Sprachtraining in Zeiten der Corona: Besser formulieren als Angela Merkel

Die folgenden Zitate stammen aus Angela Merkels TV-Ansprache vom 19.3.2020 – Anlass war die Ausbreitung des Corona-Virus. Die Stellen im Original wurden stilistisch geglättet.

1 - Besteht man eine Aufgabe? Gibt es hier noch einen Schreibfehler?

  • Original: Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als Ihre Aufgabe begreifen.
  • Besser: Ich glaube fest daran: Wir bewältigen diese Aufgabe. Wirklich alle Bürgerinnen und Bürger müssen sie als ihre Aufgabe begreifen.
  • Kommentar: Zwei Nebensätze wurden in Hauptsätze umgewandelt. Die Rechtschreibung von „Ihre“ wurde korrigiert.

2 - Welches Wort ist überflüssig?

  • Original: Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.
  • Besser: Zum ersten Mal seit dem Kriegsende sind wir so herausgefordert. Wir müssen solidarisch sein.
  • Kommentar: Die Correctio ist unnötig. Sie entfällt. Mit dem Kriegsende kann nur der Zweite Weltkrieg gemeint sein, es genügt also: „Kriegsende“. Das Verb in Endstellung zögert das Satzverständnis hinaus. Jedes solidarische Handeln erfolgt „gemeinsam“.

3 - Was genau erleidet man? Wie genau verläuft die Erkrankung?

  • Original: Aber auch unsere Krankenhäuser wären völlig überfordert, wenn in kürzester Zeit zu viele Patienten eingeliefert würden, die einen schweren Verlauf der Coronainfektion erleiden.
  • Besser: Aber auch unsere Krankenhäuser wären völlig überfordert: In kürzester Zeit könnten zu viele Patienten eingeliefert werden, bei denen die Coronainfektion schwere Folgen hat.
  • Kommentar: Der Nebensatz wurde umgewandelt. Einen „Verlauf“ erleidet man nicht, und eine „Infektion“ hat (im Gegensatz zur Krankheit) keinen Verlauf.

4 - Welches Wort ist unnötig?

  • Original: Das sind nicht einfach abstrakte Zahlen in einer Statistik, sondern […] es sind Menschen.
  • Besser: Das sind nicht einfach Zahlen in einer Statistik: […] es sind Menschen.
  • Kommentar: Zahlen sind bereits Abstraktionen.

5 - Was tut man mit dem öffentlichen Leben?

  • Original: Und dabei müssen wir, das ist existentiell, auf eines setzen: das öffentliche Leben soweit es geht herunterzufahren.
  • Besser: Eins ist existenziell: Wir müssen das öffentliche Leben einschränken.
  • Kommentar: Was „existenziell“ ist, das muss man auch. Man fährt die Öffentlichkeit nicht wie einen PC herunter.

6 - Welches Wort ist überflüssig?

  • Original: Wir sind nicht verdammt, die Ausbreitung des Virus passiv hinzunehmen.
  • Besser: Wir sind nicht dazu verdammt, die Ausbreitung des Virus hinzunehmen.
  • Kommentar: Wer etwas hinnimmt, ist bereits passiv!

7 - Wie klingt dieser Satz in gutem Deutsch?

  • Original: Der gutgemeinte Besuch, die Reise, die nicht hätte sein müssen, das alles kann Ansteckung bedeuten und sollte jetzt wirklich nicht mehr stattfinden.
  • Besser: Auf unnötige Reisen und gutgemeinte Besuche müssen wir verzichten. Keiner soll sich anstecken.
  • Kommentar Kommentar: Saloppe Formulierungen („nicht hätte sein müssen“) wurden vermieden. Der Satzbau wurde radikal vereinfacht.

8 - Wer trotzt dem Virus?

  • Original: Schon jetzt gibt es viele kreative Formen, die dem Virus und seinen sozialen Folgen trotzen.
  • Besser: Schon jetzt trotzen wir dem Virus und seinen sozialen Folgen mit guten Einfällen.
  • Kommentar: Das Modewort „kreativ“ wurde vermieden. Nicht die „Formen“ trotzen dem Virus, sondern wir Menschen.

9 - Wie sagt man weniger salopp: „Da geht noch mehr“?

  • Original: Ich bin sicher, da geht noch viel mehr.
  • Besser: Ich bin mir sicher: Wir können mehr!
  • Kommentar Das saloppe „da geht noch mehr“ ist in dieser Situation zumindest unangebracht.

10 - Was ist eine „dynamische Situation“? Wie formuliert man diesen Satz anschaulicher und prägnanter?

  • Original: Dies ist eine dynamische Situation, und wir werden in ihr lernfähig bleiben, um jederzeit umdenken und mit anderen Instrumenten reagieren zu können.
  • Besser: Die Lage ändert sich täglich. Wir müssen dazulernen und unser Handeln anpassen.
  • Kommentar: Die gespreizte Wendung „dynamische Situation“ wurde einfacher formuliert. Wer „lernfähig bleibt“, zeigt damit bereits, dass er umdenken kann. Wer „umdenkt“, wird in der Regel auch anders handeln!“

11 - Was soll dieser Satz wirklich bedeuten?

  • Original: Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung.
  • Besser: Wir sind eine Demokratie. Freiwillig wirken wir mit und teilen unser Wissen.
  • Kommentar: „Von“ Zwang lebt man nicht – und von „geteiltem Wissen“ erst recht nicht!

12 - Kann man Maßnahmem „temporär beschließen“?

  • Original: Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden.
  • Besser: In einer Demokratie sollten sie nie leichtfertig beschlossen werden und nur für eine begrenzte Zeit gelten.
  • Kommentar: Man kann nichts „temporär“ beschließen; die Maßnahmen können höchstens „temporär“ gelten. Das Fremdwort wurde ersetzt.

13 - Wie formuliere ich diesen Satz mit weniger Blabla?

  • Original: Das gehört zu einer offenen Demokratie: dass wir die politischen Entscheidungen auch transparent machen und erläutern. Dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird.
  • Besser: In einer Demokratie müssen alle Bürger politische Entscheidungen verstehen. Was wir tun, sollten wir deshalb gut begründen.
  • Kommentar: Was ist eine „offene“ Demokratie? Gibt es auch geschlossene? Im Grunde sind „transparent machen“ und „erläutern“ dasselbe. Der transitive Gebrauch des Verbs „kommunizieren“ ist ein Anglizismus – weg damit! Grundproblem des Satzes ist auch: Er ist vom Politiker aus gedacht, nicht vom Bürger! Das wurde geändert.