Das japanische Theater

Das Theater Japans ist vor allem nach 1900 in eine enge Wechselwirkung mit dem Theater des Westens getreten. Vor allem das Nō und das Kabuki sind von großer Bedeutung für die Entwicklung des Theaters weltweit.

Warum sollte man sich mit dem japanischen Theater befassen?

Abgesehen vom hohen Grad der Körperbeherrschung und Intensität, den das japanische Theater verlangt, gibt es auch theatergeschichtliche Gründe, weswegen das Theater Japans auch für uns von Belang ist:

  • Das Bugaku beeinflusste die Entwicklung der modernen Musik (Karlheinz Stockhausen) und den modernen Tanz (George Balanchine);
  • Das Kyōgen hat nach 1945 die westliche Inszenierungspraxis beeinflusst, etwa durch Shakespeare-Adaptionen im Kyōgen-Stil;
  • Formen der japanischen Bühne werden im Westen adaptiert, etwa der Hanamichi durch Max Reinhardt (in Sumurûn);
  • Elemente des japanischen Bühnentanzes, etwa im Nō und im Kabuki, werden im Westen übernommen (Eleonora Duse, Isadora Duncan, Loïe Fuller);
  • Das Nō-Theater beeinflusst vielfach die westliche Theaterpraxis (z. B. Brechts Der Ja-Sager, 1929).

Begriffe aus dem japanischen Theater

Kagura: Pantomimische Maskentänze mit Bezug zum Shintō; als Miko-Kagura von weiblichen Schamaninnen getanzt, die als Sprachrohr der Göttin (kami) wirkte; das rituelle Ise-Kagura zur spirituellen Reinigung; das mit Löwenmaske getanzte und burleske Shishi-Kagura; das Izumo-Kagura zur Unterhaltung der Götter; das Mi-Kagura als höfischer Ritualtanz;

Gigaku: Ursprünglich aus Zentralasien stammende Prozessionsmaskerade zur Musikbegleitung, abgeschlossen durch Einzel- und Gruppentänze; seit dem Mittelalter nicht mehr aufgeführt und theaterpraktisch erloschen;

Sangaka: Von chinesischen Vorbildern abgeleitete Burleske, zusammengestellt als Revue aus Einzelszenen;

Bugaku: Tänzerisches Erzähldrama des japanischen Kaiserhofs, abgeleitet von chinesischen Vorbildern; oft mit üppiger Kostümausstattung und großformatigen Holzmasken; typisch ist ein festes Gestenrepertoire (Schreiten, Aufstampfen), schlicht gekleidete Bühnenassistenten übergeben den Figuren auf der Bühne Requisiten;

Sarugaku (später: Sarugaku-Nô): Aus China übernommene Tanzpantomime mit akrobatischen Elementen, aufgeführt als höfischer Unterhaltungstanz

Gengaku: Kultisches Tanzspiel, das auf abgeernteten Reisefeldern von wandernden Komödianten aufgeführt wurde;

: Unter Ashikaga Yoshimitsu etabliertes Tanzdrama, im japanischen Spätmittelalter unter dem Einfluss des Zen entwickelt von Kanami Kyotsugu und Zeami Motokiyo als Verbindung höfischer Normen, des Samurai-Ethos und des populären Tanzdramas;

Bunraku: Traditionelles japanisches Puppentheater;

Kabuki: Schauspielertheater mit spektakulären Bühneneffekten;

Shingeki: Von Europa beeinflusstes modernes Theater Japans, dessen Rollen nun auch Frauen offenstehen, das die Aufführungsdauer kürzt und stärker auf den Text setzt als auf visuelle Effekte; maßgeblich waren Tsuboichi Shōyōs „Theater der literarischen Gesellschaft“ (1906) und das „Freie Theater“ (1909) von Osanai Kaoru und Ishikawa Sadanji;

Angura: Experimentelles Untergrund- und Avantgardetheater Japans, das sich stärker auf das traditionelle japanische Theater besinnt, besonders auf Nō und Kabuki; maßgeblich beeinflusst durch Kara Jūrōs „Theater der Situation“ (1963), Suzuki Tadeshis „Waseda-Zimmertheater“ (1966) und das „Theater der oberen Galerien“ von Terayama Shūji (1967);

Butō: Ritualhaftes Tanz- und Performance-Theater nach Hijikata Tutsumi und Ōno Kazuo; angeregt von Harald Kreuzbergs Besuch in Japan (1934) entsteht ein Theater der Nacktheit, das Tabus bricht und mit greller Bemalung provoziert.

Was ist Nō?

Ästhetik: Zentrale Begriffe der Nō-Ästhetik sind: yūgen (erhabene Anmut), monomane (modellhaft andeutende Nachahmung), hana (Vollkommenheit der Darstellung durch völlige Hingabe), kokoro (harmonisches Zusammenspiel aller Prinzipien), rojaku (Schönheit durch Erfassung des Wesens), muskin (intuitive Schönheit).

Typische Elemente: Typisch sind symbolische Gesten (kata), die als Gestenrepertoire in jedem Stück vorkommen (katazuke); das Spiel als Einheit von Musik, Maske und Schauspiel wird von einem flankierenden Chor begleitet; insgesamt etwa 260 Masken gehören zu 20 Basistypen und tragen zur Rollenerfüllung bei; auch Fächer spielen als Requisiten eine wichtige Rolle und können je nach Handhabung Gegenstände darstellen. Die Musik wird von der Querflöte (nōkan) und der Hüfttrommel (ōtsuzumi) bestimmt, zuweilen kommt eine Standtrommel (taiko) zum Einsatz, die vom Trommler (kakegoe) vokal begleitet wird; charakteristisch sind die Langsamkeit des Spiels und der aus einer Grundhaltung entwickelte schleifende Schritt. Wichtig ist auch die Maske, in die sich der Schauspieler vor der Aufführung versenkt – sie entscheidet, welches Kostüm angelegt wird.

Genres: Im Nō werden verschiedene Genres gespielt: Im genzai-nō ist der Schauplatz die reale Welt, die Stücke des mugen-nō spielen in einer Traumwelt, beim geki-nō steht das dramatische Geschehen im Mittelpunkt, im furyū-nō der Tanz.

Aufbauprinzipien: Eine Aufführungsfolge des Nō folgt dem Prinzip des jo-ha-kyu: Zunächst soll Spannung aufgebaut werden (jo), es folgt das dramatische Geschehen selbst (ha), dann wird Ruhe und Ausgleich erwartet (kyu).

Aufführungspraxis: Die Stückfolge besteht traditionell aus fünf Stücken; sie beginnt mit einem Stück, in dem eine Gottheit auftritt (kami); es folgt ein Stück mit einem männlichen Krieger (asura); eine Dame (katsura) schließt sich an; es folgt eine wahnsinnige Frau (kyōran) und ein Dämon (kichiku). Nach jedem der Einzelstücke lockert ein heiteres Zwischenspiel (kyōgen) die Aufführung auf, ehe das Schlusstück (kiri-mono) die Folge abschließt.

Bühnenform des Nō: Die zur Seite und nach vorne offene Bühne wird über einen Blumensteg (hanamichi) zur Seite betreten und verlassen; die Bühne ist in neun Segmente eingeteilt, die Brücke in drei; hinter einem Vorhang können sich die Darsteller umkleiden; die Bühne ist weitgehend undekoriert (bis auf stark vereinfachte Requisiten, die oft nur aus Brokat und Bambusstäben bestehen), die Kiefer auf der rückwärtigen Wand veranschaulicht die Anwesenheit einer Gottheit; der Bühnenboden besteht aus Holzbrettern, die über Tonkrügen liegen und den Schall der Schritte verstärken; jeder der vier Pfeiler, die das Dach des Theaterraums tragen, hat eine Funktion: Der Flötenpfeiler (fuebashira) markiert den Ort, wo der Flötenspieler und die anderen Musiker sitzen; der Waki-Pfeiler (wakebashira) markiert den Sitzplatz des Waki, des Nebendarstellers; der Augenmerkpfeiler (metsukebashira) dient dem maskierten Hauptdarsteller als Orientierungshilfe; beim Shite-Pfeiler (shitebashira) beginnt der Auftritt des Shite, des Hauptdarstellers; auf einem Streifen am Bühnenabschluss nach hinten sitzt der Spielaufseher (kōken).

Die Kyōgen: Die Zwischenspiele des Nō sind im Volkstheater verwurzelt; auch hier spielen ausschließlich Männer, auch hier werden Masken getragen, die Kostüme sind jedoch schlichter und einfacher im Material; statt Musik und Tanz steht die Sprache im Mittelpunkt. Hauptcharaktere sind die Gottheit (kami), der reiche Grundbesitzer (daimyō), der einfache Bauer (shomyō), die gewitzten Diener (tarō-kaya, jirō-kaya), ein Bräutigam (muko), ein buddhistischer Mönch (shukke) und ein Dämon (oni).

Was ist Bunraku?

Textgrundlage: Grundlage des vor allem in Ōsaka praktizierten Bunraku sind seit Chikamatsu Monzaemon überwiegend heroische Stoffe aus den Bürgerkriegen und Sagen des japanischen Mittelalters, besonders aus dem Heike Monogatari.

Personal: Hauptfigur ist der Sänger und Rezitator (tayū), der alle Sprech- und Gesangrollen übernimmt; er wird von einem Shamisen-Spieler begleitet; drei schwarzgekleidete Puppenspieler sind der Konvention nach unsichtbar: Der Meister bewegt die rechte Hand und den Kopf der Puppe, der ältere Schüler die linke Hand und der jüngere Schüler die Füße.

Gliederung: Frühere Bunraku-Stücke dauerten den ganzen Tag; sie sind in fünf Akte aufgeteilt, üblicherweise endet die Handlung am Ort, an dem sie begonnen hat; alle Akteure sind traditionell Männer, es gibt aber auch von Frauen gespielte Sonderformen.

Was ist Kabuki?

Stoffe: Kabuki verbindet Stoffe aus dem Kyōgen mit Elementen des Volkstanzes: Oft geht es um Täuschung und Intrige, aber auch Liebes-, Streit- und Geisterszenen kommen vor;

Merkmale: Typisch sind weißgrundige, starre Schminkmasken; blaue Linien kennzeichnen den Bösewicht, rot erscheint der Held; ebenso auffallend sind reiche, farbkräftige und weit geschnittene Kostüme sowie drastische Gesten, manchmal mit erotischer Konnotation; besonders beklatscht wird das Einfrieren aus dem Spiel heraus, bei der charakteristische Posen entstehen (mie); auch blitzschnelle Kostümwechsel auf offener Bühne sind üblich;

Besetzung: Ursprünglich spielten im Kabuki auch Frauen; 1629 wurde dieser Brauch untersagt, und statt des Frauen Kabuki (onna kabuki) entstand das künstlerische Frauenfach, das von Knaben gespielt wurde (onna gata).

Bühne: Die Spielfläche wird durch einen geraden Blumenweg erreicht, der von der Rückwand des Zuschauerraums im linken Drittel durch das Parkett verläuft; die leicht erhöhte und gegenüber dem Nō vergrößerte Spielfläche weist eine exponierte Stelle auf, den Sieben-drei-Punkt (Shichi-nō-san), die den Schauspieler vom Geschehen distanziert; die Begleitmusiker sitzen auf der Bühne; früher als in Europa wird die Drehbühne eingesetzt (mawari butai), es gibt auch Hebe- und Senkvorrichtungen für Geistererscheinungen.

Bibliographie

  • Brauneck, Manfred: Kleine Weltgeschichte des Theaters. München: C. H. Beck, 2014
  • Lee, Sang-Kyong (Hg.): Japanisches Theater, Tradition und Gegenwart. Wien: Literas, 1990
  • Japanisches Kulturinstitut: Klassische Theaterformen Japans : Einführungen zu Noo, Bunraku und Kabuki. Köln: Böhlau, 1983
  • Dembski, Ulrike (Hg.); Steiner-Strauss, Alexandra; Bethe, Monica: Nô-Theater: Kostüme und Masken. Wien: Brandstätter, 2003
  • Kindermann, Heinz (Hg.), Horsten, Erich: Einführung in das ostasiatische Theater. Wien: Böhlau, 1985 (Maske und Kothurn; Beiheft; 7)