Et in Instagram ego!

Wer sich als Lehrer auf Instagram einschreibt, muss verrückt sein: Oberfläche? Selbstdarstellung? Das ist das schiere Gegenteil dessen, worauf seriöse Pädagogik zielt. Ein volles Jahr habe ich meine Zeit mit Stories verschwendet und Posts, habe Herzchen gesammelt und Kommentare. Reels waren nicht dabei. An 365 Tagen haben 316 Follower 615 instagrammatische Entgleisungen ertragen. Ich möchte nicht zu viel verraten: Ein Hohelied auf Instagram darf man hier nicht erwarten.

Mein Account, „lehrerbaier.wn“, widmet sich der Winnender Stadtgeschichte. Er begleitet ein Projekt zur lokalen Literaturtradition. Auf meinem Kanal versammeln sich Kupferstiche und Schnappschüsse, Zeitungsausschnitte und Dokumente. Gestrenge Herren mit Schnauzbart. Grabsteine. Merkel auf einem Hochdruckreiniger. Damit lässt sich auf Instagram kein Blumentopf gewinnen. Und immer wieder Text. Wahre Textfluten. 174 Wörter gestern, 174 Wörter vorgestern. Ich habe keine Ahnung, wer so etwas liest. Die Bilder sind schnell gemacht, das sieht man ihnen vermutlich an. Warum sollte ich auch stundenlang Oberflächen polieren, wo es um Inhalte geht? Immerhin setze ich Filter ein, mittlerweile. Juno. Wegen des klassischen Namens. Hefe. Sieht schön altbacken aus. X-Pro2: Düster!

Von den Anfängen weiß ich nicht mehr viel. Ich kann auch nicht mehr sagen, weshalb ich mich angemeldet hatte. Der Übergang fällt jedoch leicht, wenn man ohnehin bei Facebook ist. Eine Weile war ich lediglich vorhanden auf Instagram, nicht anders als auf Facebook. Allerdings wurde ich bald entdeckt und zur Rede gestellt. Von meinen Elfern! Es muss jener Raum gewesen sein, in dem es bei uns nach Bounty riecht – jedenfalls: Ein findiger Schüler kündigte an, er werde mir jetzt folgen, ich müsse dann zurückfolgen, auf Gedeih und Verderb, wenn nicht, müsse er mich wieder entfolgen. So viel Gefolgschaft war mir unheimlich.

Dem ersten Bild merkt man meine Unerfahrenheit an. Am vierzehnten Juli 2021, Jahrestag des Sturms auf die Bastille, erscheint zwischen Hochglanzbildern von den Lofoten und dem üblichen Foodporn: „Von Stadt und Amt Winnenden“. Schwarzweiß. Text. In Fraktur! Gefällt zwölf Personen. Alle sogenannten „Personen“ sind meine Schüler und Schülerinnen. Und ich bin ab jetzt Influencer.

Bin ich das? Ich habe keinen Vergleich. 315 Augenpaare sind viel, sicher. Im Klassenzimmer kann ich auf maximal 32 rechnen. Wer meine Posts zu sehen bekommt, entscheiden allerdings die Algorithmen von Instagram. Ob sie relevant sind, meine Texte und Bilder, entscheidet ein Konzern im fernen Kalifornien. Ein Konzern, den niemand kontrolliert. Der Daten aufsaugt, umsonst, und sie verkauft. Bildung und kritisches Denken sind Facebook dabei ziemlich egal. Den Geschäftsinteressen meiner Freunde in Menlo Park ist nicht unbedingt dienlich, was lehrerbaier.wn so in die Welt hinausposaunt. Es macht schlechte Laune. Es ist tonnenschwer. Es gibt nichts zu kaufen.

Mein Account dümpelte begreiflicherweise vor sich hin. Zugegeben: Ich war etwas frustriert. Ich hatte mir einen triumphalen Durchmarsch zum ewigen Instafame vorgestellt. Zeit also, Experten zu fragen: meine Neuner. Sie hatten Mitleid und erbarmten sich, mir hilfreiche Tipps zu unterbreiten. „Sie müssen berühmten Instagrammern folgen!“ „Posten Sie dann, wenn Ihre Community online ist!“ „Machen Sie eine Challenge!“ „Achten Sie darauf, was gerade trendet!“ Ach, ihr Lieben! Ich bin dankbar und versuche ihre Ratschläge umzusetzen.

Allerdings: So einfach ist das gar nicht. Ich kenne keine berühmten Instagrammer. Eine Google-Recherche führt mir vor Augen: Sie sind mir derart unsympathisch, dass ich ihnen beileibe nicht folgen will. Das scheidet also aus. Wann meine Follower online sind? Keine Ahnung. Das hängt offenbar vom Wetter ab, vom Stundenplan und vom Veranstaltungskalender. Bis heute weiß ich nicht, wann ich posten soll. Sonne ist jedenfalls schlecht für Instagrammer. Eine Challenge? Ich muss erst nachfragen. Äh, nein. Dazu habe ich erst recht keine Lust. Ein weiteres Problem ergibt sich aus meinem Verantwortungsgefühl. Ich folge meinen Schülern natürlich nicht: Woher soll ich also wissen, was gerade „trendet“? Ich beschließe, einfach so weiterzumachen. Der Stoff geht mir jedenfalls nicht aus.

Bleiben wir beim Thema Verantwortung. Als Lehrer hat man einiges zu verlieren, wenn man Instagram nutzt. In der Regel gibt man beim Datenschutz schon früher klein bei; Instagram ist in der Regel nicht der erste Datensauger, an den man sich anschließt. In meinem Fall: Facebook und WhatsApp waren vorher schon da. Allerdings gebe ich ja nicht allein meine eigenen Daten preis. Meine Abonnenten sind mitbetroffen. Ja, sicher: Ein Abonnement ist freiwillig! Dennoch: Ich erfahre mehr über meinen Nutzerkreis, als mir lieb sein dürfte. Persönliche Vorlieben. Politische Tendenz. Interessen. Bewegungsprofile. Selbstverständnis. Kritisch. Erst wollte ich niemanden abonnieren. Das aber funktioniert so nicht auf Instagram. Comply or perish!

Ich musste mir also Regeln geben. Meine Schüler abonniere ich nicht, das ist schon klar. Ehemalige Schüler füge ich nur hinzu auf deren ausdrücklichen Wunsch. Karmesinrote Ringe um die Profile konnte ich anfangs nicht deuten und habe sie angeklickt - als ich noch nicht wusste, dass sie zu Bildern meiner Schüler führen: zu Mädels im Bikini und Jungs in Partylaune. Muss ich nicht gesehen haben. Vielleicht bin ich spießig, aber ich finde solche Aufnahmen oft zu privat und manchmal zu intim. Im Großen und Ganzen lasse ich meine Abonnenten in Ruhe. Umfragen und andere Spielereien, die ich gerne einsetze, haben finsteres Potenzial: Man könnte sie zu inquisitorischen Instrumenten machen, mit denen man seine Nutzerschaft ausquetschen kann, aushorchen, ausspähen. Ich bemühe mich, keine heiklen Fragen zu stellen.

Auch andere Fallen gibt es: Was sagt es über mein Arbeitsverhalten aus, zu welchen Zeiten ich aktiv bin? Wann erreiche ich die Grenzen zwischen Manipulation und Meinungsfreiheit? Wodurch verletze ich Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte? Wo verläuft die Grenze zwischen Information und Werbung? Keine dieser Fragen sollte man achselzuckend vom Tisch wischen. Wer als Lehrer soziale Netzwerke nutzt, darf sich nicht blind ins digitale Vergnügen stürzen.

Mein erster Shitstorm war im Grunde eher ein Shitstörmle. Nichts Weltbewegendes. Nichts, was man nicht auch auf Toilettentüren zu lesen bekommt. Aber doch: Ein Shitstorm! Und eine Ahnung, was meine Schülerinnen und Schüler alles aushalten müssen, wenn sie zum Gegenstand digitaler Schlammschlachten werden. Der Auslöser war banal: Ich hatte geschrieben, das benachbarte Gymnasium habe keinen Wikipedia-Auftritt! Diese Bemerkung wurde dort offenbar geteilt. Zunächst nur die üblichen Frotzeleien: Wir sind besser! Wir haben mehr Eins-Nuller-Schnitte! Dann wurde es persönlich. Niemals wolle man bei mir Unterricht haben, schreibt einer, den ich gar nicht kenne. Es folgt noch eine Sumpfblütenlese aus der Gosse, die üblichen Pöbeleien. Ich sperre den Hauptschurken. Dann ist Schicht im Schacht. Überhaupt: Ich beobachte an mir eine diktatorische Kompromisslosigkeit, die mich selbst überrascht: Pöbler werden ohne Federlesen blockiert.

Instagram ist keineswegs nur Zeitverschwendung. Überwiegend schon, aber es ergeben sich auch Möglichkeiten: Ideen. Denkanstöße. Stadtgeschichtliche Offenbarungen. Gelegentlich zeichnen sich gemeinsame Projekte ab. Nicht im Netz. Vor Ort! Manchmal regen Beiträge meine Schüler dazu an, Fragen zu stellen. Manchmal regen mich meine Schüler dazu an, weiterzuforschen; manches Thema und manche Entdeckung verdanke ich ihnen. Das geschieht aber nur ausnahmsweise. Kommentare, beispielsweise, sind selten. Sie kommen eher von anderen Alten. Von Exkollegen. Von meiner Patentante, die meinen Beiträgen konsequent applaudiert. Die Schüler indessen halten sich zurück. Ist ja ganz gut so! Mich selbst sieht man übrigens nie – ich lade keine Bilder von mir hoch.

Besonders erfolgreich war ich mit einem ehemaligen Schüler und seiner jüngsten Aufnahme: Youngubahn ist Stuttgarter Freestyler und empfahl mich seinem offenbar vielköpfigen Publikum: Über hundert junge Damen und Herren, von denen ich die wenigsten kannte, fanden das Plattencover wohl ganz apart – ebenso meine Eloge auf den Künstler. Tiere gehen übrigens auch ganz gut. Und Gesichter. Mit beidem kann ich dienen, aber nur im Ausnahmefall. Der Fame lässt auf sich warten, aber mittlerweile folgen mir auch der Schulleiter und zwei Kollegen. Theoretisch könnte man Insta auch im Unterricht einsetzen; dafür ist es mir jedoch zu heikel.

Ein Jahr ist also vorbei. Inzwischen habe ich einiges gelernt. Ich weiß mehr über die Welt, in der sich meine Schüler in allen möglichen Zwischenzeiten bewegen. Ich sehe noch deutlicher, dass Instagram ein gigantischer Markplatz der Eitelkeiten ist – vor allem aber: ein Marktplatz. Man wird überhäuft mit Angeboten und Appellen: Tu dies! Kauf das! Es nervt. Es zehrt. Ich spüre an mir selbst, wie ich jedes Herzchen erbärmlich genieße, wie die Aufmerksamkeit zerfasert, wie ich hinübergleite ins Nirwana der Neuigkeiten. Ich habe Hartnäckigkeit gelernt; ich weiß besser als jemals zuvor, wie man in Sozialen Netzwerken erfolgreich scheitert. Ich weiß, was ich will auf Instagram, und – wertvoller noch: was ich nicht will. Ich habe mehr Zutrauen in die Medienkompetenz meiner Schülerinnen, meiner Schüler.

Nach einem Jahr habe ich Zweifel: Lohnt es sich, weiterzumachen – gegen ein Medium, das allem Anschein nach weitgehend ungeeignet ist, meinen „Content“ unters Volk zu bringen? Sicher ist „lehrerbaier.wn“ kein reiner Freudenquell, weder für mich, noch für mein Publikum. Aber – soll man die digitale Welt den Trollen überlassen, den Dünnbrettbohrern und Marketingstrategen? Muss es nicht auch Kanäle geben, die sich trauen, langweilig zu sein und schwierig und ironisch? Liebe Kollegen, macht mit! Idealismus ist keine Marktlücke, sondern unsere Quelle des Widerstands gegen den Markt. Wo alle Wege zusammenlaufen, wollen wir nicht trivial sein. Et in Instagram ego!