Vergleichende literarische Erörterung

Zur Vorbereitung der Klausur

Bevor du dich in die Klausur setzt, solltest du natürlich einige Vorleistungen erbringen:

  • Du hast dich kundig gemacht, welche Werke verglichen werden sollen.
  • Die jeweiligen Werke sind aufmerksam gelesen.
  • Die Unterrichtsmaterialien sind durchgesehen.
  • Die offiziellen Materialien auf dem Bildungsserver sind gesichtet.
  • Du hast einen Lektüreschlüssel durchgearbeitet.
  • Du hast dich noch einmal kurz mit den Autoren und der Entstehungszeit befasst.
  • Du hast dir die Liste mit den üblichen Operatoren durchgesehen.
  • Du hast bereits im Vorfeld die Vergleichsmöglichkeiten gesammelt und eine Materialsammlung angelegt.
  • Du hast dir den Aufbau des Aufsatzes eingeprägt.
  • Deinen letzten Aufsatz hast du dir auf Schwächen durchgesehen und sie kompensiert.

Die Aufgabenstellung verstehen

Wortlaut der Aufgabenstellung

Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen. Antonio Gramsci (1929), „Gefängnishefte“

Erörtern Sie in einer vergleichenden Betrachtung, inwieweit Harry Haller und Anselmus eine Krise im Sinne Antonio Gramscis durchleben.

Antonio Gramsci (1891-1937) war ein italienischer Schriftsteller, Journalist, Politiker und marxistischer Philosoph. Er gehört zu den Begründern der Kommunistischen Partei Italiens.

Analyse der Aufgabenstellung

Die Aufgabenstellung besteht aus drei Teilen:

  1. dem Außentext, der die Aspekte für deine Erörterung liefert, idealerweise mit bibliographischen Daten; Außentexte können aus literarischen Texten stammen und aus Sachtexten, vom selben Autor wie die zu behandelnden Werke oder von anderen;
  2. der Arbeitsanweisung, mit klar benannten Operatoren und Hinweisen zur Textgrundlage („Erörtere“, „Prüfe“, „Untersuche“);
  3. eventuell weiteren Hinweisen, die das Vergleichsthema einschränkt oder den Textumfang;
  4. sowie Wort- oder Sacherklärungen.

Der Operator „Erörtere“ lässt kaum Spielraum – erst recht nicht, wenn er sich mit dem Hinweis auf eine „vergleichende Betrachtung“ verbindet. Hier sollst du also erörtern, inwieweit die genannten Figuren („Harry Haller“, „Anselmus“) eine Krise durchleben. Damit die Erörterung ergiebig ist, sollst du die beiden Werke währenddessen vergleichen. Das heißt: Du musst Gemeinsamkeiten und Unterschiede festhalten. Das Wörtchen „inwieweit“ deutet dabei an, dass das Gramsci-Zitat anwendbar ist – es ist nur fraglich, in welcher Hinsicht und in welchem Maß.

Ein Konzept anfertigen

Arbeit auf dem Aufgabenblatt

Zunächst solltest du auf dem Papier arbeiten:

  • Hebe für dich selbst alle Zusatzinformationen hervor.
  • Unterstreiche den Operator.
  • Markiere das Vergleichsthema.
  • Nummeriere die einzelnen Vergleichsaspekte.

Materialsammlung

Der Entwurf deiner Materialsammlung für den Hauptteil sollte tabellarisch erfolgen:

Vergleichsaspekt

Werk 1

Werk 2

Nennung und Erläuterung des Vergleichsaspekts

Trifft zu: …

Trifft nicht zu: ….

Trifft zu: …

Trifft nicht zu: ….

Entwurf

Zur besseren Übersicht solltest du den Aufbau des Aufsatzes stichwortartig konzipieren:

  • Einleitung;
  • Einordnung in die Handlung;
  • Definitionsteil;
  • Hauptteil (Verwende hier deine Materialsammlung);
  • Schlussteil.

Aufbau des Aufsatzes

Der Aufbau eines vergleichenden Erörterungsaufsatzes ist etwas komplizierter als bei der Behandlung von Einzelwerken. Das hängt davon ab, wie viele Aspekte du herausarbeitest. Anwenden musst du sie alle – auf beide Werke. Es empfiehlt sich, aspektweise vorzugehen. So besteht kaum die Gefahr, dass du unverbundene Erörterungen zu den jeweiligen Werken vorlegst.

Überschrift

Die Überschrift benennt die Textsorte („Literarische Erörterung“), das Vergleichsthema („Krise“) und die Textgrundlage (also die Vergleichswerke mit ihren Autoren.

Literarische Erörterung: Das Motiv der Krise in Hesses „Steppenwolf“ und in E. T. A. Hoffmanns „Der goldne Topf“

Einleitung

Die Einleitung besteht aus folgenden Elementen:

  • einem thematischen Einstieg, der dem Leser die Bedeutung des Vergleichsthemas vor Augen führt. Dann, zu beiden Werken nacheinander:
  • die Einführung des Zitats mit Urheber und Quelle;
  • Textgrundlage: Autor, Titel, Textsorte, Entstehungsjahr, Ort, Verlag, Erscheinungsjahr;
  • Thema und Inhalt;
  • einen Überleitungssatz, der Parallelen und Unterschiede ankündigt.

Persönliche Krisen gehören zur menschlichen Entwicklung. In der Krise lösen wir uns von Vertrautem, stoßen ab, was uns hemmt und hindert, um eine neue Stufe unseres Daseins zu erreichen. Der italienische Kommunist Antonio Gramsci mag eher an politische Krisen gedacht haben, als er 1929 in einem seiner „Gefängnishefte“ schrieb, der Untergang des Alten sei zur Geburt des Neuen unumgänglich. Dieses Modell lässt sich jedoch auch auf psychische Vorgänge übertragen. So wundert es nicht, dass Krisen auch zum Gegenstand von Literatur werden. Eine Krise erlebt beispielsweise Anselmus, die Hauptfigur von E. T. A. Hoffmanns 1814 veröffentlichter Erzählung „Der goldne Topf“, als die magische Welt in sein Leben einbricht. Eine ähnliche Krise treibt Harry Haller vor sich her, den Protagonisten von Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“ von 1927. Erst gegen Ende des Romans deutet sich an, dass Hallers tiefe Krise zu überwinden ist. Zwischen beiden Werken gibt es zahlreiche Parallelen, was den Umgang der beiden Figuren mit Krisen betrifft. Es gibt jedoch auch Unterschiede, die bei der Anwendung von Gramscis Krisenkonzept zu Tage treten.

Kurze Einordnung in die Handlung

Zur Orientierung des Lesers ist eine knappe Inhaltsangabe sinnvoll:

  • immer im Präsens;
  • unter dem Blickwinkel des Vergleichs;
  • mit einem Einführungssatz;
  • und einer Kurzcharakteristik der Handlungsträger;
  • sowie einer Überleitung.

Zunächst ist es jedoch wichtig, die Krisen beider Hauptfiguren im Gang der Handlung zu sehen. Harry Haller, fast fünfzig, einzelgängerisch und verzweifelt, befindet sich auf der Talsohle einer tiefen Krise, als ihm die Begegnung mit der schönen Hermine und das „Tractat vom Steppenwolf“ Entwicklungschancen bieten. Er lernt, sein Leben intensiver wahrzunehmen, seine Triebnatur mit seinem Über-Ich zu versöhnen und die Welt aus heiterer Distanz zu betrachten. Der Ort seiner Wandlung ist das „Magische Theater“. Der Student Anselmus, der Protagonist des „Goldnen Topfs“, wird durch die Begegnung mit der Rauerin und dem Archivarius Lindhorst auf die Existenz einer Gegenwelt der Magie hingewiesen – auch er gerät in eine Krise, zwischen der bürgerlichen Welt und dem Reich der Magie hin- und hergerissen. Erst dadurch wird ihm bewusst, dass die bürgerliche Gesellschaft ihm keine Heimat bietet. Die Liebe zu Lindhorsts Tochter, der Schlange Serpentina, ermöglicht ihm schließlich den Weg aus der Krise nach Atlantis, ins Reich der Poesie. In beiden Werken durchleben die Hauptfiguren also eine Krise. Was ergibt sich aus dem direkten Vergleich?

Definitionsteil

Der Definitionsteil besteht

  • aus einer Begründung, warum der Außentext sich anwenden lässt oder behauptet zumindest, er sei gut anzuwenden;
  • aus einem Überblickssatz, wie viele Aspekte relevant sind;
  • aus einer Darstellung der Aspekte mit der Definition der zentralen Begriffe.

Gramscis Definition krisenhafter Entwicklungen bietet sich für eine Untersuchung besonders an. Seine Begriffsbestimmung weist drei Aspekte auf, die sich in der Handlung der Vergleichswerke widerspiegeln und auf die persönliche Entwicklung der Protagonisten übertragen lassen. Wenn „das Alte stirbt“, dann gehen zunächst vertraute Dinge verloren, gewohnte Strukturen lösen sich auf. Im Zustand der Auflösung, der Krise, bei Gramsci durch den Begriff „Interregnum“ als Zwischenreich benannt, kommt es dabei „zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen“. Der Mensch im Wandel leidet: unter Zweifeln, Orientierungslosigkeit und Niedergeschlagenheit. Erst das „Neue“ beendet schließlich die Krise. Es haben sich neue Strukturen gebildet, die dem Individuum Halt geben.

Hauptteil

Der Hauptteil enthält:

  • einen einführenden Satz mit dem Vergleichsthema;
  • die Argumentationsblöcke,
  • die jeweils die Aspekte aufgreifen;
  • Thesen, ob der Aspekt zutrifft oder nicht;
  • Begründungen, warum die Aspekte anwendbar sind;
  • Belegen aus dem Text (aus Zeitgründen ist nicht immer ein Stellenbeleg möglich);
  • Hinweise auf Gemeinsamkeiten;
  • Herausarbeiten von Unterschieden;
  • ein Fazit mit der Überleitung.

Inwiefern trifft dieses Modell einer Krise auf Harry Haller und Anselmus zu? Die Krise im Sinne Gramscis beginnt mit dem Verlust des „Alten“, vertrauter Ordnungen und bewährter Strukturen. Dies trifft durchaus auf beide Figuren zu. Sowohl Haller als auch Anselmus geben etwas auf. Haller hat schon zu Beginn der Handlung seine bürgerliche Existenz eingebüßt: Von seiner Frau verstoßen und außer Landes gegangen, lebt er in selbstgewählter Einsamkeit. Sein Ruf ist beschädigt, was seine Akzeptanz in bürgerlichen Kreisen erschwert. An anderen Strukturen hält er dagegen fest. Seine absolute Verehrung des Klassischen gibt er beispielsweise erst auf, als er seine Wolfsnatur ernstnimmt. Seine bürgerlich gewordene Verehrung von Kunst und Musik wird ihm verdächtig, sein ästhetisches Wertesystem wird erweitert: Mozart bleibt, der Jazz kommt hinzu. Anselmus dagegen hat zunächst gute Aussichten auf die Güter des bürgerlichen Standes, die er allerdings unter dem Eindruck des Magischen aufgibt: seine Laufbahn, die Ehe mit Veronika, den Aufstieg durch den Verkehr mit einflussreichen Freunden. Während sich Anselmus also aus seiner sozialen Umgebung löst, muss Haller seine bisherige Isolation aufgeben.

Diese Verluste lösen nun die beschriebenen Krankheitserscheinungen aus – sowohl bei Haller als auch bei Anselmus. Allerdings spitzt sich Anselmus’ Krise erst mit dem Einbruch des Magischen in seine Erfahrungswelt zu, während sich Hallers Krise aus seiner Vorgeschichte begründen lässt und bereits zum Höhepunkt gelangt ist. Anselmus befindet sich ebenso wie Haller im Zwiespalt, der ihn zweifeln lässt. Einerseits lockt die Verbindung mit Veronika, die eine sichere Zukunft verspricht. Andererseits verführt ihn die Aussicht, einen Bund mit Serpentina einzugehen. Seine Krise manifestiert sich in Zerstreutheit, Niedergeschlagenheit und ständiger Unruhe. Hallers Krise ist weiter fortgeschritten: Sein innerer Konflikt hat sich verfestigt und in zwei Naturen aufgespalten. Er leidet daran, dass sich das Steppenwölfische in ihm nicht mit seiner bürgerlichen Identität verträgt. An Haller zeigen sich alle Kennzeichen einer schweren Lebenskrise: das Gefühl der Sinnlosigkeit des bisherigen Lebens, Depression, Suizidalität.

Im Hinblick auf das „Neue“ wird deutlich: Haller und Anselmus ändern ihre gesellschaftliche Stellung, eignen sich neue Werte an, verändern ihre Lebensführung und ihre Sicht auf ihre Existenz. Anselmus überwindet seine Daseinskrise noch während des Romans. Der Erzähler erfährt von Archivarius Lindhorst, dass dem unglücklichen Studenten von einst der Übertritt nach Atlantis geglückt ist. Dort führt er in Übereinstimmung mit sich selbst ein Leben im Geist der Poesie. Das Neue in Hallers Leben bricht sich nur allmählich Bahn: Er erwirbt die Fähigkeit zum Genuss zu Leben und eine heitere Selbstdistanz. Das zeigt sich insbesondere, als Haller abschließend sagt: „Einmal würde ich das Lachen lernen“ (S. 242).

Schluss

Der Schlussteil enthält:

  • ein knappes Fazit, das die Bedeutung des Vergleichsthemas für das Gesamtwerk darstellt;
  • eine Einordnung der Werke in ihre Epoche oder in das Gesamtwerk des Autors oder der Autorin;
  • eine Darstellung von Textsortenmerkmalen, die für das Vergleichsthema relevant sind;
  • Überlegungen zur Bedeutung des Werks für die Leserschaft.

Beide Werke schildern den Umgang ihrer Hauptfiguren mit Krisen – und deuten zumindest Wege ihrer Bewältigung an. Allerdings ist die Form der Bewältigung und ihr Ziel recht unterschiedlich. Harry Haller erwirbt im Verlauf der Krise die Fähigkeit zu lachen, Anselmus ist Gutsherr in der poetischen Gegenwelt von Atlantis.

Auch die Entstehungszeit beider Werke ist von Krisen geprägt. Der „Goldne Topf“ entsteht zur Zeit der Napoleonischen Kriege, die Europa modernisieren. Der „Steppenwolf“ ist geprägt von den krisenhaften Jahren zwischen den Weltkriegen: Harry Hallers persönliche Krise spiegelt die Geburtswehen der Moderne mit ihrer Massenhaftigkeit und der Popularisierung der Kultur.

Bedeutsam für die Behandlung des Krisenmotivs ist nicht zuletzt die erzählerische Gestaltung beider Texte. E.T.A. Hoffmanns Erzählung bedient sich als „Wirklichkeitsmärchen“ der auktorialen Erzählperspektive. Der Schwerpunkt liegt damit auf dem äußeren Geschehen, das die Bewältigung der Krise vorantreibt. Dem steht im „Steppenwolf“ der personale Ich-Erzähler der bekenntnishaften „Aufzeichnungen“ gegenüber. Er ermöglicht dem Leser tiefe Einblicke in die Psyche des Protagonisten als Dokument seines Leidens.

Die Idee einer Flucht ins Reich der Poesie ist noch heute reizvoll, aber kaum mehr praktikabel: Den virtuellen Raum der Dichtung betreten wir im Medienzeitalter mit Vorsicht. Der Leserschaft liegt der Lösungsansatz des „Steppenwolf“ näher: Humor, Selbstdistanz und die Achtung eigener Bedürfnisse sind zur Überwindung persönlicher Krisen auch heute noch hilfreich.