Das Publikum im Theater

Rolle des Publikums

Theater ist auch ohne Publikum möglich. Ist es anwesend, hat das Publikum jedoch verschiedene Funktionen:

  • Konsumenten schauspielerischer Leistung und des Theatererlebnisses insgesamt;
  • Zahlende Kundschaft;
  • Adressatenkreis des Stücks;
  • Motivationsquelle für die Schauspieler;
  • Unberechenbare Störungsquelle;
  • Rückmelderaum für die Schauspieler;
  • Interaktionsmöglichkeit.

Formen und Grad der Einbeziehung

  • Spiel ohne Publikum: Es wird ohne Publikum inszeniert, handelt sich jedoch um Theater (nicht um ein Ritual);
  • Spiel gegen die Vierte Wand: Das Publikum ist gegenwärtig, wird aber ausgeblendet;
  • Ad spectatores: Das Publikum wird aus der Rolle heraus angesprochen;
  • Aufgreifen von Äußerungen des Publikums: Äußerungen des Publikums werden in die Handlung einbezogen (z. B. beim Theatersport und generell beim Improvisationstheater);
  • Nutzung des Zuschauerraums: Die Schauspieler bleiben in der Rolle, dringen jedoch in den Zuschauerraum ein;
  • Spiel mit dem Publikum im Zuschauerraum: Die Schauspieler interagieren im Zuschauerraum mit dem Publikum;
  • Zuschauer als Mitspieler auf der Bühne: Zuschauer werden auf die Bühne geholt und ins Stück einbezogen;
  • Aus der Rolle treten: Schauspieler treten aus der Rolle und interagieren mit dem Publikum.

Publikum und Bühne

  • Griechisch-römische Arena-Bühne: Das Publikum umgibt die Spielfläche und schaut von oben auf das Geschehen.
  • Elisabethanische Apron-Stage: Das Publikum blickt entweder von unten oder von oben auf die in den Zuschauerraum vorragende Bühne.
  • Guckkastenbühne: Zuschauerraum und Bühnenraum sind durch die Rampe und den Orchestergraben voneinander getrennt.
  • Environment: Die Schauspieler teilen sich mit dem Publikum einen Raum, in der Regel sind Schauspieler von Publikum umgeben.
  • Straßentheater: Schauspieler und Publikum teilen sich einen nicht-theatralen Raum, meist handelt es sich um zufällig vorbeikommendes Publikum.

Publikum

  • Professionelles Publikum: Regisseure, Schauspieler, Kritiker und andere Theaterleute mit theaterspezifischem Vorwissen, Einblick in die Methodik und Bühnenerfahrung;
  • Theatererfahrene und Theaterkenner: theateraffines und theatererfahrenes Publikum mit breitem Hintergrundwissen
  • Gesellschaftlich motiviertes Publikum, etwa im Logenbereich, deren Besuch weniger der Aufführung gilt als dem Repräsentieren und der Pflege des Netzwerks („sehen und gesehen werden“);
  • Einmalbesucher, Ad-hoc-Theatergänger und Abonnementspublikum, ohne Vorkenntnisse, oft auch ohne spezifische Rezeptionserwartungen;

Mittel der Beeinflussung des Publikums

  • Einrichtung und Veränderungen der Sitzordnung;
  • Aufhebung der Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum;
  • Beleuchtung und Ausstattung des Publikumsraums;
  • Claqueure, Lohnklatscher für Szenen- und Schlussapplaus;
  • Sämtliche Werbemittel, Plakate, Trailer, Flyer…;
  • Text- und Programmhefte;
  • Regiegespräche, Nachgespräche mit Schauspielern.

Übungen

  • Ad spectatores: Aus der Rolle heraus hält der Schauspieler seinen Monolog und versucht damit, das Publikum direkt anzusprechen.
  • Langweiler: Das Publikum wird instruiert, den Schauspieler zu ignorieren und sichtbare Zeichen der Langeweile von sich zu geben.
  • Posieren: Ein Publikum wird gebildet. Ein Schauspieler steht bewusst langsam auf, läuft auf das Publikum zu, wirft sich in Pose und wirft ihm eine Kusshand zu, bevor er sich wieder setzt. Dann ist der nächste am Zug.
  • Rivalen: Ein Publikum wird gebildet. Zwei Schauspieler stehen zwei Meter von einander entfernt und rivalisieren um die Aufmerksamkeit des Publikums.
  • Aufmerksamkeitslenkung: Das Publikum wird angewiesen, dem Schauspieler ins Gesicht (auf die Körpermitte, auf die linke Hand) zu schauen. Der Schauspieler lenkt (und genießt) die Aufmerksamkeit des Publikums.

Bibliographie

  • Fischer-Lichte, Erika: Die Entdeckung des Zuschauers: Paradigmenwechsel auf dem Theater des 20. Jahrhunderts. Tübingen: Francke, 1997
  • Popp, Helmut (Hrsg.: Theater und Publikum. München: Oldenbourg, 1978
  • Schütz, Theresa: Theater der Vereinnahmung: Publikumsinvolvierung im immersiven Theater. Berlin: Theater der Zeit, 2022 (Theater der Zeit. Recherchen; 164)
  • Bach, Konrad: Das Lachen in der Aufführung: Eine Theorie des Zuschauerlachens zwischen Komik und Interaktion. Berlin: Neofelis, 2020
  • Hochholdinger-Reiterer, Beate (Hrsg.): Publikum im Gegenwartstheater. Symposium „Publikum im Gegenwartstheater“ (2017: Bern). Berlin: Alexander Verlag, 2018
  • info
  • Korte, Hermann; Jakob, Hans-Joachim (Hgg.): „Das Theater glich einem Irrenhause“: Das Publikum im Theater des 18. und 19. Jahrhunderts. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2012
  • Kindermann, Heinz: Das Theaterpublikum der Antike. Salzburg: Mueller, 1979; s. a. ders.: Das Theaterpublikum der Renaissance, ebd., 1974, 1976 sowie Das Theaterpublikum des Mittelalters, ebd., 1980
  • Dreßler, Roland: Von der Schaubühne zur Sittenschule: Das Theaterpublikum vor der vierten Wand. Berlin: Henschel, 1993