Rudolf Magenau: Der Schreiber von Winnenden

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Bild: Rudolf Friedrich Heinrich Magenau, Lithografie, Fotograf: Ernst Surkamp; LMZ 964782; © Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Rudolf Friedrich Heinrich Magenau kommt am 5.12.1767 in Markgröningen zur Welt, als Sohn des Stadtschreibers und Notars Jacob Friedrich Magenau (1744–1783) in Markgröningen und der Eberhardine Rosine Andler (1743–1805). Nach dem Besuch der Lateinschulen in Markgröningen und Ehingen und der Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn schreibt er sich im Tübinger Stift ein. 1788 veröffentlicht er, vergeblich auf die Unterstützung Schubarts hoffend, einen heute nicht mehr auffindbaren Gedichtband. Allerdings schließt er nach dem Vorbild des Göttinger Hains einen Freundschaftsbund mit Ludwig Neuffer und Friedrich Hölderlin, der in einem poetischen Bundesbuch gefeiert wird. Den Tübinger Studienfreunden widmet er 1790 seine zweite Veröffentlichung, die Satire Anselms und seines Freundes des Magisters poetische Reisen nach Kaklogallinien im Jahre 1789. Anders als Hölderlin konzentriert sich Magenau auf die leichte Muse, schreibt Gelegenheitsgedichte, Lieder und Idyllen. 1791 schließt Magenau sein Studium ab und wird Hauslehrer und Vikar in Markgröningen, Tamm bei Ludwigsburg und Vaihingen an der Enz. 1794 kommt Magenau als Pfarrer nach Niederstotzingen, 1797 wird er Beiträger der politischen Publikationen Johann Gottfried Pahls, die sich gegen die französische Kriegführung in Schwaben und die spätere Rheinbund-Politik Napoleons richteten (Weber 1987, S. 650). Andererseits macht sich Magenau auch um Schulreformen in Württemberg verdient. 1819 wird Magenau schließlich Pfarrer in Hermaringen bei Heidenheim, wo er am 23.4.1846 stirbt.

Text

Der tapfere Schreiber von Winnenden

An Herzog Ludwigs Tafel saß
Ein Franzmann einst, der sich vermaß,
Im Zweikampf mit gefüllten Krügen
Die Schwaben alle zu besiegen.
 
Füllt, sprach er, diesen Gumpen hier,
Den größten unter allen mir,
Wohl mag ichs, ohne umzusinken,
In einem Zug ihn auszutrinken.
 
Und Schach sei dem ins Angesicht
Geboten, der’s, - ein schlechter Wicht,
Den nimmermehr ein Fürst sollt’ ehren, -
Nicht wagt, gleich mir ihn rein zu leeren;
 
Der Franzmann that, wie er versprach;
Der Herzog rief: Wer thut’s ihm nach?
Ha! Soll ein Fremdling sich erfrechen,
Den biedern Schwaben Hohn zu sprechen?
 
Der Hof erschrack ob solchem Wort,
Doch einer sprach: es wohnet dort
Zu Winnenden, wie ich vernommen,
Ein tapfrer Schreiber, laßt ihn kommen!
 
Er ward geholt auf schnellem Roß
Des nächsten Tages; Der Franzoß
Frug stolzen Blicks: will der es wagen,
Mit mir sich um den Preis zu schlagen?
 
Zum Wettkampf ward gefüllt der Krug,
Ihn leert‘ der Fremd‘ in einem Zug,
Der Schreiber sprach: soll ich’s vollführen,
Muß ich erst meine Kraft probiren!
 
Der Franzmann stuzt, der Herzog lacht,
Die Probe ward mit Glück gemacht;
Nun, rief er, gilts! Den Durst zu stillen,
Laßt ihn zum zweitenmale füllen!
 
Stracks ward gethan, wie er begehrt,
Und als er diesen auch geleert,
Rief er, und thät sich stolz erheben:
Hoch sollen alle Schwaben leben!
 
Der Herzog winkte: thu’s ihm nach!“
Der Franzmann stand beschämt und sprach:
Die Schwaben will ich nimmer schelten,
Herr! Eure Schreiber laß ich gelten!

Kommentar und Kontext

Magenaus Ballade setzt sich aus zehn Quartetten zusammen, deren jambische Vierheber jeweils zwei Paarreime verbinden. Die Einfachheit des Tons und die zuweilen an Knittelverse erinnernde Metrik unterstreichen die bewusste Volkstümlichkeit des Stücks.

Inhaltlich lassen sich vier Entwicklungsschritte unterscheiden: Zunächst wird die Ausgangssituation und die Aufgabe vorgesellt, die im Lauf der Ballade zu lösen ist (Z. 1-16). Im zweiten Abschnitt (Z. 17-22) spitzt sich die Handlung zu: Der trinkfeste Schreiber wird herbeigeholt; die verächtliche Haltung des Franzosen steht im Kontrast zur biederen Erscheinung des Schreibers. Diesem gehört der dritte Abschnitt (Z. 23-36), in dem er den Franzosen düpiert. Am Ende signalisiert der Herzog sein Wohlgefallen („thu’s ihm nach!“, Z. 37) und der Franzose räumt zerknirscht seine Niederlage ein.

Die Ballade spielt in historischer Distanz, spiegelt aber die immer wieder aufflackernden Konflikte mit Frankreich, besonders den auch von Magenau vertretenen Widerstand gegen Napoleon. Schauplatz ist „Herzog Ludwigs Tafel“: Gemeint ist Ludwig der Fromme (1554-1593), von 1568 bis 1593 fünfter regierende Herzog von Württemberg, dessen Neigung zu Gelagen und Ritterspielen vielfach bezeugt ist. Magenau dürfte in Tübingen Herzog Ludwigs Grab gesehen haben. Die Idee eines Trinkwettkampfs ist nicht besonders originell – die Fähigkeit, größere Mengel Alkohol unbeschadet zu trinken, wird oft als Beweis besonderer Stärke und Männlichkeit angeführt. In Magenaus Ballade bringt ein offenbar trinkfester Franzose den Herzog in Bedrängnis. Einen Gumpen will er leeren, einen „riesigen Pokal“ (so lautet Magenaus lateinische Fußnote in deutscher Übersetzung). Das großspurige Verhalten des Franzosen fordert eine angemessene Gegenreaktion, um die württembergische Ehre zu wahren – zunächst findet sich jedoch niemand. Erst ein Winnender Schreiber, der „auf schnellem Roß“ (Z. 21) herbeigeholt wird, nimmt es mit dem Franzosen auf – und besiegt ihn, indem er einen zweiten Humpen kippt und sogar noch zu patriotischem Lobpreis im Stande ist: „Hoch sollen alle Schwaben leben! (Z. 36). Die Ehre des Herzogs und seiner Landsleute ist also gerettet, und so muss auch der Franzose zuletzt eingestehen: „Herr! Eure Schreiber lass ich gelten!“ (Z. 40). Dass es gerade ein Schreiber ist, kein Soldat oder Höfling, unterstreicht die von Magenau herausgestellte Trinkfestigkeit der Schwaben.

Bibliographie

  • Magenau, Rudolf Heinrich Friedrich: Poetische Volks-Sagen und Legenden, größtentheils aus Schwaben: Nebst andern Erzählungen und einem Gesange an die Najade des Brenzflusses. Löflund, Stuttgart 1825
  • Schwäbische Sagen und Geschichten: in Dichtungen von verschiedenen Verfassern. Ulm: Nübling, 1834, S. 56
  • Patuzzi, Alexander: Schwäbische Sagen-Kronik. Ulm : Heerbrandt & Thämel, 1844, S. 29
  • Weber, Johannes: Magenau, Rudolf von. In: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 650 f. [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116661003.html#ndbcontent