Die Commedia dell’arte

Die Commedia dell’arte gehört zu den einflussreichsten Formen des Volks- und Stegreifstheaters. Ihre Formen und ihre Schauspielpraxis beeinflussen die europäische Komödie. Insbesondere die Figur des Harlekins findet reiche Verwendung.

Vom Nutzen der Commedia dell’arte für das Schauspiel

Wer sich an die Commedia dell’arte heranwagt, wird lernen...

  • genau vorgegebene Handlungszüge umzusetzen;
  • den Raum für Improvisation zu nutzen;
  • feste Rollen auszuspielen und zu entwickeln;
  • konsequent auf den Spielpartner einzugehen;
  • das Spiel mit der Maske zu üben;
  • das Körperspiel zu verbessern und zu kontrollieren;
  • sich eine stilisierte Bühnenwirklichkeit anzueignen;
  • die Reaktionen des Publikums einzubeziehen.

Grundbegriffe

  • Argomento, das: Das mündlich vereinbarte Thema, um das sich die Handlung entwickelt.
  • Canovaccio, der: Die schriftlich festgehaltene Szenerie, die auf dem Argomento aufbaut und aus der sich die Dialoge herausbilden.
  • Lazzo, der; Lazzi: Fest einstudierte pantomimische Handlungssequenzen, die Schauspieler abrufen können.
  • Tirata, die; Pl. Tirate: Eine Figur lässt sich rhetorisch raffiniert und in Form eines Monologs über ihr Kernthema aus.
  • Quaderno die generici, der: Rollenheft der Darsteller in der Commedia dell’arte, in dem Zitate, Beobachtungen und Spielideen aufgezeichnet werden.
  • Farsa (finale), die: Komische Einlage in einem Drama, ganz im Stil der Commedia dell’arte.
  • Barzelletta, die: Wortspiel im Kontext der Commedia dell’arte.
  • Bastone, der: Der für den Arlecchino typische Stock.
  • Battuta, die: Ein rascher Wortwechsel im Rahmen eines Spiels.

Formen

  • Commedia all’improvvisa: Aus dem Argomento wird der Canovaccio entwickelt, der die Lazzi ermöglicht
  • Commedia a braccia: Von der Grundlage des vereinbarten Argomento wird ohne Canovaccio improvisiert
  • Commedia a soggeto: Ein bekannter Text wird nicht texttreu rezitiert, sondern nachgespielt.

 Die Figuren

I padroni: Die Herren

  • Pantalone (de’ Bisognosi), auch: Zenobio, Cassandro: autoritäre Herrengestalt und unbestrittener „Padrone“, die Kinder und Diener meist schikaniert, aber auch großzügig sein kann.
  • Dottore (di Bologna, auch: Graziano, Balordo): vermischt seinen Bologneser Dialekt mit lateinischen und griechischen Versatzstücken, redet gern und hochtrabend, trotz seiner Begeisterung für die eigene Wissenschaft (oft Jura oder Medizin) ein Lebemann.
  • Capitano: Ein typischer Maulheld (miles gloriosus, nach Plautus), der mit Pomp und Gewalt zu beeindrucken sucht, mit seinen Abenteuern prahlt und um Frauen wirbt, aber nie erhört wird.
  • Gli Inammorati: Das Liebespaar, das als Ruhepol der Handlung seine zärtlichen Liebesschwüre austauscht, sich trennt und zusammenfindet; die Innamorati bedienen sich des Toskanischen (bzw. der Hochsprache). Der Liebhaber heißt Flavio, Florindo, Lelio, Orazio oder Ottavio, die Geliebte heißt Isabella, Rosaura, Silvia oder Flaminia.

I servi: Die Diener

  • Colombina (auch: Smeraldina, Arlecchina, Diamantina, Serpentina): Die scharfsinnige, unverschämte, aber auch weitsichtige Dienerin ist oft verliebt, kann sich aber schwer entscheiden. Sie spricht in der Regel Venezianisch.
  • Arlecchino (auch: Truffaldino, Zaccagnino, Frittelino, Traccagnino): als zentrale Figur der Commedia dell’arte ist Arlecchino ein emotional unbeständiger, aber expressiver Gemütsmensch vom Lande. Er spricht eine Mischung seines bergamaskischen Heimatdialekts mit dem Venezanischen.
  • Brighella (auch: Pedrolino, Scapino, Beltrame, Buffetto, Flautino): Brighella ist ein schlauer, redegewandter Opportunist, der es versteht, sich einzuschmeicheln.

Weitere Figuren

  • Pulcinella: Pulcinella ist ein Zanni, der ursprünglich in Acerra lokalisiert wurde, später aber als Neapolitaner galt: Er ist der klug-dumme Narr, der seine Zuhörer mit Scherzen und Steichen amüsiert.
  • Pierrot (ab 1576, vor allem als Pedrolino bei Flamino Scala): Zunächst ein gutmütiger Ränkeschmied, der dabei hilft, Verwirrungen zu lösen, wird Pierrot in der französischen Tradition zum melancholischen Pantomimen.
  • Scapino (bei Francesco Gabrielli): Scapino ist ein musikalisch begabter Intrigant, der eine fatale Neigung zum Streit hat.
  • Coviello: Coviello ist ein aus den Abruzzen stammender und später neapolitanischer Prahlhans.
  • Giangurgulo: Giangurgolo ist als Spielart des Capitano eine Karikatur des sizilianischen Landedelmanns und stammt aus der kalabrischen Tradition.
  • Tartaglia. Tartaglia ist ein stotternder Richter oder Höfling aus der süditalienischen Tradition, oft ein Pedant, engstirnig und plump.

Ausstattung

  • Bühne: Die Bühne der Commedia dell’arte bestand früher oft nur aus einem perspektivisch bemalten Tuch im Hintergrund und Stellwänden mit Türen und Fenstern, die einander gegenüberlagen. Aus den Zwischenräumen, den Gassen, Fenstern und Türen entwickelte sich eine dynamische Handlung.
  • Figuren: Die Konfiguration der Figuren auf der Bühne wird meist symmetrisch in Form eines liegenden Dreiecks aufgebaut. Die zentrale Figur bestimmte die Position der Flügelfiguren zur Rechten und Linken.
  • Requisiten: Möbel waren sehr häufig nicht vorgesehen, insbesondere keine Sitzmöbel, die den Handlungsgang verlangsamt hätten.
  • Kostüm: Das Kostüm jedes Darstellers richtete sich in Preis, Schnitt und Stil nach dem Stand und dem Status des dargestellten Typs. Zusätzlich wurden (und werden) lederne Halbmasken getragen, deren Farbe sich ebenfalls nach dem dargestellten Typus richtet. Die Maske führte zur Verlagerung des Spiels auf Haltung und Gestik.

Spielregeln

  • Rücksicht: Der Darsteller muss sich der Bühnengeometrie unterwerfen und jederzeit für alle sichtbar sein.
  • Wahrhaftigkeit: Der Darsteller füllt die Rolle mit Individualität und biographischen Details, verwandelt den Typus in einen Charakter.
  • Dreidimensionalität: Die Figuren entwickeln sich von ihrer Herkunft, dem Ort ihres Auftretens, über die Handlung auf der Bühnenfläche zum Ziel der Handlung hin.
  • Identifikation: Der Darsteller muss eins werden mit seiner Rolle und sie konsequent ausspielen.
  • Kontrolle: Der Darsteller behält die Bühnengeometrie, die anderen Bühnenfiguren und die Ausstattung des Stücks jederzeit im Blick.
  • Symbolhaftigkeit: Die dargestellte Figur ist nicht nur das Ergebnis realistischer Schauspielarbeit an Stand und Rollenbiographie, sondern zugleich auch allgemeingültig.
  • Improvisation: In der Commedia dell’arte ist Improvisation eher eine Probentechnik auf der Grundlage des Typus und seiner Lazzi. Es handelt sich in der Regel um gebundene Improvisation.

Übungen

  • Gangarten ausprobieren: tänzelnd und geschmeidig gehen wie Arlecchino (Symboltier: Katze), stolz gehen wie Capitano (Hahn), pompös und gravitätisch gehen wie Dottore (Ente), greisenhaft tappen wie Pantalone (Rabe).
  • Vertrauensübung: Zwei Darsteller stützen sich nebeneinander auf Hände und Knie; ein weiterer Darsteller legt sich quer darüber und lässt sich tragen.
  • Baum im Wind: Alle Darsteller stehen mit den Füßen fest verwurzelt; der Spielleiter gibt an, aus welcher Richtung der Wind weht (und wie stark) – dann beginnen die Darsteller, im Wind zu schwanken.
  • Typisierung: Ein Darsteller in neutraler Haltung trägt eine Typusmaske; die übrigen Darsteller dürfen seine Haltung verändern, zuletzt spielt er eine kurze Sequenz in der vorgegebenen Haltung.
  • Typenkarussell: Der Spielleiter ruft nacheinander die Typen auf, deren Haltung die Darsteller einnehmen.
  • Weg über die Bühne: Die Figur geht als Typus von links nach rechts über die Bühne und nimmt in der Mitte im typischen Gestus ihrer Figur Kontakt zum Publikum auf.
  • Maske ab! Ein Darsteller sitzt mit Maske da und spielt eine Szene, die kennzeichnend für den Typus ist. Dann nimmt der Spielleiter ihm die Maske ab – folgt die Mimik dem Spiel?
  • Geburt: Ein schwarzes Tuch bedeckt den Darsteller; darunter nimmt er seine Rolle ein – und wird typusgerecht „geboren“, indem er in seiner Rolle unter dem Tuch hervorkommt. Dann wird eine zweite Figur geboren und das Spiel beginnt…!
  • L’autobus: Alle Typen der Commedia sitzen in einem aus Stühlen bestehenden Bus, der einfach nicht weiterfährt. Die Improvisation beginnt!
  • Namensspiel: Die Figuren sprechen einander in sich verändernder Tonlage mit dem Namen an, wobei sie auch mit dem Namen spielen dürfen.
  • Umdeuten des Bastone: Jede Figur spielt aus ihrer Rolle heraus mit dem Bastone (dem Stock), der dabei seine Bedeutung ändert.
  • Bühnenakrobatik: Die Darsteller spielen eine Szene, bei der sie einander auf die Arme springen oder einen gemeinsamen Purzelbaum machen.
  • Masken gestalten: Die Darsteller stellen eigene Gipsmasken her, die ihrem Typus entsprechen.
  • Rhythmus: Die Darsteller üben eine Handlungssequenz aus Gesten und Spielformen mit Requisiten ein, die im selben Rhythmus pausenlos wiederholt werden.
  • Brief: Eine Figur liest einen Brief vor und setzt währenddessen um, was der Brief vorgibt.
  • Collage: Die Darsteller erhalten Zeitschriften, aus denen sie sich fünf Sätze herausgreifen und sie lernen. Dann improvisieren sie zu dritt eine Szene mit diesen Sätzen.

Bibliographie

  • Bessenbacher, Veit Alexander: Die Commedia dell’arte im Theater des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Peter Lang Edition, 2015
  • Riha, Karl: Commedia dell’arte. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 2012 (12. Aufl.)
  • Mehnert, Henning: Commedia dell’arte: Struktur, Geschichte, Rezeption. Stuttgart: Reclam, 2011
  • Müller, Werner: Körpertheater und Commedia dell’Arte: Eine Einführung für Schauspieler, Laienspieler und Jugendgruppen. Donauwörth: Auer, 2005 (2. Aufl.)
  • Spörri, Reinhart: Die Commedia dell’arte und ihre Figuren. Wädenswil: Stutz, 1998 (Reihe Schau-Spiel; 4) (3. Aufl.)
  • Theile, Wolfgang (Hg.): Commedia dell'arte: Geschichte, Theorie, Praxis. Wiesbaden: Harrassowitz, 1997 (Gratia; 30)
  • Stackelberg, Jürgen von: Metamorphosen des Harlekin: Zur Geschichte einer Bühnenfigur. München: Fink, 1996
  • Krömer, Wolfram: Die italienische Commedia dell’arte. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 1990 (Erträge der Forschung; 62)
  • Kunz, Marcel; Marchetti, Alessandro: Arlecchino & Co.: Historische Einführung, didaktische Darstellung, Spielanregungen zur Commedia dell’arte. Zug: Klett + Balmer, 1985
  • Hansen, Günther: Formen der Commedia dell’Arte in Deutschland. Emsdetten: Lechte, 1984