Das materialgestützte Verfassen eines argumentierenden Texts

Ein neues Aufgabenformat mit immerhin 19 Silben beerbt den Essay als Schreibform im Abi. Die Kultusministerien schaffen damit eine stärkere Vergleichbarkeit eurer Ergebnisse und etwas mehr Alltagsbezug. Gestärkt werden soll eure Fähigkeit, Sachtexte auszuwerten und zu kommentieren. Ihr findet hier eine Übersicht zur Schreibform und Tipps zur Gestaltung.

Was heißt „materialgestütztes Verfassen eines argumentierenden Texts“?

Erst seit dem Abitur 2021 gibt es diese Schreibform. Sie hat folgende Merkmale:

  • Du verwendest ein Dossier, das aus verschiedenen Materialien besteht; das können Zitate sein oder ganze Texte;
  • Diese Materialien beziehen sich auf ein bestimmtes Thema;
  • Du musst alle Materialien berücksichtigen;
  • Darüber hinaus sollst aber auch eigenes Wissen einbringen;
  • Mit eurem Text schreibt ihr in einer Rolle zu einem fiktiven Anlass (z. B. als Schüler, der einen Kommentar verfasst);
  • Dabei wird euch eine Textsorte vorgegeben (in Baden-Württemberg: immer ein Kommentar);
  • Auch die Funktion des Texts wird in der Regel festgelegt (z. B. ein Kommentar, der in der Schülerzeitung veröffentlicht werden soll);
  • Selbst die Adressaten sind vorgegeben (z. B. die Lehrerschaft, die Schulleitung oder die Schulgemeinschaft)
  • Im Abitur wird auch die Länge eures Kommentars begrenzt – das sind etwa 1000 bis 1500 Wörter).

Was ist ein Kommentar?

Die schulische Aufsatzform des Kommentars kennt ihr aus dem Englischunterricht – dort heißt sie „Comment“. Der schulische Kommentar unterscheidet sich vor allem durch seine Länge von journalistischen Kommentaren.

  • Kommentare beziehen sich auf ein bestimmtes Ereignis oder ein Zeitproblem;
  • In der Regel ist das Thema von kultureller oder zeitgeschichtlicher Bedeutung;
  • In eurem Kommentar beziehst du Position – in der Rolle, die du beim Schreiben einnimmst;
  • Eure Meinung müsst ihr begründen, mit nachvollziehbaren Argumenten;
  • Die Standpunkte anderer müsst ihr sachlich bewerten;
  • Kommentare stützen sich auf eine mehr oder minder profunde Sachkenntnis;
  • Sie sollen zur Meinungsbildung beitragen – du formulierst daher verständlich und prägnant;
  • Überleitungen und eine klare Leserführung sind wichtig;
  • Auch Stilmittel tragen zur Prägnanz bei, aber vermeide eine Überdosis;
  • Kommentare bestehen aus einer Vorstellung des Themas, einem Argumentationsteil und einer Stellungnahme;
  • Drei Ziele verfolgt ihr mit einem Kommentar: Erstens wollt ihr eure Leserschaft anregen, sich mit dem Thema auseinandersetzen; zweitens wollt ihr sie überzeugen; drittens wollt ihr dadurch zur Meinungsbildung beitragen.

Wie ist ein Kommentar aufgebaut?

Kommentare sind in der Regel fünfteilig, wobei die Anordnung der Teile variieren kann. :

  • Einstieg: Im Einstieg weckst du die Aufmerksamkeit deiner Leser und zeigst, warum dein Thema wichtig ist und arbeitest heraus, worin das Problem eigentlich liegt. Du kannst mit einem prominenten Beispiel beginnen, das Einzigartige des Themas herausstellen, das Rätselhafte oder Paradoxe daran herausstellen oder Widersprüche des Themas stilistisch zuspitzen. Achte darauf, den Leser behutsam zum Thema hinzuführen – wenn dein Einstieg nicht zum Problem hinführt, wird er zum Aufhänger.
  • Darstellung des Themas: Zunächst muss das Thema vorgestellt werden. Diese Vorstellung sollte korrekt sein, also keine Unterstellungen und Verfälschungen enthalten. Sie sollte außerdem konzise sein, also nur das Wesentliche enthalten. Materialien bindest du mit direkter Rede ein (als Zitat) oder in indirekter Rede (umschreibend und zusammenfassend). Mit Verben des Sagens und Meinens machst du deutlich, was genau die Urheber de Materialien tun: etwas beschreiben, erläutern, als Beispiel anführen, erklären oder kritisieren.
  • These: Aus der Darstellung des Themas lässt sich eine klare These gewinnen, eine Behauptung, der du zustimmen kannst oder der du widersprechen musst.
  • Argumentationsteil: Im Argumentationsteil solltet ihr euch kritisch mit der These auseinandersetzen, indem ihr sie stützt oder entkräftet, Widersprüche aufzeigt oder Ausnahmen feststellt. In der Stellungnahme zählen die Stimmigkeit und Überzeugungskraft eurer Darstellung. Achte auf Klarheit und Folgerichtigkeit.
  • Fazit und Ausblick: Nach der Auseinandersetzung mit der These verlangt die Leserschaft nach einem Ergebnis: Was soll man nun denken oder tun? Daraus ergibt sich ein Ausblick: Welche möglichen Folgen hätte eine veränderte Einstellung zum Thema?

Was sind die Unterschiede zum journalistischen Kommentar?

Journalistische Kommentare, wie ihr sie in Zeitungen oder Online-Medien kennt, unterscheiden sich in einigen Punkten von der journalistischen Schreibform – deswegen müsst ihr beim Googeln auch etwas achtgeben, welche Form von Kommentar gemeint ist.

  • Journalistische Kommentare sind kürzer;
  • Sie beziehen sich in der Regel auf die aktuelle Nachrichtenlage, die in dem jeweiligen Medium behandelt wird;
  • Wer einen journalistischen Kommentar verfasst, der setzt voraus, dass seine Leserschaft mit dem Thema vertraut ist;
  • Manche sind oft einseitig und polemisch (Geradeheraus-Kommentar);
  • Andere verzichten auf eine klare Positionierung (Pro-Contra-Kommentar);
  • Am ehesten entspricht der Argumentationskommentar der schulischen Schreibform.

Womit müsst ihr in einem Dossier rechnen?

  • Dossiers enthalten in der Regel nicht mehr als fünf Materialien;
  • Der Gesamtumfang dürfte je nach Material zwischen 1800 und 2500 Wörtern liegen;
  • Diese Materialien werden so ausgewählt, dass sie eine begrenzte Zahl von Aspekten enthalten;
  • Es sind nur Sachtexte enthalten;
  • Andere Quellen können vorkommen, dürfen aber nicht interpretationsbedürftig sein: viele Grafiken, Karikaturen, Gedichte, Glossen oder Tabellen fallen damit aus; ausgeschlossen sind Meinungstexte und besonders Kommentare;
  • Achtet auf die Reihenfolge der Materialien: zuerst werdet ihr ins Thema eingeführt, dann findet ihr konkrete Beispiele.

Wie wird deine Arbeit bewertet?

Für die Bewertung eurer Kommentare gilt, wie auch sonst: Die Qualität ist entscheidend, nicht die Menge. Die Bewertung ist ganzheitlich, das heißt, eine Bepunktung dient nur als Hilfsmittel für euch und die Lehrerschaft – der Gesamteindruck zählt. Hier sind die wichtigsten Kriterien zum materialgestützten Verfassen argumentierender Texte:

Für eure Einleitung gilt:

  • Sie ist knapp.
  • Sie regt zum Lesen an.
  • Sie führt zum Thema hin.
  • Du verwendest keine Floskeln.

Für die Gliederung gilt:

  • Sie ist klar erkennbar.
  • Sie ist vollständig.
  • Die Elemente bauen sinnvoll aufeinander auf.

Für die Behandlung des Themas gilt:

  • Es wird von Anfang an klar, worum es geht.
  • Wichtige Grundbegriffe werden erläutert.
  • Für den Einsatz der Materialien gilt:
  • Du verwendest alle Materialien.
  • Sie sind sinnvoll miteinander verknüpft.
  • Sie werden formal korrekt einbezogen.

Für die Argumentation gilt:

  • Du unterscheidest eigene Meinung, fremde Meinung und Tatsachen.
  • Du trennst Argumentation und Bewertung.
  • Du deckst verschiedene Aspekte ab.
  • Du berücksichtigst auch Gegenargumente.
  • Du verwendest nur wichtige Argumente.
  • Deine Argumentation überzeugt.
  • Die einzelnen Argumente sind klar voneinander abgegrenzt.
  • Sie passen zur These.
  • Sie sind klar aufgebaut.
  • Du verwendest auch eigene Argumente.
  • Du kannst eigenes Fachwissen einbeziehen.

Für das Fazit gilt:

  • Es enthält eine präzise Aussage zum Thema.
  • Deine Position wird deutlich.
  • Du gibst einen Ausblick auf künftige Entwicklungen.

Für Sprache und Stil gelten:

  • Du schreibst für dein jeweiliges Publikum.
  • Du schreibst klar und präzise.
  • Dein Stil ist eigenständig und markant.
  • Der Satzbau ist durchschaubar und variantenreich.
  • Du verwendest kurze, gebräuchliche und einfache Wörter.
  • Du schreibst konkret, nicht abstrakt.
  • Du verwendest keine unnötigen Synonyme.

Büchners „Woyzeck“ als Schullektüre? Kommentar

Aufgabenstellung

Die Textsorte Kommentar ist an anderer Stelle bereits vorgestellt worden. Hier soll es nun darum gehen, Hinweise zur Bearbeitung einer literarischen Aufgabenstellung zu geben – am Beispiel von Georg Büchners „Woyzeck“. Stellen wir uns folgende Aufgabe vor:

Ein namhafter Stuttgarter Verlag bittet im Rahmen eines Preisausschreibens um Einsendungen für einen Band „Woyzeck in der Schule“. Auf Vorschlag Ihres Deutschlehrers beteiligen Sie sich an diesem Wettbewerb. Gezeigt werden soll, ob es sich heute noch lohnt, den „Woyzeck“ als Schullektüre zu behandeln. Verfassen Sie diesen Kommentar im Umfang von 1000 bis 1500 Wörtern auf der Basis der vorliegenden Materialien!

Einleitung

In der Einleitung des Kommentars sollten alle Vorgaben der Aufgabe durchscheinen. Hier ist ein Kommentar zu verfassen, der sich als Wettbewerbsbeitrag versteht. Eine gewisse Regionalität („Stuttgarter Verlag“) ist möglich. Außerdem sollte deutlich werden, was das umfassende Thema ist („Woyzeck in der Schule“) und welche Frage zu erörtern ist: Lohnt es sich noch, den Woyzeck in der Schule zu behandeln? Bereits hier solltest du andeuten, welche Position du später beziehen wirst. Die Einleitung verlangt außerdem von dir, dass du dem Leser einen Leseanreiz bietest – das kannst du leisten, indem du Fragen stellst, Kontraste schaffst, stilistische Glanzlichter setzt und die Aktualität des Themas betonst. Es kann sinnvoll sein, den Anlass einzubeziehen. Zwingend erforderlich ist, dass der Zielgruppe klar wird, warum das Thema relevant ist.

Einige schlottern bereits: In wenigen Tagen könnte uns Georg Büchners „Woyzeck“ von 1837 im Abitur begegnen. Nun könnte man mit Recht behaupten: Ein lediglich in Fragmenten erhaltenes Drama aus dem 19. Jahrhundert tauge nicht zur Schullektüre. Die Sprache wirkt verwinkelt und unzugänglich, der Stoff ist nicht leicht bekömmlich. Sollte man den „Woyzeck“ also verstauben lassen und künftige Schülergenerationen davor bewahren? Wir setzen einiges aufs Spiel, wenn wir vorschnell urteilen und ein äußerst komplexes und herausforderndes Werk der Vergessenheit überantworten.

Darstellung des Themas

Der Informationsteil sollte alle Informationen aus dem Dossier zusammenführen. Die unterschiedlichen Dimensionen des Themas sollten thematisch geordnet werden. Du versorgst das Publikum mit dem erforderlichen Wissen, damit es das Thema selbstständig beurteilen kann. Dabei ist es wichtig, die Zitierregeln zu beachten. Das Dossier solltest du nicht namentlich erwähnen, auch die einzelnen Materialien nicht als „Materialien“ kennzeichnen. Du arbeitest damit, als hättest du sie selbst zusammengetragen. Für das Zitieren hast du zwei Möglichkeiten: Du kannst umschreiben, wo du Leitgedanken wiedergibst, oder direkt zitieren, wo es dir auf den Wortlaut ankommt. Bedenke, dass du in der Paraphrase, also der Umschreibung, die Regeln der indirekten Rede beachten musst – besonders also den Konjunktiv richtig einsetzen. Es ist sinnvoll, die unterschiedlichen Standpunkte zum Thema auszuführen, ohne sie hier schon zu erörtern. Wichtig ist überdies, dass du dem Publikum bewusst machst, wo du zu einem neuen Aspekt übergehst. Hilfreich ist oft, wenn du Teilaspekte mit Überblickssätzen einführst und dann aufzählst. In aller Regel wirst du die Quelle so nennen, wie sie auch in der Presse eingeführt wird. Das bedeutet: Du nennst Autor und Datum (oder Jahr) der Veröffentlichung, gibst das Medium und den Titel des Beitrags an, verzichtest aber auf Seitenzahlen und Zeilenvermerke. Da es sich um Themen handelt, die aus dem Unterricht bekannt sein sollten, wird „domänenspezifisches Wissen“ erwartet. Das bedeutet, du musst eigenes Fachwissen aus dem Unterricht einbringen, das sich nicht aus dem Dossier ableiten lässt. Wer Materialien aus dem Dossier auslässt oder kein eigenes Wissen zum Thema beisteuert, wird keine sehr guten Bewertungen erwarten können.

Der „Woyzeck“ begegnet uns in der Schule immer wieder. So meint das Autorenkollektiv von Wikipedia beispielsweise, das Stück habe sich „einen festen Platz im Kanon schulischer Lektüren“ gesichert. Das Online-Lexikon weist darauf hin, dass es in Nordrhein-Westfalen Abi-Lektüre sei. Auch in Baden-Württemberg ist Büchners „Woyzeck“ seit 2023 Abiturstoff. Doch woher kommt diese Wertschätzung des Stücks, was den Unterricht angeht? Man könnte meinen, die Geschichte eines Mannes, den seine sozialen Umstände und eine Erbsendiät in den Wahnsinn treiben, eignete sich nicht als Schullektüre – vor allem dann nicht, wenn der Protagonist zusätzlich seine Lebenspartnerin ersticht. Victoria M. Stiles nennt 1993 fünf Gründe für die Popularität des Stücks in der Schule. Die Sprache sei „relativ einfach“, das Stück ist mit seinen knapp 40 Reclam-Seiten recht kurz. Sie findet sogar, der Handlungsverlauf sei „fesselnd“, die Themen „zeitlos“. Zu Recht weist sie darauf hin, dass es zahlreiche Woyzeck-Bearbeitungen in Oper und Film gebe, die sich sehr gut als Unterrichtshilfe eigneten. Eine solche Bearbeitung belegt, dass sich auch Schüler für den „Woyzeck“ erwärmen können. Wie Ole Wackermann am 13.10.2022 im NDR berichtet, hat die Hamburger Schülerin Asin Andkohiy den Klassiker in Jugendsprache adaptiert. Die Bearbeitung kommt so gut an, dass der Reclam-Verlag ihre Version drucken lässt. Auch verfilmt wurde der Stoff, nicht nur von Werner Herzog, dessen „Woyzeck“ mit Klaus Kinski im Unterricht gerne gezeigt wird. Im Oktober 2013 dreht Regisseur Nuran David Calis eine modernisierte Filmfassung: Woyzeck, den Tom Schilling spielt, lebt mit seiner Freundin Marie im Berliner Wedding und dem unehelichen Kind im Berliner Wedding. Anstelle Erbsen zu essen oder Stöcke zu schneiden, reinigt er mit seinen Kollegen Andres und Louis die U-Bahn-Tunnel. Diese Beispiele zeigen, dass der „Woyzeck“ offenbar noch längst nicht ausgeschöpft ist. In der Tat weisen zahlreiche Autoren auf das Potenzial des Stücks hin. Ein anonymer Autor schreibt in einer Interpretation für die Internetseite XLibris, der „Woyzeck“ zeige die „fundamentale Einsamkeit des (modernen) Menschen“ – eine Bemerkung, deren Richtigkeit man im Zeitalter digitaler Vereinsamung kaum bezweifeln kann. Aber nicht nur für Zeitkritik eignet sich das Stück. In seinem Beitrag „Warum Woyzeck? – Wert und Didaktik“, erschienen 2016 in „Politische Bildung im Theater“, geht Ingo Juchler vor allem auf die gesellschaftskritische Dimension des Stücks ein. Das Drama zeige die „Mechanismen und damit genau die Momente, welche die Spannungen und Konflikte moderner Gesellschaftsstrukturen erschaffen“. Juchler führt aus, dass der Woyzeck in seiner fragmentarischen Form und in seiner realistischen Behandlung des Stoffs hervorragend für den Einsatz in der Schule eigne. Was für Lehrer und Schulautoren unbestreitbar ist, sehen Schüler jedoch oft anders. Das belegen einschlägige Rezensionen auf Amazon: Das Buch sei ein „überdurchschnittlich teurer Kaminanzünder“, meint Maximilian M., und Jann urteilt, er würde dem „schwachsinnigen Buch“ nicht mehr als „null sterne“ (sic) vergeben.

Hauptteil: These und Argumentation

Du beginnst den Hauptteil damit, die Aufgabenstellung aufzugreifen – zum Beispiel, indem du die Leitfrage in abweichendem Wortlaut noch einmal stellst. Gegebenenfalls musst du erläutern, wie du dich der Leitfrage nähern willst und was sie bedeutet. Wo nötig, kannst du wichtige Rahmenumstände erläutern und Kernbegriffe definieren. Auch hier ist geistige Ordnung zentral: Gib dem Publikum zu verstehen, wo ein neuer Aspekt eingeführt wird. Hier wurden beispielsweise zwei Zielgruppen definiert, denen jeweils Argumente aus unterschiedlichen Dimensionen begegnen: Argumente zu Form und Inhalt des „Woyzeck“, angepasst an die Realität der Schule. Du musst nun klar Position beziehen, aber auch unterschiedliche Ansichten zum Thema gelten lassen. Ironie und Häme haben im Kommentar dagegen keinen Platz. Beim Argumentieren gilt weiterhin, dass du Behauptungen begründen musst und an einem Beleg dessen Richtigkeit veranschaulichen. Einzelne Argumentationsschritte verbindest du mit strukturierenden Formulierungen („Also“, „daher“), die unterschiedlichen Argumentationsblöcke grenzt du voneinander ab. Es ist durchaus möglich, noch einmal auf das Dossier zurückzukommen, wo es sich anbietet.

Wie verhält es sich also? Sollte man den „Woyzeck“ auf den Kehrrichthaufen der Geschichte kippen? Oder hat er der Schule tatsächlich noch etwas zu bieten? Dazu ist es wichtig, die wesentlichen Akteure des Geschehens zu betrachten: Lehrer und Schüler.

Für Schüler wirft Büchners Drama viele Hürden auf, was die bereits zitierten Schülermeinungen zum „Woyzeck“ belegen. Die Sprache ist reich an Metaphern und Anspielungen, die viele Vorkenntnisse voraussetzen. Ohne einen umfangreichen Anhang und ständiges Recherchieren kommt man mit dem Text nur schwer zurecht. Das Fragmentarische macht es zudem schwer, eine klare Handlungslinie festzustellen. Immer wieder stößt man, je nach Quelle, auf abweichende Szenenanordnungen. Das verunsichert, wenn man sich um eine schlüssige Gesamtdeutung bemüht. Abgesehen von solchen methodischen Problemen stößt man auch auf inhaltliche Herausforderungen. So hält sich Büchner sehr zurück dabei, den Mord an Marie zu verurteilen. Woyzecks Tat wird durch die Umstände erklärt – man könnte fast sagen, sie wird als Beziehungstat entschuldigt. Das passt nicht in eine Zeit, die Femizide als solche erkennt und anspricht. Durchaus zeitgerecht ist allerdings, dass sich der „Woyzeck“ intensiv mit sozialer Ungleichheit befasst. Nach wie vor ist die ungleiche Verteilung des Wohlstands ein Problem, das unsere Gesellschaft spaltet. Die Folgen sozialer Verwahrlosung treffen vor allem die, die wie „Woyzeck“ wenig haben. Auch der Zynismus des Doktors und die toxischen Männlichkeitsvorstellungen des Tambourmajors finden wir in unserem Alltag wieder. Problematische Versuchsreihen und rücksichtslose Wissenschaftler gibt es immer noch, ebenso eingebildete Pick-up-Artists, die sich von Frauen nicht in ihre Grenzen weisen lassen. Es ist wichtig, dass man im Unterricht darüber spricht, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.

Auch aus der Lehrerperspektive könnte man sagen, gerade mit Bezug auf den Stoff: Das Stück ist durchaus aktuell. Die Drastik der Handlung und die Offenheit der Sprache provoziert die Schüler, ohne sie einzuschüchtern. Das Fragmentarische des Damas ist dabei kein Nachteil, sondern bietet praktische Vorteile: So lassen sich einzelne Szenen aus dem Kontext lösen und konzentriert behandeln, beispielsweise das „Märchen der Großmutter“. Zudem ist das Stück durch seine Kürze rasch zu lesen und im Unterricht leicht durchzublättern, wenn man damit arbeitet – das unterstreicht auch die schon erwähnte Einschätzung von Victoria Stiles. Jedoch borgt der Text auch Gefahren. Denkbar ist, dass der „Woyzeck“ besonders verletzliche Schüler retraumatisiert. Woyzecks Darstellung als schlechter Esser könnte besonders Schülern mit einer Magersucht zusetzen. Noch schwerer erträglich ist die Mordszene. Kann man Schülerinnen mit massiven Gewalterfahrungen zumuten, wie Woyzeck mit einem Messer auf Marie einsticht? Andererseits kann man die Schüler nicht in Watte packen. Die Behandlung von Gewalt und psychischer Not ist heute so wichtig wie nie. Nur, indem man gesellschaftliche Probleme anspricht, wie das der „Woyzeck“ nach Ingo Juchler in bemerkenswerter Weise tut, kann man sie bewusst machen und lösen. Dabei bietet die Literatur einen entscheidenden Vorteil: Das Geschehen ist fiktiv, wenn es auch auf historischen Quellen beruht.

Fazit

Das Fazit sollte sich deutlich vom Hauptteil absetzen – durch Formulierungen wie „abschließend“ oder eine Frage zum Gesamtergebnis. Erneut muss die Leitfrage aufgegriffen und klar beantwortet werden. Dazu kann in einer kompromisshaft vermittelnden Weise die Gegenseite anklingen. Dieses Fazit solltest du begründen, indem du Gründe darlegst, die im Kontext des Kommentars ausschlaggebend sind. Neue Argumente sind hier nicht mehr sinnvoll. Daraufhin machst du deutlich, welche Konsequenzen deine Entscheidung hat oder haben könnte – im Guten und Schlechten. Verständlicherweise will das Publikum zuletzt noch wissen, wie es sich verhalten soll – erst recht beim Eintreten dieser Folgen. Manchmal kann es sinnvoll sein, die Klammer zum Anfang des Aufsatzes zu schließen, indem du das Motiv aus den Anfangszeilen aufgreifst.

Kann man abschließend festhalten, dass der „Woyzeck“ seine Stellung im Curriculum der Oberstufe behalten sollte? Trotz aller Sperrigkeit und inhaltlichen Zumutungen? Unbedingt! Der „Woyzeck“ ist eines der ersten Werke, dass sich sozialer Probleme in dieser Klarheit annimmt, ohne zu moralisieren. Es wirkt durch seine fragmentarische Rohheit nicht so glatt und unnahbar wie andere Klassiker. Verwirft man den „Woyzeck“, gibt man außerdem ein Werk auf, das für die Schule hervorragend erschlossen ist, das sich im Unterricht bewährt hat. Man sollte Büchners soziales Drama also beibehalten. Das heißt nicht, dass sich in der Behandlung des Werks nichts ändern muss. Gerade das Beispiel von Asin Andkohiys jugendsprachlicher Fassung zeigt deutlich, dass Schüler sich mit Gewinn auf den „Woyzeck“ einlassen können. Wenn Lehrer offen sind für Experimente und bereit dazu, über Fächergrenzen hinwegzugehen und Kreativität zuzulassen, dann kann der „Woyzeck“ in der Schule viel Gutes bewirken. Dann wird man auch im Abitur den „Woyzeck“ nicht mit Zähneklappern erwarten, sondern ganz gefasst.