Bertolt Brecht und das Epische Theater

Warum kommt man im Theater an Brecht nicht vorbei?

Im Theaterunterricht spielt Brecht eine Hauptrolle. In den Curricula ist die Behandlung seiner Theaterkonzeption festgeschrieben. Warum ist das so?

  • Kaum ein Autor wird so oft inszeniert;
  • Kaum ein deutscher Dramatiker hatte eine vergleichbare Wirkung im Ausland;
  • Brechts „Episches Theater“ hat die Entwicklung des Theaters nach 1945 maßgeblich beeinflusst;
  • Brechts Stücke und Gedichte lassen sich im Schultheater aufführen;
  • Brechts Theater ermöglicht die Zusammenarbeit mit den anderen Künsten;
  • Brecht hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Inszenierungspraxis und den Schauspielunterricht.

Brecht und das Theater

1898

10.2.: Bertolt Brecht kommt als Eugen Berthold Friedrich Brecht in Augsburg zur Welt.

1914

Brecht schreibt „Die Bibel. Drama in 3 Szenen“, das erst 2014 uraufgeführt wird.

1918

Brecht verfasst mit dem „Baal“ sein erstes Stück.

1919

Brecht schreibt einige Einakter, die er jedoch nicht inszenieren kann: „Er treibt einen Teufel aus“, „Lux in Tenebris“ „Der Bettler oder Der tote Hund“ und „Der Fischzug“. --- Brecht wirkt zudem als Theaterkritiker für die Augsburger USPD-Zeitung „Der Volkswille“.

1921

Brecht reist nach Berlin, wo er unter anderem den Dramatiker Arnolt Bronnen und den Theaterkritiker des „Berliner Börsen-Couriers“, Herbert Ihering, kennenlernt. Eine Inszenierung von Brechts „Vatermord“ scheitert.

1922

Auf Trude Hesterbergs „Wilder Bühne“ tritt Brecht als Sänger zur Gitarre mit seiner „Legende vom toten Soldaten“ auf und löste damit einen Skandal aus. --- Okt.: Brecht wird Dramaturg und Regisseur an den Münchner Kammerspielen. --- 29.9.: Brechts „Trommeln in der Nacht“ wird als erstes seiner Stücke bei Otto Falckenberg an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. --- 20.12.: „Trommeln in der Nacht“ wird in Berlin aufgeführt.

1923

9.5.: In einer von Brecht überarbeiteten Fassung wird „Im Dickicht der Städte“ unter dem Titel „Im Dickicht“ am Münchner Residenztheater uraufgeführt. --- 8.12.: In Leipzig wird Brechts „Baal“ uraufgeführt.

1924

19.3.: Brecht inszeniert für die Münchner Kammerspiele gemeinsam mit Lion Feuchtwanger sowie Bernhard Reich und Asja Lacis das elisabethanisches Stück „Edward II“ von Christopher Marlowe unter dem Titel „Leben Eduards des Zweiten von England“.

1926

Brechts „Mann ist Mann“ wird uraufgeführt. --- 11.12.: „Die Hochzeit“ wird in Frankfurt am Main uraufgeführt.

1928

31.8.: Die „Dreigroschenoper“ wird uraufgeführt.

1929

Brecht arbeitet mit Kurt Weill an seinem Lehrstück „Der Lindberghflug“.

1930

Mit Kurt Weill erarbeitet Brecht die Schuloper „Der Jasager“.

1932

17.1.: Brechts „Die Mutter“ wird uraufgeführt.

1933

Eine Aufführung des Stückes „Die Maßnahme“ wird von Nationalsozialisten gestört und unterbrochen. Brecht flieht mit seiner Familie ins Ausland.

1937

16.10.: „Die Gewehre der Frau Carrar“, verfasst in London, wird in Paris uraufgeführt.

1938

21.5.: In Paris wird das in Moskau verfasste Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ uraufgeführt.

1939

14.8.: In Tollare bei Stockholm wird Brechts Einakter „Was kostet das Eisen?“ gezeigt.

1943

4.2.: Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ feiert in Zürich Premiere. --- 9.9: Im Schauspielhaus Zürich wird „Das Leben des Galilei“ uraufgeführt. Im amerikanischen Exil entsteht 1947 eine englische Fassung.

1948

Brechts Fassung der „Antigone“ des Sophokles wird im Stadttheater Chur uraufgeführt. --- 5.6.: Das nach einem Text Hella Wuolijokis verfasste Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ wird in Zürich uraufgeführt. --- In Berlin werden das „Deutsche Theater“ und die „Volksbühne“ wiedereröffnet.

1949

11.1.: Gemeinsam mit Erich Engel inszeniert Brecht am „Deutschen Theater“ in Berlin „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit Helene Weigel in der Titelrolle. --- Brecht bearbeitet in Zürich Nordahl Griegs „Die Niederlage“ als „Die Tage der Commune“. ---. Als Alternative zu Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ arbeitet Brecht am „Salzburger Totentanz“, schließt das Stück jedoch nicht ab.

1950

15.4.: Brecht inszeniert erfolgreich mit dem Berliner Ensemble das Stück „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Reinhold Lenz.

1951

17.3.: Das Ministerium für Volksbildung sabotiert erfolglos die Premiere der Oper „Verurteilung des Lukullus“ mit einem Libretto Bechts.

1952

Mit jungen Schauspielern inszeniert Brecht außerhalb Berlins den „Urfaust“ Goethes.

1954

19.3.: Bertolt Brecht und seine Mitarbeiter eröffnen das Theater am Schiffbauerdamm in Ostberlin.

1955

Mit einem Pariser Gastspiel von „Der kaukasische Kreidekreis“ gelingt Brecht der internationale Durchbruch.

1956

Brechts „Die Tage der Commune“ wird in Chemnitz uraufgeführt. --- 14.8.: Bertolt Brecht stirbt in Ost-Berlin.

1957

17.1.: Posthum wird in Warschau „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“ uraufgeführt.

1958

10.11.: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (1941 verfasst) wird in Stuttgart uraufgeführt.

Grundideen Brechts

  • Umgang mit der Tradition: Brechts Theater ist nicht-aristotelisch; es grenzt sich gegen das klassische Theater der geschlossenen Form ab und entzieht sich der Poetik des klassischen Fünfakters.
  • Theatertechnik: Brecht bedient sich der theatertechnischen Innovationen der Moderne, insbesondere Erwin Piscators (etwa der Drehbühne).
  • Umgang mit dem Text: Als „episches Theater“ umfasst ein Stück Brechts nicht nur Rollentext und Regieanweisungen, sondern auch lyrische Elemente (in Form der Songs) und epische Anteile (Erzählerfiguren, narrative Monologe ad spectatores).
  • Haltung des Zuschauers: Der Zuschauer soll die Handlung aus kritischer Distanz erleben, soll sich nicht einfühlen und nicht mitleiden, sondern zum Fragen und Mitdenken bewegt werden.
  • Schauspiel: Der Schauspieler wird zum Erzähler seiner Rolle, wahrt Distanz – er soll zeigen, dass er lediglich vorführt: „Zeigt, dass ihr zeigt!“.
  • Wirklichkeitsbezug: Brechts Theater soll nicht realistisch sein, soll keine Illusionen schaffen – V-Effekte und verfremdendes Schauspiel sollen bewirken, dass das Publikum den Spielcharakter des Stückes nicht aus dem Blick verliert.
  • Menschbild: Der Mensch ist im Sinne von Karl Marx ein Klassenwesen, ein Produkt seiner Verhältnisse
  • Ziel: Durch den Blick auf die bestehenden Verhältnisse soll der Zuschauer dazu bewegt werden, sie zu verändern. Auf marxistischer Grundlage und mit Bezug auf G. W. F. Hegel nennt Brecht sein Theaterkonzept auch „dialektisches Theater“.

Verfremdungseffekte

  • Kommentare einer Erzählerfigur, auch aus dem Bühnenhintergrund;
  • Chöre, die das Handlungsgeschehen deuten und kommentieren;
  • Kommentare der Figuren zum Stück, aus der Rolle heraus ad spectatores;
  • Heraustreten der Figuren aus der Rolle;
  • Spruchbänder, die sich auf der Bühne entrollen („Glotz nicht so romantisch!“);
  • Plakate im Bühnenhintergrund, die beispielsweise den weiteren Fortgang des Stücks verraten;
  • Verfremdende Masken und Kostüme;
  • Projektionen und Filmeinspielungen;
  • Liedeinlagen und Songs, die das Geschehen ironisieren;
  • Bühnenmusik, die im Kontrast zum Geschehen steht;
  • Gestische Sprache, die auf die Machtfülle und den sozialen Hintergrund der Figur veweist;
  • Offenheit und Transparenz, beispielsweise beim Umbau auf offener Bühne;
  • Zeitlich oder räumlich entfernte Handlungsorte.

Übungen

  • Verfremden I: Ein Text wird einmal im Sinne Stanislawskijs gespielt, dann mit dem zeigenden Gestus im Sinne Brechts.
  • Verfremden II: Die Schüler erhalten eine Spielszene, die sie im Sinne Brechts verfremden.
  • Kommentieren: Zwei Figuren spielen, dann frieren Sie auf ein Klatschen ein und ein Kommentator tritt auf.
  • Aus der Rolle: Zwei Schauspieler improvisieren eine Szene, dann wenden sie sich ans Publikum und beschreiben deren Gedanken.
  • Song: Zwei Schauspieler improvisieren sie eine Szene, auf ein Signal wenden sie sich ans Publikum und singen ein Duett.

Bibliographie

  • Knopf, Jan: Brecht-Handbuch: Theater, Lyrik, Prosa, Schriften. Stuttgart: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung & Carl Ernst Poeschel GmbH, 2017
  • Blank, Richard: Schauspielkunst in Theater und Film: Strasberg, Brecht, Stanislawski. Berlin: Alexander-Verl., 2005, 2. korr. Aufl.
  • Massalongo, Milena (Hg.): Brecht gebrauchen: Theater und Lehrstück - Texte und Methoden. Berlin: Schibri-Verlag, 2016 (Lingener Beiträge zur Theaterpädagogik; Band 15)
  • Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater: Über eine nicht-aristotelische Dramatik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, 24. Aufl.
  • Steinweg, Reiner: Lehrstück und episches Theater: Brechts Theorie und die theaterpädagogische Praxis. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 1995 (Wissen & Praxis;50), 1. Aufl.
  • Brecht, Bertolt: Über experimentelles Theater. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 6. Aufl.