Rede über das Gendern

Wer, wenn nicht wir? Wir hüten den Gral deutscher Sprachkunst. Wir, die wir Deutsch unterrichten, sind mutig in der Verteidigung des Schönen; ängstlich in der Sorge ums Wahre. Denn Sprache ist Macht: Sie lenkt unsere Blicke und prägt unsere Meinungen. Sprache kann verdammen oder freisprechen, einengen oder loslösen, Einfalt festzurren oder Vielfalt entfalten.

Schulen sind Orte gleichberechtigter Teilhabe. Hier lernen Kinder, dass unser Fühlen und Denken wichtiger ist als Geltung, Besitz und Aussehen. Schulen sind Orte der Fülle, der Bewegung, nicht starrer Gewissheit. Hier wird gefragt, gezweifelt, gelernt. Schulen sind Orte der Freiheit – menschlicher Freiheit, über das eigene Selbstverständnis zu entscheiden. Wir sprechen eine Sprache für alle. Aus Respekt vor anderen – und vor uns selbst.

Unsere Sprache gibt uns vor, wie wir die Welt betrachten. Deshalb ist Arbeit an der Sprache zugleich Arbeit an uns selbst und damit Arbeit an der Gesellschaft. Es ist nicht so, dass Sprache die Wirklichkeit verformt – sie stellt lediglich fest, dass sich die Wirklichkeit geändert hat und passt sich ihr an. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist im Wandel und muss sich weiter wandeln: Wir brauchen keine Rollenzwänge mehr, kein Aussortieren und Herabwürdigen.

Manche unter euch sind überfordert. Das Gendern geht euch gegen den Strich. Oft beruft ihr euch dabei auf das generische Maskulinum, als sei es ein Naturgesetz, eine Erfindung des Weltgeists. Das ist es nicht. Das generische Maskulinum ist die zum Maßstab erhobene Herrschaft der Männer, über Jahrhunderte verfestigt. Zahllose Studien belegen: Verwenden wir das generische Maskulinum, fühlen sich vor allem Männer angesprochen.

Wir lehnen die angemaßte Macht der Unkundigen über die Sprache ab. Manche, die uns erklären wollen, was sprachliche Schönheit ist, haben schon schwerstes Wortgeröll auf die Schulwege gekippt; sie haben Sprachgesträuche wuchern lassen aus den Pausenhöfen, haben Schablonen verkauft und Klischees gepanscht. Ihr sagt, ihr wisst, wann Sprache schön ist? Ihr wisst, was einfach ist und klar und praktisch? Wo, bitte, sind eure Verse, wo eure Wörterbücher?

Ihr seid Unbefugte im Bergwerk der Sprache. Beschwert euch nicht. Wäre euer Stil besser, ihr bräuchtet nicht zu gendern. Aber träg, wie ihr seid, bringt ihr keine Sätze zustande, die uns alle treffen und dennoch klar sind.

Nein, wir wollen nicht, dass ihr stolpert über Schrägstriche; ihr sollt nicht in Lücken gleiten und nicht zerschellen am Doppelpunkt; erhellen wollen wir, wollen so schreiben, dass keine Sternchen nötig sind, uns die Pfade auszuleuchten. Eifrige und Faule, Lernende und Lehrende: Auf den lichtdurchfluteten Fluren unserer Schulsprache geht es mühelos dahin. Wir weisen euch von Hauptsache zu Hauptsache ins Ziel. Und: Wir kommen ohne Passiv aus und müssen keine Wortgebirge bilden.

Eine Sprache für alle macht das Geschlecht unsichtbar; wir brauchen es nicht, wo wir nicht gerade davon sprechen. Davon zu sprechen kann durchaus nötig sein: Könige hat es gegeben und Königinnen, Bachen und Eber gibt es, in Ordnung. Aber wir leben nicht in Urzeiten oder Urwäldern, wir leben hier, wir leben jetzt. Im Sekretariat und im Rektorat sitzen vor allem Menschen. Schulleitung, Kollegium, Jugendliche, Eltern – es bedarf keiner Zuweisungen nach Geschlechtern. Was sie tun oder nicht tun, denken und sagen, das ist es, was für uns zählt, nicht ihr Geschlecht.

Nicht ohne Anspruch ist unsere Sprache, aber doch so einfach, dass wir sie alle mühelos verstehen: Ob ihr die Schulflure putzt oder die Tafel, ob ihr Aufsicht führt oder Bus fahrt – ihr seid alle gemeint. Was wir sprechen, ist klares, schönes Deutsch, kein hochnäsig vorgetragenes Kauderwelsch. Niemand ist abgehängt, alle sind mitgenommen.

Die Schule ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Ihr staatlicher Auftrag gilt allen, ausnahmslos. Kann der Staat alle einbeziehen? Hier zeigt es sich. Das verlangt nach einer Sprache, die keine künstlichen Zäune errichtet oder Gräben aushebt. Beginnen wir also! Denn: Eine bessere Sprache ist möglich.