Rolf Walder: Arzt und Afrikareisender

Biographie

Kehl, Straßburg und die Front

Rolf Walder kommt am 10.6.1914 als Schweizer Staatsbürger in Kehl am Rhein zur Welt, wo er zunächst die Volksschule besucht. Die Familie wohnt unmittelbar am Rhein und erlebt die Zeit der französischen Besatzung in der Zwischenkriegszeit mit. An der Oberrealschule legt er am 28.3.1933 die Reifeprüfung ab. In Straßburg nimmt er zunächst ein Chemiestudium auf, ehe er im Sommersemester 1935 nach München und ins medizinische Fach wechselt. In den folgenden Semestern studiert er abwechselnd in Freiburg und Heidelberg, ehe er in Freiburg das Staatsexamen ablegt und am 23.8.1939 promoviert. Der Krieg erfasst auch Walder: Vom Dienst an verschiedenen Krankenhäusern im Badischen seit dem 17.9.1939 wird er am 4.6.1940 durch den Rastatter Landrat zum Notdienst verpflichtet; inzwischen hat er die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen (Kuhnle 2004, S. 371). Seine Approbation erhält er am 30.4.1941, nachdem er bereits zum Wehrdienst eingezogen wurde und unter anderem in Siebenbürgen, Moldau und Russland als Feldarzt dient (Walder 1996).

Von Stalingrad nach Birkmannsweiler

Ab 1.11.1944 ist er Stabsarzt, sein Schreiber ist Schuhmacher Wilhelm Grotz aus Birkmannsweiler (Kuhnle 2004, ebd.). Als einer der letzten deutschen Soldaten wird Walder aus Stalingrad ausgeflogen (Kuhnle 2004, ebd.). und scheidet am 30.4.1945 aus der Wehrmacht aus. Seinen Schreiber, der Walders Eltern aus Kehl evakuiert hatte, holt er aus einem Lazarett in Dresden heim. Bereits im Sommer 1945 führt Walder seine eigene Praxis für Allgemeinmedizin, Zytologie und Gynäkologie in der Hofäckerstraße 36 in Birkmannsweiler. Seine Tätigkeit als Landarzt unterbricht er für seine dreimonatige Afrikareise, eine geplante Indienreise kommt nicht zustande. Mit Albert Schweitzer, den er seit der persönlichen Begegnung in Lambarene unterstützt, bleibt er in Kontakt. 1955 bedankt sich der elsässische Kollege von Gabun aus bei Walder (Walder 1996).

Abb.: Häußermann, Schweitzer, Walder, Philipp (v. l. n. r.)

Zurück aus Afrika

Am 11.7.1970 heiratet er seine Frau Irene. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Arzt, Gutachter und Dozent wirkt er bis 1977 Schriftführer der „Zeitschrift für Allgemeinmedizin“ (Ebd.). 1974 erhält Walder die Hippokrates-Medaille, 1977 wird er Betriebsarzt bei der Firma Fessmann. Allerdings muss sich Walder 1977 wegen eines lebensbedrohlichen Tumors einer Hirnoperation unterziehen. Am 1.1.1979 übergibt er seine Praxis in Birkmannsweiler an Dr. Kröz, führt für den Kollegen aber weiter mit einem selbstgebauten Färbeautomat zytologische Untersuchungen durch. Für seine Verdienste um die baden-württembergische Ärzteschaft wird Walder am 23.1.1980 die Albert-Schweitzer-Medaille überreicht. Nach langer Krankheit, die ihn zunehmend zeichnet, verstirbt Rolf Walder 1996 und wird am 2.12. in Birkmannsweiler beigesetzt. Rolf Walder ist vielen älteren Bewohnern Birkmannsweilers in guter Erinnerung, auch wegen seines Einsatzes für Bedürftige, für die Jugend, für den Blindenfunk.

Der Reisebericht

Rolf Walders Reisebericht entsteht auf der Fahrt, geschrieben wird in ein „dickes Heft“, in ein „wasserdichtes mit Wachstuchdeckel“, aber auch auf einer eigens dazu mitgeführten Reiseschreibmaschine. Die Schilderungen sind der Versuch, die flüchtigen Erlebnisse der Reise festzuhalten, anders, als es die Fotografie kann. Es spricht also Rolf Walder selbst, meist als Teil der Reisegruppe. Adressat sind zunächst die Reisenden selbst, mehr noch die zu Hause Zurückgelassenen und schließlich das Winnender Publikum; an einen breiteren Leserkreis hat Walder nicht gedacht. Das erklärt auch die Privatheit der Darstellung. Eine Afrikareise ist in dieser Zeit, in der viele Winnender noch kein eigenes Auto besitzen, für viele ein schwer vorstellbares Wagnis. Zwar war man durch Zeitschriften und vereinzelte Filme über das koloniale Afrika informiert, kann aber die konkreten Verhältnisse vor Ort oft nicht einschätzen. Walder hält deswegen im Winnender Olympia einen Diavortrag, an dessen Ende der Reisebericht zum Selbstkostenpreis verkauft wird. Gedruckt wurde er bei Wilhelm Kreh, dessen Winnender Druckerei auch die „Winnender Zeitung“ verlegt.

Von Europa nach Gabun

Rolf Walder besucht Afrika mit zwei Reisegefährten – es handelt sich um den bei Kärcher ausgebildeten Mechaniker Hans Häußermann und Heinz Philipp. Das Reisevehikel ist ein „hellblauer Volkswagen-Kombi“ (Walder, 1954, S. 1). Durch Frankreich und Spanien führt die Reise nach Ceuta, wo die Gruppe am 12.1.1954 Afrika erreicht. Sie besuchen in Begleitung eines Marokkaners den Souk von Tetuan, besichtigen Tanger und fahren auf rauen Pisten in den Atlas hinauf. Bei Colomb-Béchar beginnt die Durchfahrung der Sahara. Immer wieder übernachten die drei in der Wüste, passieren Militärposten und begegnen Einheimischen. Nach 2079 Kilometer erreichen sie Gao, wo zunächst der Volkswagen nicht mehr anspringt und repariert werden muss. Am Niger entlang geht die Reise weiter, ehe eine erneute Panne sie aufhält. Doch wieder kann der Motor repariert werden. In Kano haben sie Nigeria erreicht und machen wieder Station. Durch Djos und Makurdi kommen sie noch Mamfé, wo sie sich einen Haarschnitt gönnen. In Kamerun ist bei Älteren die Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit noch lebendig, einige sprechen sogar noch etwas Deutsch.

Besuch in Lambarene

Von Yaoundé aus fährt der VW weiter in Richtung Lambarene, wobei die drei Deutschen das tropische Gabun passieren und das Fahrzeug auf dem Ogowe transportieren lassen. In Lambarene machen sie sich auf zum damals weltberühmten Nobelpreisträger Albert Schweitzer, der unweit vom Ort ein Lepraspital betreibt:

Und nun wollen Sie wissen, wie er uns empfangen hat? Und welche schöne französische Rede ich an den berühmten Mann hingeredet habe? Oh, das war ganz anders. Er hat uns so herzlich begrüßt, wie ein Großvater, zu dem drei Buben in die Ferien kommen. Und die französische Rede hab ich schnell hinuntergeschluckt, denn er hat natürlich das mir aus Kindertagen so vertraute Elsäßisch gesprochen. Er hat uns die Hände geschüttelt und auf die Schulter geklopft und wollte unsere „Karre“ sehen, mit der wir diesen wunderlichen Weg zu ihm gemacht hatten. Und dann war seine erste Sorge, daß man uns ein Zimmer anwies und für Waschwasser und etwas zu trinken sorge. Als wir dann allein in unserem Zimmer waren, sagte Heinz zu mir: „Das war ja grad so, als ob die Leute nur auf uns gewartet hätten. Man könnte meinen, der Doktor kennt uns schon ewig!“ Und als wir uns gewaschen hatten, und der Krug mit der Zitronenlimonade leer war, stand der „Docteur“ schon wieder in der Tür, um nachzusehen, ob man uns alles Nötige gebracht hatte. Er setzte sich neben uns aufs Bett und wollte hören, wie wir hergekommen waren und was wir erlebt hatten, und über dem Erzählen läutete dann die Mittagsglocke. Da sprang er auf: „S’isch Zit zum Esse, kummetl“ Beim Essen lernten wir alle weißen Mitarbeiter und ein paar Gäste des Spitals kennen. Und nach dem Essen gehörten auch wir schon zu dieser Spitalgemeinde. Doktor Schweitzer war in den vier Tagen, die wir seine Gäste waren, rührend besorgt, daß uns nichts fehlte, und daß wir uns für unsere Weiterfahrt wieder erholen und herrichten konnten, und seine Mitarbeiterinnen waren es nicht weniger. Er meinte einmal: „Ich hin ein furchtbar liebenswürdiger Gastgeber. Ich kümmre mich nicht um euch. Ihr könnt euch ausruhen und machen was ihr wollt.“ Er hat sich aber doch um uns gekümmert und hat uns alles gezeigt; wir waren mit ihm auch auf der Baustelle des neuen Lepradorfes. Wo er uns begegnete, wußte er immer etwas, was uns interessierte, und; wir haben den Mann bewundert, wie unermüdlich er den ganzen Tag an allen Ecken seines Spitals unterwegs war. Ich hab ihm das auch einmal gesagt. Da hat er mir nur zugeblinzelt und gemeint, ich solle mir meine Komplimente sparen! (Ich will sie mir lieber auch hier sparen, denn wenn er meinen Schrieb zu lesen kriegt, lacht er mich doch wieder aus.) Ich will auch nicht von dem erzählen, was die vielen Reporter schon berichtet haben: wie einfach Albert Schweitzer lebt, was er ißt und wann er ins Bett geht. Deshalb sind wir ja nicht zu ihm hingefahren. Wir wollen einfach selbst einmal bei ihm sein, und wenn wir es vorher vielleicht nur geahnt hatten, so wissen wir es jetzt, daß Lambarene zu unserer Afrikafahrt dazugehört hat, wie die Reifen zu unserem Auto. (Walder 1954, S. 16).

Die Rückreise

Walder und seine Gefährten erreichen über den Ogowe Brazzaville und von dort aus Léopoldville in der damals belgischen Kolonie Kongo (heute: Kinshasa, DR Kongo). Am 9. März langt die Reisegesellschaft im „Lepradorf Kama“ an. Sie durchqueren die belgische Kolonie bis zum Kiwusee an der ruandischen Grenze. Von dort aus wenden sie sich in Richtung des Ruwenzori-Massivs nach Norden, durchqueren Zentralafrika und finden sich nach der Begegnung mit Elefanten und Löwen schließlich wieder in Kano und in Dogondoutchi in Niger ein. Die Sahara erschwert ihnen mit Sandstürmen die Durchfahrt nach Französisch-Marokka. Nach siebenundsiebzig Tagen schiffen sich die Afrikareisenden in Melilla ein. 

Kritische Würdigung

Walders Afrika-Reisebericht führt 1954 durch einen Teil Afrikas, der noch in den Händen der Kolonialmächte liegt - erst 1960 werden die meisten Staaten Subsahara-Afrikas unabhängig. Spannungen zwischen einzelnen Ethnien werden von den Kolonialherren unterdrückt. Dies ermöglicht die weitgehend problemlose Durchfahrung von Gebieten, für die heute Reisewarnungen gelten. Als sind Walder und seine Reisegefährten vom Machtsystem der Kolonialherren und deren Wohlwollen abhängig, nutzen deren Infrastruktur. Davon unabhängig ist der Reisebericht jedoch als Zeugnis einer individuellen Erfahrung junger Schwaben angelegt, nicht als politisches Zeitbild. Mitte der Fünfziger wird kaum daran gezweifelt, dass der europäische Kolonialismus Afrika vor allem genutzt habe – und dass auch die Deutschen für zivilisatorischen Fortschritt gesorgt hätten. Allerdings sind die Vorwehen der Befreiung auch im Reisebericht schon zu spüren – etwa dann, wenn ältere Kameruner die Kolonialherrschaft der Mandatsmächte kritisieren. Auch die zerstörerischen Folgen des Bergbaus bemerken die Reisenden. Die „Kongogreuel“ in Léopolds Privatkolonie erwähnt der Reisebericht jedoch nicht. Allerdings sollte man die „Afrikafahrt“ nicht vom Standpunkt heutiger Verhältnisse sehen – das bedeutet nicht, die kolonialen Strukturen zu leugnen, sondern die zeitbedingte Perspektive der weißen Reisenden auf Land und Leute richtig einzuordnen.

Bibliographie und Quellen

  • Walder, Rolf: Tagebuch einer Studienreise. Winnenden: Wilhelm Kreh, 1954 (3. Aufl.: 1955)
  • Kuhnle, Hans und Irene Walder-Albrecht: Glücksfälle für Birkmannsweiler: Dr. Rolf Walder, der praktische Arzt, und Hans Häußermann, der Freund, der Ideen zur Tat machte. In: 700 Jahre Birkmannsweiler, hrsg. v. d. Stadt Winnenden und der Kultur- und Heimatvereinigung Birkmannsweiler. Winnenden: 2004 (Winnender Veröffentlichungen, Bd. 2)
  • Erinnerungsband zum Tod von Rolf Walder, zsgst. v. Irene Walder-Albrecht, 1996 (Privatbesitz) (= Walder 1996)
  • Für besondere Verdienste um die Allgemeinmedizin ausgezeichnet. In: Winnender Zeitung, Nr. 240, 26.9.1974