf dein Gewand, / daß du nicht fällst in Dosten und Dorant'". Von einer salzlosen Kost berichtet jene Magd, die nach Praetorius, dem bevorzugten Gewährsmann der Grimms, bei einem Nix gedient hat (GRS I, 67: 75).

Essen als Wegweiser. Aus den Kinder- und Hausmärchen ist das Motiv bereits bekannt: Brotkrumen sollen Verirrten den Weg weisen, Erbsen, Linsen oder Bohnen haben dieselbe Wirkung. Von Nusskernen schließlich werden "zwei junge Burschen" von einer Unterirdischen, dem "Fräulein von Willberg" zu einer Schatzkammer geführt, die als "alte Küche" neben einem Geldschatz auch "altes Kochgerät" vorhält. Ohnehin pflegt der Gang nach Beeren und Brennholz im Wunderbaren zu enden: Zwergenschächte werden entdeckt, Keller mit Gold aufgefunden.

Das Motiv der Beschwörung von Unirdischen. Zahlreiche Sagen berichten, dass eine bestimmte Speise in bestimmter Zurichtung einen Unterirdischen herbeilocke. Es ist möglich, dass solche Erzählungen vor- oder außerchristliche Rituale vor allem der Bergleute mittragen, die den Naturgeistern gewidmet waren und Libation und Brotopfer vorgesehen haben mögen. Das allerdings ist Spekulation. In Idria, heißt es bei den Grimms, stelle man den "Wichtlein oder Bergmännlein" "täglich ein Töpflein mit Speise an einen besonderen Ort". Von einer regelrechten Beschwörung durch Speisen berichten die Grimms aus Nürnberg:

Zu Nürnberg ist einer gewesen, mit Namen Paul Creuz, der eine wunderbare Beschwörung gebraucht hat. In einem gewisen Plan hat er ein neues Tischlein gesetzt, ein weißes Tuch daraufgedeckt, zwei Milchschüßlein draufgesetzt, ferner zwei Honigschüßlein, zwei Tellerchen und neun Messerchen. Weiter hat er eine schwarze Henne genommen und sie über einer Kohlpfanne zerrissen, so daß das Blut in das Essen hineingetropft ist.

Der Ablauf der Beschwörung, die Auswahl der Speisen, der sorgsam zubereitete Altar: vieles weist darauf hin, dass der genannte Schwarzkünstler ein außerchristliches Ritual durchführt, das im Verlauf der Sage keineswegs beanstandet wird. Das Zerreißen einer schwarzen Henne oder eines anderen Wesens gehört festen Ritus der Beschwörung, ebenso wie die Darbietung von Milch und Honig: auch die Ausrichtung des nun folgenden Vergießungsopfers nach Osten und Westen, "gegen Morgen" und "gegen Abend" gehört in diesen Zusammenhang. Unirdische werden mehrheitlich durch ein Opfer, durch die Mitteilung von Speisen als Schutzmächte gewonnen. Unirdische, Zwerge und Riesen, gehorchen einer Erzähllogik, die strenge Folgerichtigkeit vorsieht: ist das eine geschehen, dann ist das zweite nicht zu vermeiden; tritt jedoch ein überraschendes Ereignis ein, das sich in seiner Besonderheit nicht erklären lässt, dann wird es als Folge eines wissentlich oder unwissentlich geschlossenen Bundes gedeutet. Dieses Denken in Ursache und Wirkung liegt auch vielen jener Schutzregeln zugrunde, die in Gebieten besonderer Gefahr beachtet werden; Zeiten der Ruhe werden auf eine strenge Einhaltung der Rituale zurückgeführt, und tritt ein besonderes Unglück oder Glück ein, dann ist überirdisches Walten im Gange. Der Hunger der Zwerge ist denn auch gering: wie das Trankopfer, das etwa bei den alten Mongolen nur wenige Tropfen Stutenmilch kostet, ist die Zwergenmahlzeit auf das Folgende beschränkt: "ein paar Tropfen Milch", "Brosamen von Brot und Käse". Auch von Kobolden berichtet die Sage (GRS I, 72: 79), dass ihnen "täglich um eine gewisse Zeit und an einem gewissen Ort im Haus" ein "Schüsselchen voll gutes Essen" serviert werden muss, um sie als nützliche Wirtschaftskraft im Haus zu erhalten. Um die Hausgemeinschaft auf die Probe zu stellen, heißt es weiter, verunreinigen jene zwiespältigen Hausgeister die Milch mit Kot: dass sie weiterhin getrunken werde, darauf habe das Haupt der Wirtschaft zu achten. Wird diese Regel der einfachen Leute von Gebildeten gebrochen, dann haben sie Schlimmes zu befürchten: ein hungriger Student, der die Speisen und das Bier verzehrt, die ein Müller seinem Mühlkobold zurückstellt hat, wird grausam verprügelt (GRS I, 74: 82). Ohnehin scheinen Kobolde dem häuslichen Bereich und den geringeren Angwestellten zugerechnet zu werden, da es nach dem Bericht der Sage mit Mägden und Köchen umgeht. Es müsste also nicht überraschen, wenn derlei Sagen auch als Unterweisung des Personals vorgetragen werden: die säumige Magd bringt Unheil über das Haus; genaue und fraglose Befolgung der häuslichen Pflichten stellt den Hausgeist zufrieden. Als Schreckgeschichte in der Ausbildung von Küchengehilfen und zur Warnung nachlässiger Lehrmeister könnte die Sage von Hütchen gedient haben GRS I, 75, S. 83). Der Kobold wird vom Küchenjungen verspottet und rächt sich:

Nicht lange darauf saß der Junge nach dem Abendessen allein in der Küche und war vor Müdigkeit eingeschlafen; da kam der Geist, erwürgte ihn und zerhackte ihn in kleine Stücke. Dann warf er selbige vollends in einen großen Kessel und setzt ihn ans Feuer. Als der Küchenmeister kam und in dem Kessel Menschenglieder kochen sah, auch aus den übrigen Umständen merkte, daß der Geist ein fremdes Gericht zurichten wolle, fing er an, ihn greulich zu schelten und zu fluchen. Hütchen, darüber noch heftiger erbittert, kam und zerdrückte über alle Braten, die für den Bischof und dessen Hofleute am Spieße zum Feuer gebracht waren, abscheuliche Kröten, also daß sie von Gift und Blut träufelten.

Aus Pommern wird eine solche Begebenheit vom Poltergeist Chimmeke erzählt:: der Küchenjunge hat die Milch verzehrt, die dem Poltergeist zugedacht war (GRS I, 274: 234). Der Hausgeist bleibt dem Hausherrn verborgen, offenbart sich nur den Kindern, Frauen und Mägden. Als Vertreter der Küche gegen das Herrenzimmer ist etwa Hinzelmann (GRS I, 76: 87) ein Symbol einer ausgleichenden Ordnung, die es erlaubt, Ungeschicklichkeiten und Zufälle zu erklären, ohne dass die Angestellten belangt würden: er ist das verkörperte Glück oder Unglück eines Hauses, das von Frauen und weiblichen Angestellten getragen wird. Als nächtlicher Trickster, der vorzugsweise zum Essen erscheint und eine eigene Kammer bewohnt, erinnert er an das Tier, in dessen Gestalt er vorzugsweise erscheint: an den Marder. Er wird von der Köchin miternährt, in seiner Kammer steht Brot, eingebrockt in ein Schälchen Milch. Ein mit Milch gefütterter Stier soll denn auch in der bäuerlichen Ursprungssage des Stierenbachs ein Gespensterlamm vertreiben (GRS I, 143: 148). Die Rolle der Milch für die in sagen berichtete Zauberei ist kaum abzuschätzen: in der Sage vom Brutpfennig (GRS I, 87: 108) ist sie erneut mit Weißbrot anzudicken. Eine Magd soll im Auftrag ihrer Herrin, einer Hexe, diese Milchsuppe in eine vorher bezeichnete Kiste stellen; anstelle die Milch weisungsgerecht erst nach dem Melken auszuschenken tritt sie mit der heißen Milch an die Kiste, in der sich überraschenderweise ein schwarzes Kalb befindet. Sie verbrüht das Kalb, das Kalb flieht und setzt das Haus in Brand. Auch diebische Unirdische werden in den Deutschen Sagen gelegentlich erwähnt (GRS I, 154: 157-158, 156: 159): gestohlen werden Brote oder Erbsen.

Missbrauch von Speisen wird gelegentlich im Märchen gegeißelt, aber auch Sagen haben sich dieser Erscheinung angenommen und verurteilen sie als Ausfluss einer tadelwürdigen Überheblichkeit. Wird besonders die Heiligkeit der Grundlebensmittel geschändet, Brot, Käse und Milch, schlägt das Schicksal und mit ihr die poetische Gerechtigkeit zu: der Sünder wird bestraft. Gesteigert werden kann der Frevel, indem zur Verschwendung der Lebensmittel die mutwillige Entstellung und ein entwertender Gebrauch kommt. Der Reichtum des wohlhabenden Hirten in der Sage von der Blümelialp beruht auf dem reichen Ertrag seiner Alpweiden und seines Viehs. Stolz geworden lässt er sich zu einer bizarren Zurschaustellung seines Wohllebens verleiten:

Seine Hütte ließ er sich stattlicher einrichten und buhlte mit Kathrine, einer schönen Magd, und im Übermut baute er eine Treppe ins Haus aus seinen Käsen, und die Käse legte er aus mit Butter und wusch die Tritte sauber mit mit Milch. Über diese Treppe gingen Kathrine, seine Liebste, und Brändel, seine Kuh, und Rhyn, sein Hund aus und ein.

Gesteigert wird Vergehen schrittweise: zunächst durch die niederrangige Geliebte, dann durch die Kuh und zuletzt durch den Hund, alle treten sie Milch und Butter mit Füßen, Hufen und Pfoten. Der missbräuchlichen Verwendung ist die Verunreinigung durch Sand und saure Milch, besonders aber der Umstand, dass er die so zugerichtete Milch seiner Mutter reicht - all das trägt dazu bei, das augleichende Ende vorzubereiten: ein Sturm verheert die Alp, über den Hirten wird verhängt, auf den Höhen als ewiger Senner umzugehen. Die Beschmutzung all dieser Speisen ist deshalb so schwerwiegend, weil Milch aus vielerlei Gründen als jener Stoff gilt, aus dem die Unschuld gemacht ist: wenn einem unschuldig Verurteilten der Kopf abgehauen wird, dann verwandelt sich sein Blut in Milch: "Als aber der Scharfrichter den Hieb getan und das Haupt herabfiel, da sprangen zwei Milchströme statt des Bluts schneeweiß aus dem Rumpf in die Höhe und bezeugten seine Unschuld." Zwei Ströme sind es, weil der einer Unterschlagung bezichtigte Angeklagte zwei Silberbergwerke verwaltet hat; Silber ist in der heraldischen Zeichenlehre überdies eines der Metalle und wird weiß dargestellt: durch den unberechtigten Angriff auf den ehrlichen Verwalter enthauptet der Graf auch sein Bergwerk, das "bis auf diesen heutigen Tag verschüttet" ist. Bergwerke und ihre reiche Ausbeute machen zunächst reich, dann überheblich. In einer anderen Sage kegeln die adligen Grubeneigner mit silbernen Kugeln; das ausgleichende Walten Gottes stürzt die Sünder allerdings erst, als eines eigentümlichen Brotfrevel schuldig werden: "denn sie buken sich große Kugeln von Semmelmehl wie Kutschenräder. machten mitten Löcher darein und steckten sie an die Achsen. Das war eine himmelschreiende Sünde, denn so viele Menschen hatten kein Brot zu essen." (GRS: I, 235: Der Kindelberg, 208). Um den Brotfrevel der Riesin Frau Hütt geht es in einer Ursprungssage , die eine Felsbildung in den Bergen Tirols erklärt, vergeht sich die Haupthandelnde an der "heiligen Gottesgabe" des Brots. Ein Diener soll ihr, nachdem sie bis zum Hals in Morast eingesunken ist, mit "weichen Brosamen" Hände und Gesicht abreiben. Zur Strafe verwandelt sich die Landschaft in eine "Wüste mit zerstreuten Steinen, wo kein Grashalm mehr wachsen konnte". Derlei Missbrauchsagen sind unverkennbar lehrhaft: deutlicher als in anderen Sagen, die Unglück als Strafe für ein Vergehen deuten, ergibt sich in Frau Hütt (GRS I, 234) das Lehrhafte nicht nur aus der Erzählung, die Grimms machen es im Nachsatz offenbar: "bösen und mutwilligen Kindern" werde diese Sage "zur Warnung erzählt, wenn sie sich mit Brot werfen oder sonst Übermut damit treiben. 'Spart eure Brosamen', heißt es, 'für die Armen, damit es euch nicht ergehe wie Frau Hütt.'" Was der Frevler der Sage mit dem Grundnahrungsmittel des Volkes anstellt, dass macht er durchaus nicht aus Bequemlichkeit oder aus Neugier. Der Erzähler der Sage lässt nichts aus, um den Brotfrevel ins gleißende Licht der Sünde zu rücken: unter dem Titel Die Semmelschuhe (GRS I, 235: 209) folgt bei den Grimms eine böhmische Sage, die den Frevel noch verschärft. Eine Tochter aus hohem Haus legt zum sonntäglichen Kirchgang ein Paar Schuhe an, deren Stoff ihr zwangsläufig den Untergang bringt: die Jungfrau war "so vom Stolz besessen, daß sie Semmeln aushöhlen ließ und statt der Schuhe anzog." Kaum hat sie die Brücke nach Stankau überquert, bricht der Überweg unter ihr zusammen und reißt sie mit in den Tod. Die Schärfe der Strafen, die in solcherlei Sagen den Brotfrevler ereilen, sie ist nicht allein auf die Wichtigkeit des Korns für die Ernährung der Massen zu gründen; schwerer wiegt noch, dass ein Brotlaib den Leib Christi verkörpert. So ist es wenig verwunderlich, dass im Erdfall bei Hochstedt (GRS I, 237: 210) ein mit Füßen getretenes und ausgepeitsches Weißbrot zu bluten beginnt. Diese kurze Sage ist mehrfach bedeutsam: zum einen, weil sie den Grundsatz veranbschaulicht, dass die Strafe den Sünder im frevelnden Glied straft. Die Knechte, die das Brot in den Staub treten, können sich in der Folge nicht mehr vom Fleck rühren, gehen also im "Erdfall" zugrunde. Zum andern belegt sie, wie ein "gemeines schwarz hausbacken Brot" in einem Nachbild der Geißelung Christi (Mt. 26-27) zum geschundenen Leib Christi wird und die frevelnden Knechte zu den Handlangern des Pilatus. Drittens ist bemerkenswert, dass der Brotfrevel unmittelbar zurückgeht auf die Verbindung einer Todsünde, des Geizes, mit einer anderen, dem Jähzorn; hinzu kommt die Verkehrung des Abendmahls: vom Leib Christi wird jedem mitgeteilt; nur in der Gemeinschaft der Gläubigen vollzieht sich das Wunder der Eucharistie. Eine weniger empfindliche Sünde ist offenbar, wenn eine Mutter ihrem verstorbenen Kind Schuhe aus Brot mit ins Grab gibt. Allein, mit dem Leib Christi unter den Füßen kommt auch ein getauftes Kleinkind nicht in den Himmel: "

[...] es ließ der Mutter nicht Rast noch Ruh, sondern erschien ihr jammervoll, bis sein Sarg wieder ausgegraben wurde und die Schühlein aus Brot von den Füßen genommen und andere ordentlich angezogen waren. Von da an stillte es sich.

Den Gleichlauf mit der Leidensgeschichte Christi übt eine im selben Zusammenhang genannte westfälische Sage, und sie treibt die Übereinstimmung noch einen Fußbreit weiter: ein hartherziger Bäcker aus Dortmund wuchert in Zeiten des Hungers mit seinen Broten, die ihm über Nacht zu Stein werden. Ganz wie Judas, dem sein missbräuchliches Verfügen über den Leib Christi, mit dem er um die namhaften 40 Silberlinge Wucher treibt, das erlösende Heil dieses Leibes raubt, begeht der Bäcker Selbstmord: wie Judas hängt er sich auf. Berichte von versteinerten Broten häufen sich in Hungersnöten, und so zählen auch die Grimms einige dieser Verwandlungssagen auf. Als Umkehr des Stoffwandels im Abendmahl ist das Brot, nachdem es dem Bedürftigen verweigert wird, ein Stein: die eigelagerte Kastulus-Legende lässt eine reiche Witwe das Almosen reichen, die geizige Tochter versteinert es mit einem habgierigen Griff. Einen Mönch aus Oliva lässt die Sage sein Brot einem "armen Weib" vorenthalten, und als er dessen Besitz leugnet, wird es zu dem, als was er es ausgibt: "ein Stein, die Hunde damit zu werfen." (GRS I, 241: 214). Vom Missbrauch des Brots in seinem Rohstoff, dem Weizen, berichten mehrere Ortssagen des friesischen Raums, die zugleich Ursprungssagen sind: gedeutet wird der Name Frauensand, die Herkunft des Strandhafers soll erklärt werden und weshalb er für die menschliche Ernährung nicht zu brauchen ist. Angesiedelt wird die Sage im friesischen Ort Stavoren (Starum, Staveren) am Ijsselmeer: eine reiche Witwe, "het vrowtje van Stavoren", das ist der Kern der Sage, trägt einem ihrer Kauffahrer auf, "das Beste, was er laden könne, für ihre Rechnung mitzubringen". Der Handelsmann lädt Weizen und erregt damit den Zorn der "alten, geizigen" Kauffrau, die ihn anweist, das Korn über Bord zu werfen. An dieser Stelle wächst von da an ein seltsames Seegras, dessen Rispen über den Wasserspiegel hinausragen, das aber für den Menschen ungenießbar ist, während der Hafen des Ortes versandet (GRS I, 239: 211). Die bedeutend längere zweite Fassung der Sage, wie sie die Grimms überliefern, bringt die Sage in einen sich steigernden Redewettstreit zwischen dem Schiffer und seiner Herrin: die Witwe wirft ihm vor, "so elends Zeug" geladen zu haben, worauf er sich mit dem Hinweis verteidigt, das sei "so elend nicht, was uns unser tägliches und gesundes Brot gibt". Nachdem die Jungfrau sich weigert, das Korn der "Scharen von Armen" zu stiften, die vor ihr niederfällt, deutet der Hauffahrer als verkannte Wohltäter und Sprecher der poetischen Gerechtigkeit auf ihr Schicksal voraus:

"Nein, diese Bosheit kann Gott nicht ungerächt lassen, wenn es wahr ist, daß der Himmel das Gute lohnt und das Böse straft; ein Tag wird kommen, wo Ihr gerne die Körner, die Ihr so verspielt, eins nach dem andern auflesen möchtet, Euren Hunger damit zu stillen!"

In der fallenden Handlung widerfahren ihr einige Schicksalsschläge, bis sie an ihrer Verfehlung zugrunde geht und damit die Vorausdeutung des Handelsfahrers abschließt: "Arm und von keinem betrauert, von vielen verhöhnt, sank sie je länger, je mehr in Not und Elend, hungrig bettelte sie Brot vor den Türen und bekam oft keinen Bissen, endlich verkümmerte sie und starb verzweifelnd." (GRS I, 240: 213).

Das Fastengebot. Sagen, die von konfessionellen Auseinandersetzungen künden, beziehen sich gelegentlich auch auf das Fastengebot, das von den Katholischen strenger gehandhabt wurde als von den Evangelischen. Die Grimms erzählen nach Fischart die Volkssage eines Hündchens von Bretten (GRS I, 96: 115), das mit Körbchen und Zettel im Maul zum Metzger geschickt wird: "und so langte es Fleisch und Bratwurst beim Metzger, ohne je einen Bissen davon anzurühren." In der Fastenzeit jedoch kappt der katholische Metzger dem protestantischen Hündchen den Schwanz und legt ihn ins Körbchen. Der Hundeschwanz, eine auch außerhalb der vierzig Tage vor Ostern unreine Speise, erreicht den Herrn: der Hund, wie zahllose Hunde anderer Sagen, verstirbt vor der Tür des Herrn.

Der Zehnt. Verschiedene Ortssagen befassen sich mit dem Missbrauch des Zehntrechts, entweder von der gebenden Seite oder von der nehmenden. Der von Mäusen verzehrte Bischof Hatto ist der wohl bekannteste Vertreter der nehmenden Seite, die Bauern in der Ursprungssage zum Buttermilchturm die gebende. Drei Varianten der letzteren geben die Grimms in den Deutschen Sagen: in der ersten wird eine Forderung des Deutschmeisters von den Bauern missachtet, möglicherweise von polnischen Bauern. Diese Forderung, die einer kleinen Menge Buttermilch hilt, wird tags darauf mit einem Fass Buttermilch übermäßig abgegolten. Zur Strafe müssen die Lieferanten die Butrermilch im besagten Turm aufzehren. Die beiden anderen Varianten berichten aus der Gegend der Marienburg und aus Großlichtenau, dass Buttermilch als Grundstoff beim Bau eingesetzt worden sei. Aus Stuttgart sind ähnliche Überlieferungen bekannt: hier ist es aber der Wein, mit dem der Kalk angerührt wird.