Das Allerletzte! Der Personalrat rät

Pausenaufsicht, Montagmorgen. Erster Einsatz. Ich warte dezent an der Flügeltür zum Osthof. „Ihr wisst ja, liebe Schüler, wir…“ – vorbeigerauscht. Wieder Pause, wieder Montag, zweiter Einsatz: „Warte bitte, die Pausenregelung…“ – durchgedüst! Dritter Einsatz, diesmal halb gefaucht und halb gebrüllt: „Haaaaalt! Duda! Rrrrrrrraus!“ – tatsächlich, mein erster Erfolg. Der Schüler, ein Sechser mit Pudelmütze, schaut mich entgeistert an: „Ja, aber warum brüllen Sie denn so?“ Ja, warum brülle ich eigentlich so? Ich bin weder als Ochse noch als Brüllaffe zur Welt gekommen.

Gut, ich räume ein: Ich quatsche ungefragt und grußlos meinen Tagebuchordner an. Ich reiße GFS-Kandidaten aus dem Zungenkuss mit der Liebsten. Ich drehe mich mitten im Gespräch mit dem Klassensprecher um und plaudere mit dem Biologiekollegen. Nein, das ist auch nicht die feine englische Art. Zugegeben! Unfreundlichkeit - eine Lehrer-Berufskrankheit? Naja! Wie wärt ihr denn drauf, wenn ihr dem immer gleichen Rempelbruder zum hunderttausendsten Mal erklären müsstet, warum er in der Pause nicht ins Schulgebäude darf?

Ja, warum ist es eigentlich so schwer, freundlich zu sein? Freundlichkeit ist leise, diskret. Freundlichkeit ist umständlich. Freundlichkeit bracht Zeit. Und Freundlichkeit setzt voraus, dass man dem Anderen Gleichwertigkeit zubilligt. Man muss sein Gegenüber mögen – zumindest ein wenig, man muss Gemeinsamkeiten sehen. Es ist schön, wenn man begrüßt wird, weil man sich kennt, weil man zur selben Schule gehört. „Guten Morgen!“ – ich kann nicht zwanzig Schülern zugleich antworten, aber freue mich über jeden Gruß. Manche Schüler lächeln sogar, wenn sie grüßen.

Schnitt. Da stehe ich in nun der Mensaschlange neben – sagen wir mal, Ottilie. Die fragt mich doch tatsächlich, wie es mit dem Kafka vorangeht. Ich, völlig begeistert von so viel unvermutetem Interesse, will gerade die Untiefen des unzuverlässigen Erzählers ausloten, da – glaubt es mir ruhig! – da hämmert Ottilie irgendwas in so eine kleine schwarze Kiste. Facebookstatus updaten, Mails checken, was weiß ich. Unfassbar! Und ich stehe belämmert daneben. Leute, das geht doch nicht! Bei einem Gespräch schaut man sich in die Augen und nicht aufs Display! Sie hätte mir genausogut sagen können: „Na, du alter Langweiler, quassel du nur mal weiter über deinen doofen Kafka. Ich zock schnell mal ne Runde Doodlejump.“

Schnitt: Gegen das uralte Erdmännchenspiel hat ja keiner was. Juppheidi, da kommt der Lehrer, rein ins Klassenzimmer! Und fiepend verschwanden sie in ihrem Termitenhügel. Ja, geht in Ordnung. Ich bin die Hyäne, ich bin der Feind. Aber muss man da mir gleich die Türe vor der Nase zubrettern wie geistesgestört?

Schnitt: Sieben Uhr. Die Frisur sitzt – oder auch nicht. Ich strebe mit meinem Panzerkreuzer Potemkin, dem Medienwagen, gen Fünfertrakt. Mir entgegen kommt – die Vanessa aus meiner 9b. Und jetzt passt mal auf! Ich, freudig das Gesicht verrenkend: „Hallihallöle, guten Morgen, liebe Vanessa, na, wie geht’s denn so?“ – Sie (jetzt Zeitraffer!) – zischt mit wehender Miene in ihrem imaginären Porsche an mir vorbei, grußlos, und streicht sich meinen zaghaften Morgengruß aus dem Haar. Bedröppelt bleibe ich in ihrem Parfüm-Auspuffwölkchen hängen, während mein Gesicht und der Medienwagen entgleisen. Hey, man muss ja nicht gleich den roten Teppich ausrollen, aber ein Hallo wäre schon nicht so übel.

Schnitt: Die übliche Schulhof-Stampede nach dem Ertönen des Gongs. Zornig muhende Kursstufler auf dem Weg in den NWT-Trakt kollidieren mit schwächlichen Fünfern, die in den Staub des Trails sinken. Ich habe keine Wahl, als mich zwischen die flutenden Longhorn-Schüler zu werfen und zu hoffen, dass ich irgendwie heil ins Gebäude geschwemmt werde. Ich spüre jede Fünf, die ich im Halbjahr verteilt habe, auf Höhe meines Zwerchfells. Ihr lieben Rinder! Nehmt Rücksicht!

Schnitt. Schon eindrucksvoll, der GSG9-Ton vor dem Lehrerzimmer: „Schicken Sie mal den Herrn Hartmann raus!“ Warum nicht gleich so: „Ey, Alter, lass mal den Harti rüberwachsen, aber dalli-dalli, er soll verhört werden.“ Ja, ich weiß, sie ist sauwichtig, eure GFS über Hydrokryptowasweißich. Dass der Kollege gerade oben nach vier Stunden Unterricht mal kurz verschnaufen möchte, geschenkt! In lehrerverträglicher Sprache klänge das jedenfalls so: „Würden Sie bitte den Herrn Hartmann fragen, ob er kurz Zeit hätte? Ich bin der Fritz aus der 10d und habe eine Frage zu meiner GFS.“

Also, alle mal herhören, jetzt kommt eine salomonische Weisheit: Lehrer sind bestechlich! Besonders wirksam ist Freundlichkeit. The milk of human kindness. Türen aufhalten. Stuhl zurechtrücken. Lächeln. Die Klassiker! Bitte, danke, wie geht’s? Freundlichkeit kostet nichts, macht den Unterricht besser, verbessert die Noten, verhindert Einträge, verschiebt Kurztests. Es spricht selbst für ausgewiesene Hinterbänkler viel dafür, freundlich zu sein. Dennoch wird gezickt, gejammert, gemault und gemotzt. Über Regelungen, für die ich nicht verantwortlich bin. Über Standards, die ich mir nicht ausgesucht habe. Über Dinge, die ich nicht ändern kann. Hört auf! Das bringt doch nichts. Ihr müsst ja nicht schleimen, wobei gegen gut gemachtes Schleimen auch nichts einzuwenden wäre. Aber einfach mal nett sein, das geht immer. Lasst euren Charme spielen! Und am Montagmorgen gehen wir einander dann aus dem Weg, okay?