Gottfried von Neuffen und das Winnender Mädchen

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Bild: Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 32v, Gottfried von Neifen

Gottfried von Neuffen (oder: Neifen, mhd.: Nifen) ist der Sohn Adelheids  von Winnenden aus der Ehe mit Heinrich II. von Neuffen. Die Stammburg der Herren von Neuffen ist die Burg Hohenneuffen bei Tübingen, 1198 erstmals erwähnt. Gottfrieds Großvater mütterlicherseits ist Gottfried von Winnenden, dem die Burg im heutigen Bürg gehört. Man weiß nicht viel über Gottfried. Soviel jedoch ist bekannt: Der gebildete und dichterisch versierte Minnesänger diente am Hof Heinrichs VII., des Sohns des Stauferkaisers Friedrich II. in Sizilien. Am Hof Heinrichs ist Gottfried Teil einer illustren Runde. Heinrichs Erzieher ist Schenk Konrad von Winterstetten, außerdem wirken dort der Verfasser des Rennewart, Ulrich von Türheim, der Minnesänger Burkart von Hohenfels und der fränkische Lyriker Otto von Botenlauben, dessen Burg Gottfried erwähnt. Gottfried war ein produktiver Minnesänger, vor allem von Pastourellen, die ihre Schauplätze ins Dörfliche und in die freie Natur verlegen. Insgesamt 51 Lieder Gottfrieds verzeichnet die Manessische Liederhandschrift.

Gottfried ist mehrfach beurkundet: erstmals 1234, dann im Hoflager zu Wimpfen, im März 1236 am Hof des Bischofs von Straßburg. Ob er sich jemals in seinen Jugendjahren in Winnenden aufgehalten hat, ist allerdings offen. 1235 beteiligt er sich an einer Rebellion Heinrichs VII. gegen seinen Vater. Die Kaisertreuen unter dem Bischof Heinrich von Konstanz jedoch setzen sich durch: Gottfried wird bei der Schlacht im Schwiggerthal mit seinem Bruder Bertold gefangengenommen. Auf dem Mainzer Hoftag vom 15.8.1235 werden die Anhänger Heinrichs VII. von dessen kaiserlichem Vater geächtet, die Neuffer verlieren sehr wahrscheinlich ihre Reichslehen. Schon im März 1246 sind sie wieder frei und in Ulm, vermutlich im Rahmen der Aussöhnung mit dem Kaiser. 1253 stiftet Gottfried mit seiner Gemahlin Mechtild dem Kloster Maulbronn Wein und Weizen. Der letzte Nachweis stammt aus dem Jahr 1255. Die Hauptlinie der Herren von Neuffen erlischt mit dem Tod Gottfrieds und seines Bruders Bertold.

Bezug zu Winnenden

Bild: Carl Dobler: Gôtfried v. Neufen, Holzschnitt. Illustration zu: Gottfried Börner: Winnenden in Sage und Geschichte. Winnenden: Selbstverl. D. Verf., 1923, S. 103 (Repr. 1999)

Unabhängig davon, ob das bei Gottfried erwähnte „winden“ tatsächlich die 1210 als „castrum Winidum“ erwähnte Spornburg im Winnender Ortsteil Bürg ist, die Herren von Neuffen hatten Güter auf Winnender Gemarkung. Gottfried von Neuffens Winnenden-Bezug gibt schon länger Anlass zu gesteigertem Selbstbewusstsein, was die Erwähnung bei Börner (1923) belegt. Spätestens seit 2012 sind Gottfried und sein „Winnenden-Lied“ Allgemeingut in Winnenden. Die Achthundertjahrfeier hat zu einer folkloristischen Wiederbelebung des Mittelalters geführt. Das Porträt Gottfrieds mit der bekannten Dichtergeste ziert die Jubiläumsbroschüre, die ihrerseits stolz auf die bei Gottfried erwähnte Garnspinnerin verweist, in dessen Lied „eine junge Garnspinnerin aus Winnenden besungen wird“. Ob man das das „Winnender Mädchen“ tatsächlich als „erste nachgewiesene Bürgerin der damals noch jungen Stadt“ bezeichnen sollte, sei dahingestellt. Jedenfalls wird am 20.5.2012 die Bekrönung des Marktbrunnens ausgetauscht: Justitia wird durch eine Skulptur von Fritz Nuss ersetzt, die einen Minnesänger in der Umarmung mit einer Dame zeigt. Am selben Tag findet der „Mädlestag“ statt, bei dem das „Winnender Mädle“ vorgestellt wird. Am 19. Oktober schließt das Jubiläumsjahr mit einer Aufführung des „Winnender Lieds“ durch das Consortium Rhenus. Seither repräsentieren junge Frauen aus der Winnender Bevölkerung die Stadt, jeweils in dreijährlichem Wechsel. Die kurzlebige Mittelalter-Begeisterung ist jedoch wieder abgeklungen.

Text: Gottfried von Neifen: Lied XXVII

Jch wolde niht erwinden·
ich ritte vs mit winden ·
húre in kvͤlen winden·
gegen der ſtat ze winden·
ich wolt uberwinden·
ein maget ſach ich winden·
wol ſi garn want·

Do ſpꝛach dv́ ſeldebere·
dv biſt mir gebere·
ſtille vn̄ offenbere·
dv biſt froͤidebere·
kvme ich dich verbere·
dv́ dich ie gebere·
got der gebe ir gv̊t·

IR ſvnt úch erlǒben·
ringens vf der lǒbē·
lant die linden lǒben·
ir ſvnt mir gelǒben·
hant ir den gelovben·
ir bꝛechent bottenlǒben·
lihter die ſtein want·

Dv ſolt mir beſcheiden·
iſt der krieg geſcheiden·
den dv ſolteſt ſcheiden·
dv biſt ſo beſcheiden·
dv́ welt mv̊s ê verſcheiden·
ê dc wir vns ſcheidē·
trvt geſelle gv̊t·

Ich wollte nicht ruhen,
und ritt mit Windhunden aus,
in diesem Jahr, als es noch kühler war (im Frühjahr),
dem Ort Winnenden entgegen.
Ich wollte eine Eroberung machen,
ein Mädchen sah ich beim Winden,
sie schlang kunstfertig das Garn (oder: ein Netz).
 
Da sprach die Seligkeitsbringende:
Du bist richtig für mich,
insgeheim und ganz offenkundig,
du spendest Freuden,
ich ertrage es kaum ohne dich!
Derjenigen, die dich geboren hat,
soll Gott es lohnen.
 
Ihr solltet es Euch einmal herausnehmen
vor der Kemenate (mit mir) zu ringen.
Lasst die Linden das Laub verlieren (oder: sich belauben),
glaubt mir nur,
wenn Ihr davon ausgeht,
dass ihr die Steinwände
(der Burg) Botenlauben leichter durchbrecht.
 
Sage mir ganz klar:
Ist der Kampf entschieden, den
Du beenden solltest?
Du bist so klug,
Möge eher die Welt untergehen,
Als dass wir uns trennen,
mein werter Geliebter.

Kommentar zu Gottfried von Neuffen: Ich wolde niht erwinden

Gottfrieds Pastourelle ist äußerst schwierig zu deuten. Zum einen lässt der Text in der Großen Heidelberger Liederhandschrift offen, wie die Sprechrollen verteilt sind. Außerdem steht Gottfrieds Bemühen um kunstvolle Wortspiele und den äquivoken Reim so sehr im Vordergrund, dass syntaktische und semantischer Eindeutigkeit zweitrangig ist. Drittens hält Gottfried die Deutung bewusst offen, um erotische Deutungen weder offenkundig zu machen noch auszuschließen. Viertens ist nicht vor der Hand zu weisen, dass mit der Erwähnung Botenlaubens ein Verweisspiel mit zeitgenössischen Bezügen beginnt, das für uns Heutige wegen der dürftigen Quellenlage nicht nachvollziehbar ist.

Bild: Digitalisat von Gottfrieds Jch wolde niht erwinden. In: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848; Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse) — Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340, unter: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0071

Den Text eröffnet ein lyrisches Ich. Es bekundet zunächst, es wolle nicht „erwinden“, also nicht ruhen (oder: aufhören oder aufgeben). Der männliche Sprecher sagt rückblickend, er sei mit Windhunden („winden“) ausgeritten - noch im selben Jahr („hiure“), an einem Tag, an dem kühle Winde wehen – vermutlich im Frühjahr oder im Herbst. Die Jagd mit Windhunden war männliches Privileg: Während die Jagd mit Hermelinen oder Falken auch von hochgestellten Frauen betrieben wurde. Ziel der Reise ist ein Ort namens „Winden“; ungeklärt ist, ob es sich tatsächlich um Winnenden handelt – Knod (1877), der das so angibt, beruft sich auf Besitzungen der Herren von Neifen (oder Neuffen) bei Winnenden. Wie auch immer: Der Reiter sieht eine junge Frau (eine „maget“) beim „Winden“. Das Mädchen kann durchaus adelig sein; das Garnspinnen ist eine von Frauen jeglichen Stands ausgeübte Tätigkeit. Denkbar ist aber auch ein Wortspiel – das mittelhochdeutsche Wort „garn“ bezeichnet auch die im Vogelfang üblichen Garne. Das wäre plausibel, wenn man davon ausgeht, dass das Mädchen den Reiter zumindest aus der Sicht des Sprechers lockt und einwickelt, gewissermaßen umgarnt. Jedenfalls will der Ritter sie verführen oder zumindest von sich überzeugen („uberwinden“). Der Begriff „maget“ deutet an, dass das Mädchen noch unberührt ist - in diesem Sinn wird der Begriff im Mittelhochdeutschen gelegentlich auch (metaphorisch) auf Männer angewandt.

Das Mädchen ist „sældebære“; sie spendet also Heil und Wohl. Es spricht den Ritter an und teilt ihm mit, er sei ihr angemessen, „gebære“, und zwar sowohl heimlich (stille) als auch offenkundig (offenbære). Er bringe ihr Freude und sei kaum zu entbehren. Deshalb solle Gott auch jener, die ihn hervorgebracht, seiner Mutter, Gutes bringen.

Sie spricht ihn höflich an („ir“) und fordert ihn auf, er möge sich selbst das „ringe[n] uf der louben“ gestatten. Ob er mit sich selbst ringen soll, sich zu einer Entscheidung durchringen, oder ob er mit ihr „ringen“ soll (in erotischem Sinn), das bleibt offen. Das Wort „loube“ ist vieldeutig – vielleicht ist damit eine jahreszeitliche Einordnung möglich: Es wird so viel Zeit vergehen, dass das Lindenlaub austreibt oder fällt, ehe das sprichwörtliche Botenlauben fällt. Wahrscheinlich jedoch ist, dass mit der ein gedeckter Gang oder der Ort vor der Kemenate gemeint ist, vor dem Gemach. Das Verb „ringen“ ist nun auch wieder vieldeutig. Dass er mit sich selbst kämpft, vor dem Gemach, ist nicht völlig abwegig; eine erotische Bedeutung ist ebenfalls möglich.

Denkbar wäre, dass das Mädchen dem Sprecher versichert, er werde eher die Mauern der Burg Botenlauben brechen als – so wäre zu ergänzen – ihren Widerstand. Botenlauben ist eine 1204 gegründete Höhenburg bei Bad Kissingen, in der 1220 bis 1242 der Henneberger Otto von Botenlauben und seiner Frau Beatrix von Courtenay – also in der Zeit, in der auch Gottfried von Neifen beurkundet ist. Auch Otto von Bottenloben ist Minnesänger – der Hinweis kann als ehrende Nennung verstanden werden. Im Zusammenhang mit der folgenden Strophe ist aber auch möglich, dass es sich um eine heute nicht mehr verständliche Anspielung handelt.

Das Mädchen fragt also weiter, ob denn der Streit entschieden sei, den der Ritter entscheiden sollte. Sie fügt hinzu, er sei so klug („bescheiden“). Sie versichert ihm zuletzt Treue, wobei sie das Stilmittel des Adynatons einsetzt: Eher werde die Welt untergehen, als dass sich das Mädchen und ihr Geliebter („trûtgeselle“) trennten.

Quellen

Internet

Bibliographie

  • Gottfried von Neifen: Lied 27. In: Carl von Kraus: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Band I: Text. Zweite Auflage, durchgesehen von Gisela Kornrumpf. Tübingen 1978. S. 111.
  • Kraus, Carl von (Hg.): Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Bd. 1: Text. 2. Aufl., durchges. von Gisela Kornrumpf. Tübingen: 1978 (= KLD).
  • Bartsch, Karl (Hg.): Deutsche Liederdichter des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts. Eine Auswahl. Leipzig 1864.
  • Uhl, Wilhelm: Unechtes bei Neifen. Paderborn 1888.
  • Hagen, Friedrich Heinrich von der (Hg.): Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Aus allen bekannten Handschriften und früheren Drucken gesammelt und berichtigt, mit den Lesarten derselben, Geschichte des Lebens der Dichter und ihrer Werke, Sangweisen der Lieder, Reimverzeichnissen der Anfänge und Abbildungen sämmtlicher Handschriften. 5 Tle. in 4 Bden. und ein Atlas. Leipzig, Berlin 1838–1856 (= HMS).