Eine literarische Erörterung schreiben

Grundsätzliches

  • Auch eine literarische Erörterung ist eine Erörterung. Das bedeutet, es gelten die Regeln argumentativen Schreibens.
  • Grundlage für die Argumentation ist oft ein Schwerpunktwerk (in der Regel ein längeres Erzählwerk oder Drama), es können aber auch andere Textsorten Grundlage der Erörterung sein.
  • Aufgrund des Umfangs der Quelle genügen meist indirekte Zitate, die nicht im Wortlaut erfolgen. Direkte Zitate sind aber punktuell erwünscht und sinnvoll.

Zielrichtungen der literarischen Erörterung

Eine literarische Erörterung thematisiert…

  • Wahrnehmungsweisen: Zeigen Sie, wie Treichel die Perspektive eines Kindes nachstellt, das in einer traumatisierten Familie aufwächst.
  • Menschenbilder: Zeigen Sie, welche Frauenbilder in „Der Verlorene“ entworfen werden.
  • Gesellschaftsentwürfe: Welches Bild der Nachkriegsgesellschaft entsteht in „Der Verlorene“?
  • Wirklichkeitsauffassungen: Ist Treichels Erzählung dokumentarisch?
  • Fragen nach unterschiedlichen Arten der Gestaltung: Welche Bedeutung hat die personale Erzählsituation für Treichels „Der Verlorene“?
  • gattungspoetische Fragestellungen: Ist Treichels „Der Verlorene“ eine Familienerzählung?
  • Fragen nach der literaturgeschichtlichen Einordnung von Texten: Inwiefern gehört Treichels „Der Verlorene“ in eine Tradition des Schreibens über Flucht und Vertreibung?
  • Fragen nach deren Rezeption und Wertung: Wie wurde Treichels Erzählung in den Rezensionen unmittelbar nach dem Erscheinen beurteilt?
  • Aspekte und Probleme des literarischen Lebens: Lässt sich Treichels Erzählung für revisionistische Geschichtspolitik missbrauchen?

Beispielaufgabe

„Das Buch „Der Verlorene“, die genaue und sensible Erkundung eines bislang weitgehend tabuierten Erzählterrains - der Traumata der Flucht als Folge des verlorenen Krieges -, weist ohne jeden Fingerzeig über das individuelle Schicksal dieses einen Falles hinaus. Wie der Schock hier zunächst im Familiengeheimnis versiegelt wird, wie das stillschweigend Erlittene Energien für den wirtschaftlichen Aufstieg freisetzt, um dann doch an die Oberfläche zu kommen - das ist in Treichels Erzählung mustergültig Bild geworden.“

Quelle: Volker Haage: Auf der Suche nach Arnold, 23.03.1998, Spiegel (13)

  1. Erläutern Sie mit Bezug zu Treichels „Der Verlorene“, wie die Familie nach Volker Haage mit dem Verlust des Sohnes und Bruders umgeht.
  2. Erörtern Sie mit Bezug zum Werk, inwiefern Treichels Erzählung über die Darstellung eines individuellen Familienschicksals hinausgeht und Zeitgeschichtliches aufgreift.

Die Aufgabenstellung 

Die literarische Erörterung zu einem der Schwerpunktthemen besteht oft aus zwei Teilen:

  • aus einem ersten Teil, in dem erläutert werden soll, wie bestimmte Themen und Motive in den jeweiligen Werken vorkommen („Analysiere“, „Untersuche“, „Zeige“, „Erläutere“, Stelle dar“);
  • aus einem zweiten Teil, bei dem ein Sachverhalt am Text geprüft und erörtert wird („Erörtere“, „Setze dich auseinander mit …“).

Dazu sollen aus einem Außentext Aspekte gewonnen werden, die am Text nachgewiesen werden. Solche Außentexte können sein:

  • Zitate aus dem betreffenden Schwerpunktwerk selbst;
  • Zitate aus der Sekundärliteratur (Aufsätze, Rezensionen);
  • Selbstzeugnisse des Autors;
  • Artikel aus Nachschlagewerken.

Anschließend müsst ihr erläutern, inwiefern die so gewonnenen Aspekte auf das jeweilige Werk zutreffen.

Für die nachfolgende Erörterung sind folgende Modelle denkbar. Erörtert werden soll …

  1. ob bestimmte Aspekte anwendbar sind (Aspekt 1 – ja / nein, Aspekt 2 – ja – nein);
  2. eine Entscheidungsfrage zum Werk (Trifft … auf A zu?);
  3. eine Auswahlfrage zum Werk (Trifft … auf A oder auf B?).

Arbeitsschritte

1 - Analyse der Aufgabenstellung

  1. Erläutern Sie mit Bezug zu Treichels „Der Verlorene“, wie sich der Verlust des Sohnes und Bruders nach Volker Haage auf die Familie des Ich-Erzählers auswirkt.
  2. Erörtern Sie mit Bezug zum Werk, inwiefern Treichels Erzählung über die Darstellung eines individuellen Familienschicksals hinausgeht und Zeitgeschichtliches aufgreift.

Teil 1: Wer erläutert, soll Textaussagen und Sachverhalte auf der Basis von Kenntnissen und Einsichten differenziert darstellen, anhand von Beispielen aus dem Text. Hier: Gefragt ist, welche Einflüsse Volker Haage darstellt („nach Volker Haage“). Es sind außerdem alle Familienmitglieder, deren Verhalten dargestellt werden soll („des Sohnes und Bruders“).

Teil 2: Wer erörtert, soll eine These oder Problemstellung, eine Argumentation durch Für-und-Wider- oder Sowohl-als-Auch-Argumente abwägend prüfen: auf ihren Wert und ihre Stichhaltigkeit. Auf dieser Grundlage soll man eine Schlussfolgerung oder eigene Stellungnahme entwickeln. Hier: Geprüft werden soll, inwiefern Treichels Erzählung also nicht nur ein „individuelles Familienschicksal“ darstellt (das wird vorausgesetzt), sondern auch „Zeitgeschichtliches“ aufgreift. Dazu sind Kenntnisse über die Kriegs- und Nachkriegszeit nötig, in der Treichels Erzählung spielt.

2 - Konzept des Analyseteils

 2.1 - Analyse des Zitats: Aufspalten in Aspekte

Das Buch „Der Verlorene“, die genaue und sensible Erkundung eines bislang weitgehend tabuisierten Erzählterrains - der Traumata der Flucht als Folge des verlorenen Krieges -, weist ohne jeden Fingerzeig über das individuelle Schicksal dieses einen Falles hinaus. Wie der Schock hier zunächst im Familiengeheimnis versiegelt wird, wie das stillschweigend Erlittene Energien für den wirtschaftlichen Aufstieg freisetzt, um dann doch an die Oberfläche zu kommen - das ist in Treichels Erzählung mustergültig Bild geworden.

Die relevanten Aspekte finden sich allesamt im zweiten Satz. Gesucht wird danach, wie Traumata sich auf das Verhalten der Familienmitglieder auswirken. Als Aspekte aus dem Zitat bieten sich an: das Verschweigen („das stillschweigend Erlittene“) und die Kompensation durch Erfolg („Energien für den wirtschaftlichen Aufstieg“). Auch die offene Trauer (der Durchbruch „an die Oberfläche“) zählt dazu.

2.2 - Anordnen der Aspekte

Sollten die Aspekte nicht ohnehin sinnvoll angeordnet sein, muss man sie ordnen: in logischer oder zeitlicher Folge. In unserem Fall sind sie bereits in eine zeitliche Reihe gebracht. Man muss also nichts weiter tun, als sie mit je einigen Zeilen Abstand aufs Konzept zu bringen.

  • Verschweigen
  • Kompensation
  • Offene Trauer

2.3 - Ergänzen des Belegmaterials

Nun werden Textbelege ergänzt. Das Material sollte in Stichwortsätzen formuliert sein, Hinweise auf die relevanten Seiten sind nützlich.

  • Verschweigen: das Gespräch mit der Mutter endet mit „Tränen oder Schweigen“, S. 12
  • Kompensation: der Vater wird „aktiver“, er „büßt durch Arbeit“, S. 57
  • Offene Trauer: die Mutter trauert, weint oder drückt den Ich-Erzähler an sich, S. 74

3 - Konzept des Erörterungsteils

3.1 - Formulieren der Leitfrage

Für das Konzept des Erörterungsteils sollte man zunächst eine klare Entscheidungsfrage formulieren, die nach Möglichkeit positiv formuliert ist.

Leitfrage: Inwiefern greift „Der Verlorene“ Zeitgeschichtliches auf?

3.2 - Definieren der Problembegriffe

Um größtmögliche Trennschärfe herzustellen, sollte man die fraglichen Begriffe definieren. In unserem Fall ist das der etwas schwammige Begriff „Zeitgeschichtliches“. Da die Handlung in den vierziger Jahren beginnt und anfangs der Sechziger endet, kann man „Zeitgeschichtliches“ näher bestimmen.

  • Zeitgeschichtlich = historische Entwicklungen von der Endphase des ersten Weltkriegs bis zum Beginn der sechziger Jahre.

3.3 - Positionen benennen

Nun müssen die gegensätzlichen Positionen festgelegt werden.

  • PRO: „Der Verlorene“ kann als Erzählung eines individuellen Familienschicksals aufgefasst werden.
  • CONTRA: „Der Verlorene“ ist durchaus eine Erzählung mit allgemeiner zeitgeschichtlicher Bedeutung.

3.4 - Sammeln der Argumente

Zunächst werden die Argumente in tabellarischer Form zusammengestellt werden. Dem Erörterungsaspekt stehen jeweils These und Antithese gegenüber.

ERÖRTERUNGSASPEKT

THESE: „Der Verlorene“ ist durchaus eine Erzählung über individuelle Schicksale.

ANTITHESE: „Der Verlorene“ kann als zeitgeschliche Erzählung mit allgemeiner Bedeutung aufgefasst werden.

Rolle des Vaters

Der Vater steigt zur Kompensation des Traumas gesellschaftlich auf.

Er wird jedoch zur Symbolfigur des Wirtschaftswunders.

Verhältnis des Vaters zum Sohn

Das distanzierte Verhältnis des Ich-Erzählers zum Vater ist psychologisch von Belang.

In den Fünfzigern waren Väter ihren Söhnen gegenüber häufig kalt und abweisend, schon deswegen, weil viele mit traumatischen Erfahrungen aus der Gefangenschaft zurückkehrten.

Trauma der Mutter

Das Trauma der Mutter wird detailliert beschrieben und stark individualisiert.

Andererseits steht die Mutter für viele Tausende von Flüchtlingsfrauen mit ähnlichen Erfahrungen.

3.5 - Ordnen der Argumente

Die Argumente sollten so angeordnet sein, dass die innere Logik ihres Zusammenhangs deutlich wird. Dazu werden sie im Konzept nummeriert.

THESE: „Der Verlorene“ ist durchaus eine Erzählung über individuelle Schicksale.

ANTITHESE:  „Der Verlorene“ kann als zeitgeschliche Erzählung mit allgemeiner Bedeutung aufgefasst werden. 

(1) Das Leiden der Mutter wird detailliert beschrieben.

(1) Andererseits steht die Mutter für viele Tausende von Flüchtlingsfrauen mit ähnlichen Erfahrungen.

(2) Das distanzierte Verhältnis des Ich-Erzählers zum Vater ist psychologisch von Belang.

(2) In den Fünfzigern waren Väter ihren Söhnen gegenüber häufig kalt und abweisend, schon deswegen, weil viele mit traumatischen Erfahrungen aus der Gefangenschaft zurückkehrten.

(3) Der Vater steigt zur Kompensation des Traumas gesellschaftlich auf.

(3) Er wird jedoch zur Symbolfigur des Wirtschaftswunders.

3.6 - Ausbau der Argumentation mit Textbelegen

Je nachdem, ob es die Aufgabenstellung zulässt, ist jede These zu begründen.

CONTRA: „Der Verlorene“ ist durchaus eine Erzählung über individuelle Schicksale.

PRO:  „Der Verlorene“ kann als zeitgeschliche Erzählung mit allgemeiner Bedeutung aufgefasst werden. 

(ARG 1) (TH) Das Leiden der Mutter ist als persönliches Schicksal und als Ausdruck ihres individuellen Traumas erkennbar, (BEGR) weil es detailliert beschrieben wird. (BGR) Zudem wird ihr Verhalten durch den Blick des Ich-Erzählers individualisiert, etwa dann, (BL) wenn sie den Erzähler an sich drückt (S. 74). Es fehlt außerdem an Hinweisen auf andere Schicksale.

(G-ARG 1) (TH) Andererseits steht die Mutter für viele Tausende von Flüchtlingsfrauen mit ähnlichen Erfahrungen. Wenngleich Vergleichsfiguren in der Erzählung fehlen, (BGR) lässt sich das Geschehen historisch einordnen, (BL) zum Beispiel, wenn von Rakowiecz die Rede ist, dem Herkunftsort des Elternpaars. Ihr Leid versinnbildlicht also das Trauma einer ganzen Generation, von Gewalt und Verlust.

(ARG 2) (TH) Der Ich-Erzähler hat ein distanziertes Verhältnis zum Vater. (BEGR) Diese Distanz ergibt sich aus dem zerrütteten Verhältnis zur Mutter und ist insofern dem individuellen Trauma der Familie geschuldet. (BL) Die Zerrüttung des Vater-Sohn-Verhältnisses wird überdeutlich, als der Vater den Sohn entwertet, indem er ihm Schweinehirn anbietet, damit er klüger werde.

(ARG 2) (TH) Demgegenüber ist der Vater zugleich ein Vertreter einer überkommenen Vaterrolle. (BGR) In den Fünfzigern waren viele Väter ihren Söhnen gegenüber kalt und abweisend, schon deswegen, weil viele mit traumatischen Erfahrungen aus der Gefangenschaft zurückkehrten. Auch die Einübung der zeittypischen Männerrolle, (BL) die in der Schlachtfest-Szene (S. 38 ff.) deutlich wird, zeigt, dass der Vater auch als Prototyp gesehen werden kann.

(ARG 3) (TH) Der Vater ist als Gewinner der Wirtschaftswunderjahre persönlich charakterisiert. (BGR) In der Erzählung kompensiert er durch seinen Einsatz als Unternehmer die eigene Unsicherheit im Umgang mit seiner traumatisierten Frau, (BL) beispielsweise als er versucht, sie aufzumuntern (S. 80). Er modernisiert das Wohnhaus der Familie (S. 76), verändert sich beruflich und ersteht mehrfach neue Autos (S. 80).

(ARG 3) (TH) Darüber hinaus wird er jedoch zur Symbolfigur des Wirtschaftswunders. (BGR) Einerseits bildet er die tatsächliche Neuorientierung der jungen Bundesrepublik ab, (BGR) andererseits symbolisiert es die Bereinigung der kollektiven Identität von der Kriegsschuld. (BL) Insbesondere der Umbau des Hauses weist darauf hin.

4 - Reinschrift

4.1 - Einleitung und Überschrift

In der Einleitung ist erforderlich:

  • eine zweiteilige Überschrift mit Hinweisen zur Textsorte des Aufsatzes, zum Thema des Außentexts und der Werkvorlage;
  • eine thematische Hinführung;
  • ein Basissatz mit den bibliographischen Daten der Werkvorlage (Autor, Titel, Textsorte, Verlag, Erstausgabe);
  • der Inhalt des Vergleichswerks in einem Satz und Hinweise zur Gesamtdeutung.

BEISPIEL

Individuelles Trauma oder kollektive Katastrophe? Literarische Erörterung zu Hans-Ulrich Treichels Erzählung „Der Verlorene“

Aus persönlicher Not ein Kind wegzugeben ist eine traumatisierende Erfahrung. Sie kann schwerwiegende Folgen nicht nur für die Mutter, sondern für das gesamte Familiensystem haben. Dabei können diese Folgen sehr unterschiedlich ausfallen – das Erlebnis kann verschwiegen werden, kompensiert oder offen verarbeitet. Diese Verhaltensweisen spiegeln sich in Hans-Ulrich Treichels autobiographisch gefärbter Erzählung „Der Verlorene“. Erschienen ist sie 1998 bei Suhrkamp in Frankfurt am Main. Er spielt in den Fünfzigern in der der westfälischen Provinz und beschreibt aus der Sicht eines Ich-Erzählers, wie eine Familie unter dem Verlust des Sohnes Arnold leidet, den die Mutter bei der Vertreibung aus dem Osten einer fremden Frau in die Arme gelegt hat. „Der Verlorene“ erzählt nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Trauma.

4.2 - Inhaltsübersicht

Die Inhaltsübersicht ermöglicht dem Leser Orientierung im Werk. Wichtig ist, ...

  • dass die Gattung des Werks kurz bestimmt wird;
  • dass die Figuren mit ihrem Namen und ihrer Rolle eingeführt werden;
  • dass die Handlung zeitlich und räumlich eingeordnet wird;
  • dass die Handlung in groben Schritten dargestellt wird, und zwar so, dass die Leitfrage und der Außentext bereits berücksichtigt werden;
  • dass die Inhaltswiedergabe im Präsens erfolgt (und nicht im Präteritum wie bei einer Nacherzählung).

BEISPIEL

Auf der Flucht vor der Roten Armee legt die Mutter des Ich-Erzählers ihren erstgeborenen Sohn Arnold in die Hände einer fremden Frau. Während sie eine traumatisierende Vergewaltigung erlebt, geht ihr Sohn unwiederbringlich verloren. Nachdem sich die Familie in der westfälischen Provinz ansiedelt, kommt dort der Ich-Erzähler zur Welt. Sein Leben ist von vornherein vom Trauma der Familie überschattet. Er spürt, dass im Vordergrund sein Bruder Arnold steht, er selbst fühlt sich ungewollt und kämpft um eine eigene Identität. Der zunehmende Erfolg des Vaters kann das familiäre Trauma nicht tilgen, und so beschließen die Eltern, Arnold suchen zu lassen. Während der Ich-Erzähler immer mehr zum Stellvertreter des Bruders wird, stoßen die Eltern auf eine Spur. Es gibt starke Indizien dafür, dass „Findelkind 2307“ der verlorene Sohn sein könnte. Ein Nachweis gelingt jedoch nicht. Dennoch hält die Mutter selbst nach dem Tod an dieser Hoffnung fest, ehe das Werk mit einer Begegnung aus der Distanz endet. Die Identität des Findelkinds bleibt ungeklärt.

4.3 - Einführung in den Analyseteil

In der Einführung in den Analyseteil kommt es darauf an,

  • Die Anwendung des Außentexts thematisch zu begründen;
  • Das Zitat mit seinen bibliographischen Daten einzuführen (Autor, Titel, Medium, Jahr und Ort des Erscheinens);
  • In einem Überblickssatz die Anzahl der Analyseaspekte zu nennen,
  • Die Analyseaspekte zu zitieren und trennscharf zu definieren;
  • Zur Anwendung überzuleiten.

BEISPIEL

Die traumatische Erfahrung des Kindesverlusts lässt sich verdrängen, verleugnen oder verschieben, Volker Haage stellt in seiner 23.03.1998 im Spiegel erschienen Rezension Auf der Suche nach Arnold Überlegungen dazu an, wie sich dieses Trauma in der Familie des Ich-Erzählers auswirkt. Er unterscheidet dabei drei Aspekte. Zunächst wird es das „Erlittene“ laut Haage verschwiegen, dann wird es vor allem vom Vater kompensiert und liefert nach Haage „Energien für den wirtschaftlichen Aufstieg“. Schließlich wird mit dem Zusammenbruch der Mutter die offene Trauer notwendig: Haage spricht von einem Durchbruch des Traumas „an die Oberfläche“. Diese drei Aspekte prägen die Phasengliederung der Erzählung.

4.4 - Hauptteil der Analyse

In der Analyse selbst solltest du darauf achten,

  • Im Einleitungssatz den jeweiligen Aspekt der Analyse zu benennen;
  • Diesen Aspekt dann in seiner Bedeutung für das Werk zu erläutern,
  • Und die Aussagen am Text mit direkten und indirekten Zitaten zu belegen.

BEISPIEL

Zunächst wird das Erlebnis verschwiegen, wohl um den nachgeborenen Ich-Erzähler zu schonen. Dem entgeht jedoch nicht, dass ihm etwas Wesentliches verschwiegen werden soll. Das Gespräch mit der Mutter endet mit „Tränen oder Schweigen“ (S. 12). Schließlich erfährt er doch vom Verlust des Bruders. Vollständige Aufklärung erhält er jedoch nicht, allein der Leser erkennt die wahre Ursache des Traumas. Das Verschweigen verhindert eine aktive Bewältigung des Traumas, das sich dennoch auf das Familienleben auswirkt.

Auch die Kompensation durch Arbeit und geschäftlichen Erfolg trägt wenig zur Heilung der Familie bei. Während die Mutter zunehmend verstummt, wird der Vater „aktiver“, er „büßt durch Arbeit“ (S. 57). Durch den Umbau des Hauses sucht er sich zugleich abzulenken und das Trauma unsichtbar zu machen. Es gelingt ihm jedoch nicht, das Unbewältigte zu übertünchen.

Schließlich bricht das Trauma durch und äußert sich in offener Trauer. Nach einem seelischen Zusammenbruch trauert die Mutter, weint oder drückt den Ich-Erzähler an sich (S. 74). Selbst beim Schlachtfest, das der Familie kurze Momente der Ruhe und des Glücks ermöglicht, ist ihr Leiden offenkundig. Es ist vor allem das Leid der Mutter, das zur verzweifelten Suche nach Arnold führt.

4.5 - Schluss

Im Schluss des Analyseteils ist es wichtig,

  • die Aspekte noch einmal zusammenzufassen;
  • zu begründen, welcher Aspekt von besonderer Bedeutung ist;

BEISPIEL

Der Verlust Arnolds wird also zunächst verschwiegen, dann kompensiert, ehe das Trauma in offener Belastung aufbricht. Alle drei Auswirkungen des Traumas haben gemein, dass das Trauma nicht wirksam bearbeitet wird. Insbesondere das Schweigen wirkt sich fatal auf die soziale Dynamik der Familie aus.

4.6 - Überleitung zur Erörterung

Die Überleitung zum Erörterungsteil verlangt nach …

  • einer thematischen Hinführung zur Leitfrage;
  • Hinweisen zur Berechtigung der Erörterung mit Bezug auf das Werk;
  • einer indirekte Einführung der Leitfrage;
  • der Vorstellung der Positionen mit knapper Begründung;
  • der Leitfrage als Überleitung zum Hauptteil der Erörterung.

BEISPIEL

Der „Verlorene“ kann also als Erzählung eines Einzelschicksals betrachtet werden. Gleichzeitig entfaltet der Text seine volle Tragik als Dokument einer Epoche. Welche Lesart dominieren sollte, ist schwer zu entscheiden, aber für die Interpretation von Treichels Erzählung von einiger Bedeutung. Einerseits liegt es nahe, den autobiographisch gefärbten Text vor allem als Psychogramm einer traumatisierten Familie zu lesen. Andererseits weist der Text, wie Volker Haage in der eingangs erwähnten Rezension schreibt, als Erzählung aus Krieg und Aufbau „über das individuelle Schicksal dieses einen Falles hinaus“. Wie sollte man Treichels „Der Verlorene“ lesen: Als Familiengeschichte oder als Parabel auf das Trauma einer Generation?

4.7 - Hauptteil der Erörterung

Im Hauptteil der Erörterung ist es von Belang,

  • dass im Überblickssatz die Anzahl der Argumente genannt wird;
  • dass in einer Ergänzung zum Überblickssatz die einzelnen Thesen knapp umrissen werden;
  • dass abschnittsweise der jeweilige Aspekt der Erörterung genannt wird;
  • dass zunächst die These, dann die Gegenthese ausgeführt wird;
  • dass These und Gegenthese umfangreich und argumentativ stichhaltig begründet werden (wenn möglich, mehrfach);
  • dass die Begründungen auf solide Textarbeit gestützt werden;
  • dass dabei Textverweise, indirekte Zitate und direkte Zitate eingesetzt werden.

BEISPIEL

Drei Aspekte sind bei der Beantwortung dieser Frage wichtig: die Rolle des Vaters, sein Verhältnis zum Ich-Erzähler und das Trauma der Mutter.

Wie verhält es sich mit dem Trauma der Mutter? (ARG 1) (TH) Das Leiden der Mutter ist als persönliches Schicksal und als Ausdruck ihres individuellen Traumas erkennbar, (BEGR) weil es detailliert beschrieben wird. (BGR) Zudem wird ihr Verhalten durch den Blick des Ich-Erzählers individualisiert, etwa dann, (BL) wenn sie den Erzähler an sich drückt (S. 74). Es fehlt außerdem an Hinweisen auf andere Schicksale. (G-ARG 1) (TH) Andererseits steht die Mutter für viele Tausende von Flüchtlingsfrauen mit ähnlichen Erfahrungen. Wenngleich Vergleichsfiguren in Treichels Erzählung fehlen, (BGR) lässt sich das Geschehen historisch einordnen, (BL) zum Beispiel, wenn von Rakowiecz die Rede ist, dem Herkunftsort des Elternpaars. Ihr Leid versinnbildlicht also das Trauma einer ganzen Generation, von Gewalt und Verlust.

Darf man auch die Beziehung des Sohnes zum Vater als zeittypisch betrachten? (ARG 2) (TH) Der Ich-Erzähler hat ein distanziertes Verhältnis zum Vater. (BEGR) Diese Distanz ergibt sich aus dem zerrütteten Verhältnis zur Mutter und ist insofern dem individuellen Trauma der Familie geschuldet. (BL) Die Zerrüttung des Vater-Sohn-Verhältnisses wird überdeutlich, als der Vater den Sohn entwertet, indem er ihm Schweinehirn anbietet, damit er klüger werde. (ARG 2) (TH) Demgegenüber ist der Vater zugleich ein Vertreter einer überkommenen Vaterrolle. (BGR) In den Fünfzigern begegneten viele Väter ihren Söhnen gegenüber kalt und abweisend, schon deswegen, weil viele mit traumatischen Erfahrungen aus der Gefangenschaft zurückkehrten. Auch die Einübung der zeittypischen Männerrolle, (BL) die in der Schlachtfest-Szene (S. 38 ff.) deutlich wird, zeigt, dass der Vater auch als Prototyp gesehen werden kann.

Auch der Erfolg des Vaters kann sowohl individuell begründet oder aus der Epoche heraus gedeutet werden. (ARG 3) (TH) Der Vater ist als Gewinner der Wirtschaftswunderjahre persönlich charakterisiert. (BGR) In Treichels Erzählung kompensiert er durch seinen Einsatz als Unternehmer die eigene Unsicherheit im Umgang mit seiner traumatisierten Frau, (BL) beispielsweise als er versucht, sie aufzumuntern (S. 80). Er modernisiert das Wohnhaus der Familie (S. 76), verändert sich beruflich und ersteht mehrfach neue Autos (S. 80). (ARG 3) (TH) Darüber hinaus wird er jedoch zur Symbolfigur des Wirtschaftswunders. (BGR) Einerseits bildet er die tatsächliche Neuorientierung der jungen Bundesrepublik ab, (BGR) andererseits symbolisiert es die Bereinigung der kollektiven Identität von der Kriegsschuld. (BL) Insbesondere der Umbau des Hauses weist darauf hin. 

4.8 - Schluss

Im Schluss ist darzustellen,

  • welche Leitfrage verhandelt wurde;
  • welche Aspekte erörtert werden;
  • welcher der Aspekte besonderes Gewicht hat;
  • inwiefern eine Entscheidung möglich ist oder ein Kompromiss;
  • wie sich die Ergebnisse der Erörterung auf die Gesamtdeutung des Werks auswirken.

BEISPIEL

Die Trauer der Mutter, die Kompensationsbemühungen des Vaters und die Isolation des Ich-Erzählers kann man auf familiärer Ebene betrachten oder gesamtgesellschaftlich einordnen. Welche Deutung ist also maßgeblich – ist die Erzählung die fiktionale Darstellung eines Schicksals oder eine Parabel auf das Trauma von Krieg und Vertreibung? Letztlich sind die Parallelen der familiären Neuorientierung zur bundesrepublikanischen Gesellschaft der Fünfziger nicht von der Hand zu weisen. Sie verleihen der Erzählung ihre Relevanz. Liest man den Text als Dokument des kollektiven Traumas, gewinnt er eine bestürzende Aktualität. So wird deutlich, dass die Bewältigung eines Traumas eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Musteraufsatz

Individuelles Trauma oder kollektive Katastrophe? Literarische Erörterung zu Hans-Ulrich Treichels Erzählung „Der Verlorene“

[EINLEITUNG] Aus persönlicher Not ein Kind wegzugeben ist eine traumatisierende Erfahrung. Sie kann schwerwiegende Folgen nicht nur für die Mutter, sondern für das gesamte Familiensystem haben. Dabei können diese Folgen sehr unterschiedlich ausfallen – das Erlebnis kann verschwiegen werden, kompensiert oder offen verarbeitet. Diese Verhaltensweisen spiegeln sich in Hans-Ulrich Treichels autobiographisch gefärbter Erzählung „Der Verlorene“. Erschienen ist sie 1999 bei Suhrkamp in Frankfurt am Main. Er spielt in den Fünfzigern in der der westfälischen Provinz und beschreibt aus der Sicht eines Ich-Erzählers, wie eine Familie unter dem Verlust des Sohnes Arnold leidet, den die Mutter bei der Vertreibung aus dem Osten einer fremden Frau in die Arme gelegt hat. „Der Verlorene“ erzählt nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Trauma.

[INHALTSANGABE] Auf der Flucht vor der Roten Armee legt die Mutter des Ich-Erzählers ihren erstgeborenen Sohn Arnold in die Hände einer fremden Frau. Während sie eine traumatisierende Vergewaltigung erlebt, geht ihr Sohn unwiederbringlich verloren. Nachdem sich die Familie in der westfälischen Provinz ansiedelt, kommt dort der Ich-Erzähler zur Welt. Sein Leben ist von vornherein vom Trauma der Familie überschattet. Er spürt, dass im Vordergrund sein Bruder Arnold steht, er selbst fühlt sich ungewollt und kämpft um eine eigene Identität. Der zunehmende Erfolg des Vaters kann das familiäre Trauma nicht tilgen, und so beschließen die Eltern, Arnold suchen zu lassen. Während der Ich-Erzähler immer mehr zum Stellvertreter des Bruders wird, stoßen die Eltern auf eine Spur. Anatomische Untersuchungen und die Akten des Roten Kreuzes liefern starke Indizien dafür, dass „Findelkind 2307“ der verlorene Sohn sein könnte. Ein Nachweis gelingt jedoch nicht. Dennoch hält die Mutter selbst nach dem Tod an dieser Hoffnung fest, ehe das Werk mit einer Begegnung aus der Distanz endet. Die Identität des Findelkinds bleibt ungeklärt. Arnold bleibt verloren.

[ÜBERLEITUNG ZUR ANALYSE] Die traumatische Erfahrung des Kindesverlusts lässt sich verdrängen, verleugnen oder verschieben. Volker Haage stellt in seiner 23.03.1998 im Spiegel erschienen Rezension Auf der Suche nach Arnold Überlegungen dazu an, wie sich dieses Trauma in der Familie des Ich-Erzählers auswirkt. Er unterscheidet dabei drei Aspekte. Zunächst wird es das „Erlittene“ laut Haage verschwiegen, dann wird es vor allem vom Vater kompensiert und liefert nach Haage „Energien für den wirtschaftlichen Aufstieg“. Schließlich wird mit dem Zusammenbruch der Mutter die offene Trauer notwendig: Haage spricht von einem Durchbruch des Traumas „an die Oberfläche“. Diese drei Aspekte prägen die Phasengliederung der Erzählung.

[ANALYSE] Zunächst wird das Erlebnis verschwiegen, wohl um den nachgeborenen Ich-Erzähler zu schonen. Dem entgeht jedoch nicht, dass ihm etwas Wesentliches verschwiegen werden soll. Das Gespräch mit der Mutter endet mit „Tränen oder Schweigen“ (S. 12). Schließlich erfährt er doch vom Verlust des Bruders. Vollständige Aufklärung erhält er jedoch nicht, allein der Leser erkennt die wahre Ursache des Traumas. Das Verschweigen verhindert eine aktive Bewältigung des Traumas, das sich dennoch auf das Familienleben auswirkt. Auch die Kompensation durch Arbeit und geschäftlichen Erfolg trägt wenig zur Heilung der Familie bei. Während die Mutter zunehmend verstummt, wird der Vater „aktiver“, er „büßt durch Arbeit“ (S. 57). Durch den Umbau des Hauses sucht er sich zugleich abzulenken und das Trauma unsichtbar zu machen. Es gelingt ihm jedoch nicht, das Unbewältigte zu übertünchen. Schließlich bricht das Trauma durch und äußert sich in offener Trauer. Nach einem seelischen Zusammenbruch trauert die Mutter, weint oder drückt den Ich-Erzähler an sich (S. 74). Selbst beim Schlachtfest, das der Familie kurze Momente der Ruhe und des Glücks ermöglicht, ist ihr Leiden offenkundig. Es ist vor allem das Leid der Mutter, das zur verzweifelten Suche nach Arnold führt.

[SCHLUSS DER ANALYSE] Der Verlust Arnolds wird also zunächst verschwiegen, dann kompensiert, ehe das Trauma in offener Belastung aufbricht. Alle drei Auswirkungen des Traumas haben gemein, dass das Trauma nicht wirksam bearbeitet wird. Insbesondere das Schweigen wirkt sich fatal auf die soziale Dynamik der Familie aus.

[ÜBERLEITUNG ZUM ERÖRTERUNGSTEIL] Der „Verlorene“ ist zweifellos die Erzählung eines Einzelschicksals. Gleichzeitig entfaltet der Text seine volle Tragik als Dokument einer Epoche. Welche Lesart dominieren sollte, ist schwer zu entscheiden, aber für die Interpretation von Treichels Erzählung von einiger Bedeutung. Einerseits liegt es nahe, den autobiographisch gefärbten Text vor allem als Psychogramm einer traumatisierten Familie zu lesen. Andererseits weist der Text, wie Volker Haage in der eingangs erwähnten Rezension schreibt, als Erzählung aus Krieg und Aufbau „über das individuelle Schicksal dieses einen Falles hinaus“. Wie sollte man Treichels „Der Verlorene“ lesen: Als Familiengeschichte oder als Parabel auf das Trauma einer Generation?

[ERÖRTERUNG] Drei Aspekte sind bei der Beantwortung dieser Frage wichtig: die Rolle des Vaters, sein Verhältnis zum Ich-Erzähler und das Trauma der Mutter. Wie verhält es sich mit dem Trauma der Mutter? Das Leiden der Mutter ist als persönliches Schicksal und als Ausdruck ihres individuellen Traumas erkennbar, weil es detailliert beschrieben wird. Zudem wird ihr Verhalten durch den Blick des Ich-Erzählers individualisiert, etwa dann, wenn sie den Erzähler an sich drückt (S. 74). Es fehlt außerdem an Hinweisen auf andere Schicksale. Andererseits steht die Mutter für viele Tausende von Flüchtlingsfrauen mit ähnlichen Erfahrungen. Wenngleich Vergleichsfiguren in Treichels Erzählung fehlen, lässt sich das Geschehen historisch einordnen, zum Beispiel, wenn von Rakowiecz die Rede ist, dem Herkunftsort des Elternpaars. Ihr Leid versinnbildlicht also das Trauma einer ganzen Generation, von Gewalt und Verlust. Darf man auch die Beziehung des Sohnes zum Vater als zeittypisch betrachten? Der Ich-Erzähler hat ein distanziertes Verhältnis zum Vater. Diese Distanz ergibt sich aus dem zerrütteten Verhältnis zur Mutter und ist insofern dem individuellen Trauma der Familie geschuldet. Die Zerrüttung des Vater-Sohn-Verhältnisses wird überdeutlich, als der Vater den Sohn entwertet, indem er ihm Schweinehirn anbietet, damit er klüger werde. Demgegenüber ist der Vater zugleich ein Vertreter einer überkommenen Vaterrolle. In den Fünfzigern begegneten viele Väter ihren Söhnen gegenüber kalt und abweisend, schon deswegen, weil viele mit traumatischen Erfahrungen aus der Gefangenschaft zurückkehrten. Auch die Einübung der zeittypischen Männerrolle, die in der Schlachtfest-Szene (S. 38 ff.) deutlich wird, zeigt, dass der Vater auch als Prototyp gesehen werden kann. Auch der Erfolg des Vaters kann sowohl individuell begründet oder aus der Epoche heraus gedeutet werden. Der Vater ist als Gewinner der Wirtschaftswunderjahre persönlich charakterisiert. In der Erzählung kompensiert er durch seinen Einsatz als Unternehmer die eigene Unsicherheit im Umgang mit seiner traumatisierten Frau, beispielsweise als er versucht, sie aufzumuntern (S. 80). Er modernisiert das Wohnhaus der Familie (S. 76), verändert sich beruflich und ersteht mehrfach neue Autos (S. 80). Darüber hinaus wird er jedoch zur Symbolfigur des Wirtschaftswunders. Einerseits bildet er die tatsächliche Neuorientierung der jungen Bundesrepublik ab, andererseits symbolisiert es die Bereinigung der kollektiven Identität von der Kriegsschuld. Insbesondere der Umbau des Hauses weist darauf hin. 

[SCHLUSS DER ERÖRTERUNG] Die Trauer der Mutter, die Kompensationsbemühungen des Vaters und die Isolation des Ich-Erzählers kann man auf familiärer Ebene betrachten oder gesamtgesellschaftlich einordnen. Welche Deutung ist also maßgeblich – ist die Erzählung die fiktionale Darstellung eines Schicksals oder eine Parabel auf das Trauma von Krieg und Vertreibung? Letztlich sind die Parallelen der familiären Neuorientierung zur bundesrepublikanischen Gesellschaft der Fünfziger nicht von der Hand zu weisen. Sie verleihen der Erzählung ihre Relevanz. Liest man den Text als Dokument des kollektiven Traumas, gewinnt er eine bestürzende Aktualität. So wird deutlich, dass die Bewältigung eines Traumas eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.