Eigene Gedichte

Winnenden-Gedichte

 
Elegie auf einen Trockner
 
Was regt sich mir im Busen dumpf
Beim Blick in jenen Flusensumpf?
Ich steh bedrückt, ein Rinnsal nässt
Den Fuß auf feuchtem Grunde,
Ich seh den nassen Flusen zu
Im tiefen Trocknergrunde.
Wie ist der ungezählten Socken Spur
Verblasst und bald verblichen?
Was half’s, dass ich die Fasern nur
Aus ihrem Sieb herausgestrichen?
O du, den man bei Siemens schuf:
Hörst du des Kundendienstes Ruf?
So flüstre ich beklommen:
Er wird, sobald ich nach ihm ruf
In, ach, drei, Wochen kommen.

 

Im Schelmenholz
 
Du Forst, wo weiße Pilze
aus tiefem Boden treiben
wie andernorts,
wie bei Irkutsk.
 
Du Forst, wo Föhren
dunkle Schatten werfen,
wie anderswo,
wie am Ural.
 
Du Wald,
wo nicht mehr jene Eiche steht, an der
im milden Abendsonnenlicht
umstanden von den bangen Hitlerjungen
zwei junge Russen starben.
 
Auf eine abgegangene Buchhandlung
 
Können Sie mir helfen, denn: ich suche
          Für meine Enkelin
                     Ein Buch.
                                 O Welt! Vergiss die Zeit nicht,
Als Chrysanthemen wuchsen aus der Druckerschwärze,
Noch im Schnee. Und manches Buch roch
Nach Birkenholz, nach frischem, und nach Ferne.
Und Helden, blau und rot, und Hasen,
Ein stilles Regiment der Freude,
Begrüßte dich auf den Regalen.
                                            O Welt! Vergiss die Zeit.
                         Können Sie mir helfen? Ich such
           Für meine Großmutter
Ein Buch.
 
Für Lenau
 
Ich spinne dir aus Nornengarn
Ein Lied aus welken Träumen
Wenn Krähen lebenssatt und schwer
Im alten Eichbaum schnarren.
 
Ich spinne dir ein Hemd aus Farn
Aus Efeu, Wind und Eiben,
Wenn bald im düstern Morgenrot
Die Wolken kurz verharren.
 
Bist du’s, der an der Weide lehnt?
Willst du im Schilf erfrieren?
Wir wollen eilig weitergehn
Und den Verstand verlieren!
 
Für Robert Boehringer
 
Komm in den totsagten park und schau:
gebeugt an marmornen pilastern
steht heut george, ziemlich blau
Und blass vom knastern in den lezten astern.
 
Der Winnender Mops: Ein Epitaph
 
Du Köter mit der ziemlich eingedrückten Fresse
Man hat, warum auch immer, dieses Denkmal dir gebaut:
Wir haben halt den Schiller nicht, den Hegel oder Hesse:
Man ehrt den Hund, der seines Herrchens Hof versaut,
 
Der seinen Schuh zerkaut, ihn gründlich einzuspeicheln,
Wenn er nicht röchelnd Treppen steigt, als wolle er verenden;
O Mops, wie konntest du des Herzogs Hofstaat blenden:
Du ranntest her von Belgrad um dich einzuschmeicheln?
 
Du ranntest her, um ordentlich was zu verputzen,
Nicht um das Herz der feinen Damen zu erschüttern –
Ein oller Mops hält selten, was man sich verspricht:
 
Dein Denkmal wenigstens muss man nicht täglich füttern
Es lässt sich auch touristisch manchmal nutzen
Und wenn es einmal nass wird, stinkt es nicht.
 
Begegnung
 
Morgens, im ersten Tuschenblau des Tags
Ging vor mir einer jener schrägen Männer
Und dahinter eine zwergenhafte Frau:
Sie ging voran, und als der Bus im Dämmer
Gleißend anfuhr, floss aus dem Winkel
Ihrer krummen Augen so ein Blick
Darin der ganze Glanz der Menschenwürde
Flammte: Fragen so voll Glück
Und Trauer und das Haar wie Draht
Und der verwachsne Rücken. Und eh
Der Zugwind mich erfasste, nach
Dem Schloss mich wandte, waren wir
Für einen Augenblick ein Menschenpaar.
 
Im Bus nach Birkmannsweiler
 
Wie sie in jedes Flügelschlagen faucht
und Leidenschaften windet in ihr Tönen;
Wie sich aus halb geschlossnem, schönen
Mund ein Stottern ringt; sie braucht
 
Die Worte nicht. Sie kann mit blauen Blicken
Ein stilles Raunen und ein Weitersagen
Von Heiterkeit und von Novembertagen
Mit stumm beredten Händen schicken.
 
Die Linde
 
So ausgefressen stehst du da von Schwamm
und Feuer; du Linde, Pilgerbaum
Dem die Karfreitagsasche aus den Höhlen
Stäubt: Ein hochgerecktes, leeres Kruzifix:
 
Und dennoch stehst du kaum gebeugt,
Und Wurzeln stemmst du in den dunklen Lehm,
Die Lenden hohl, und deine Kreuzesschultern
Kühlt kein Schatten, kühlt kein Blätterdach.
 
So grüßt du noch den falben Stein der Kirche
Als ich mit meinem Sohn vorübergeh
Und aus den dunklen Stümpfen deiner Not
Sprosst unvergänglich linde Hoffnung.
 
Ende Oktober
 
Tomaten rot, also ob sie reifen müssten,
Entfärbter Hopfen überm Rost:
Dort noch Kapuzinerkresse. 
Auf dürren Stengeln: Dost.
 
Das müde Walzwerk einer Presse:
Ein Rinnsal rollt im Staub,
Der Tod riecht, lustloser Verderber,
Nach Maische und nach Laub.
 
Der Herbstwind ist ein Berber:
Ein lauter, wilder Gast –
Er weiß, der alte Werber,
Wie man das Glück verprasst.
 
Die Tage werden ächzend älter:
Der Himmel zieht sich zu,
Die Nächte werden nächstens kälter
Und eh du’s weißt: auch du.
 
Marktschreier
Für Erich Kästner
 
Die Zeitung hieltst du höher in den Händen:
Entdecktest schreiend ein Komplott,
Es müsse alles bald sich wenden
Und nebenan, da duftet’s nach Kompott.
 
Und Schiller, raunst du, habe es durchschaut,
Der habe es (weil er sich auskennt) längst gewusst,
Du lärmst, weil überm Markt der Himmel blaut,
Ein Kind sagt nebenan: „Hab keine Lust“.
 
Du zeterst immer lauter vor dich hin
Prophet mit freigelegtem Bauch
Und suchst im Ungefähren Sinn
Und eine Dame nebenan kauft Lauch.
 
Die Welt hat sich so vor dir verschworen!
Du willst sie immer wütender entwirren
Und bist vom Schicksal auserkoren:
Ein Narr, doch unter lauter Irren.
 
Jean und Ilse
 
Wie sollte sie, die Getretene,
ihn, den Verschleppten, lieben?
Aber auch unter die Sprachlosen
Wirft die Liebe eigene Worte:
 
Süße Worte in Zeiten der Not,
Gereicht in der Schale einer
Zitternden Hand: und Blicke
Und Neugier und Sehnsucht.
 
Man weiß nichts von
Mühsam verhohlenen Küssen
Als Atem sich mischte
Vom Menschsein im Krieg.
 
Man weiß nichts vom Leid
Als sie ihn forttrugen – ohne Wiederkehr
Es bleiben nur dürre Briefe
Und die Erinnerung.
 
Ortsdurchfahrt
 
Das dumpfe Rauschen ferner Bundesstraßen
Umbrandet uns, den Klinkerbau,
Das Monstrum aus Beton,
Und Neonlicht fließt
Über Schleier:
Envie!
 
Envie:
Ein Jägerzaun
Von Dieselruß
Gefirnisst. Rupf,
Der Präparator, ein Hamam,
Ich sehe auf: Erfreulich! Selbst
Über Winnenden stehn leuchtend Sterne.
 
Hymne auf Winnenden
 
Gegen dich, Stadt, ist nichts einzuwenden:
Wo dir die stillen Einbahnstraßen enden
Wächst nach klug erdachtem Muster
Meist Liguster.
 
Du Ländlich-Städtischste, du, mit dem Zipfel-
Bach, der trüben Brühe unterm Erlenwipfel,
Ach! Wie herrscht in dir von früh bis spät
Lebensqualität.
 
Du satte Wahnsinnstadt aus Watte,
Die niemals Oden nötig hatte:
Wer braucht Kultur? Und freien Geist?
Du bist des Winters rasch enteist!
 
Saldo
 
Das riesige Mammut,
Der sanftmütige Tiger,
Die Dronte, der Moa,
Palau, die Gletscher,
Und:
Der Nusszopf von Bäcker Beutel.
Man merkt deutlich:
Die Welt geht unter.
 
Phoenix, verbrannt
 
Du Verlorene!
Uns verbindet nichts:
Als das Fragen ins Ungefähre,
Ins Stille.
Du Unlesbare!
Als ich mich einmal
Zu dir hinüberbeugte, da
Rochst du,
Du ewig Kauernde,
Du Hockende,
Nach Geheimnis.
Nach Nacht und Ich:
Du schlägst nieder
Die flatternden Lider
Alle Hoffnungen
Und mich.
 
In St. Karl Borromäus
 
Du umfängst mich,
Gott,
Den Verlorenen
Hundertarmig
In diesem kahlen Felsen.
Du Weihrauchduftender
Den, der nicht suchte,
Hast du gefunden
In dieser hohen Halle:
Der Stachelmauer wegen,
Des Sonnenaufgangs wegen,
Wegen der Ungestalten,
Des Todes wegen.
Ich umfange dich,
Gott,
Den Verlorenen,
Hundertarmig.