Literarische Technik

Die Sprache des Beschreibens

Beschreibungen von Gegenständen, das vorweg, sind als Folge von Einzelbildern angelegt, die durch die Verfasstheit des Wortmaterials sprachlich als Körper im Raum verwirklicht werden. Verbindend ist erst die Perspektive eines Betrachters. Die Beschreibung von Gegenständen begründet eine Folge von Einzelaussagen. Oft folgen Bildbeschreibungen kunsthistorischen Darstellungsregeln. Architektur wird in der Regel von unten nach oben beschrieben, Malerei vom Vordergrund zum Hintergrund. Manchmal folgt die Beschreibung den Sehgewohnheiten: Hervorragendes und Benennbares wird dann in der Regel zuerst beschrieben. Zuweilen ist die Beschreibung auch der jeweiligen Darstellungsabsicht angepasst. In jedem Fall wird der innere Blick auf den Gegenstand gelenkt, der sich im Nacheinander der Beschreibung für den Betrachter aufbaut, so, wie sich Michelangelos Skulpturen aus dem Stein ungeformter Anschauung schälen. Was die Perspektive angeht, den vorgetäuschten Standpunkt des Betrachters, so stellen wir grundsätzlich fest: der Gegenstand kann durch einen Betrachter eingeführt werden, der als Ich-Erzähler oder als personaler Erzähler aus bestimmter Richtung auf den Gegenstand blickt, er kann jedoch auch auktorial dargestellt werden, so dass die Leser keine feste Blickrichtung einnehmen. Der Erzähler hat also die Möglichkeit, ein Bild zu beschreiben, ein Bild beschreiben zu lassen oder die Beschreibung eines Bildes berichten lassen: der Schachtelung der Erzählebenen sind keine Grenzen gesetzt. Was das Wortmaterial angeht, so herrschen Wörter der lokalen Deixis vor, Ortsangaben und Angaben räumlicher Verhältnisse. Handlungsverben stehen im Hintergrund, Adjektive und Zustandsadverbien haben größeres Gewicht. Dies jedenfalls wäre zu erwarten. Die Entfesselung des Bildes jedoch, der Übergang vom toten Ding zum lebendigen Wesen verändert die Zusammensetzung des Lexikons: Verben der Bewegung, Inchoativa, Ingressiva und mit ihnen die Richtungsadverbien, sprengen die rein räumliche Verfasstheit des Körpers.

Wie gelingt es dem Leser, Bildbeschreibungen als solche zu erkennen? Was unternimmt der Sprecher, Bildbeschreibungen als solche zu kennzeichnen? Wir hatten bereits festgestellt, dass Bildbeschreibungen eigenständige Erzählungen aufbauen, die sich von der rahmenden Erzählung abgrenzen oder in diese Erzählung eingreifen. Üblicherweise ist der der Übergang zur Beschreibung durch sprachliche Zeichen markiert, die wir als Ekphrasissignale bezeichnen. Sie machen dem Leser deutlich, dass er es mit der Beschreibung eines Kunstwerks zu tun hat. Sie distanzieren oder integrieren. Sie distanzieren, indem sie dem Leser deutlich machen, dass er mit einem Gegenstand zu tun hat, der als Zeichen aufzufassen ist. Sie integrieren, wenn sie den Leser über die Zeichenhaftigkeit des Gegenstands im Unklaren lassen. Zeichenhaftigkeit kann einfach oder mehrfach markiert sein:

(a) Sie trug zwei indische Göttinnen in ihren Händen.
(b) Sie trug zwei Bronzestatuetten in ihren Händen, die indische Göttinnen vorstellten.

Ohne den Zusammenhang zu betrachten ist in Beispiel (a) unklar, ob anstelle von Bildwerken nicht doch, zumindest denkbar wäre es, wirkliche Göttinnen getragen werden. In Beispiel (b) ist diese Unsicherheit durch das Angaben des Materials, durch die Einordnung als Statuette und das Verb "vorstellen", das die Zeichenhaftigkeit des Gegenstands verdeutlicht, dreifach beseitigt. Welcher Angaben kann sich ein Erzähler bedienen, um den Leser so zu unterrichten, dass er Bild und Bildgegenstand zu trennen vermag? Eine Reihe von Angaben bezieht sich auf das Objekt an sich, auf die Wirklichkeit der Erzählung:

  • Fachsprachliche Redeweise. Der Erzähler verdeutlicht die Künstlichkeit des Gegenstands, indem er ihn durch Lokalisierung, Datierung und Zuschreibung kunsthistorisch einordnet, indem er ihn ikonographisch beschreibt oder ästhetisch bewertet. Diese Diskurse bringen es mit sich, dass sich in der Rede fachsprachliche Begriffe häufen, je nachdem, wie vertraut der Erzähler mit dem jeweils angespielten Diskurs ist.
  • Angaben zum Rahmen. Der Erzähler benennt einen Rahmen in der erzählten Welt, in dem Beschreibungen von Kunstwerken zu erwarten sind: Museum, Ausstellung, Tempel.
  • Angaben zur Darbietung. Der Erzähler nennt Vorrichtungen, die das Kunstwerk als solches kenntlich machen: Hängung, Sockelung.
  • Angaben zur Rezeption. Der Erzähler macht Angaben zur Rezeptionsart, zum Standpunkt des Betrachtens.
    Angaben zu Werkzeug und Stoff. Der Erzähler nennt Materialien, die üblicherweise zur Herstellung von Kunstwerken verwendet werden: Bronze, Marmor, Öl, Leinwand.
  • Angaben zur Herstellung. Der Erzähler nennt Techniken und Werkzeuge, die zur Herstellung von Kunstwerken eingesetzt werden: Spachtel, Pinsel, Meißel; Werkspuren, den Pinselduktus.
  • Angaben zur Form. Der Erzähler nennt Eigenschaften, die den Gegenstand als gestaltetes Kunstwerk auszeichnen: Farbe, Komposition, Gewichtung.

Weitere Ekphrasissignale beziehen sich auf die Zeichenhaftigkeit des Kunstwerks:

  • Andeuten der Zeichenhaftigkeit. Der Erzähler gebraucht Verben des Darstellens und Bedeutens ("Dargestellt ist ein lehrender Buddha.") und macht Angaben zum Verhältnis des Bildes zur Wirklichkeit ("Der Frosch erscheint größer als ein wirklicher Frosch.").
  • Gebrauch des Konjunktivs. Der Erzähler macht deutlich, dass Bewegung und Raum nur scheinbar sind ("als bewege sich", "als spräche").
  • Verwendung des Präsens. Der Erzähler verdeutlicht, dass sich das Dargestellte zwar in narrativem Zusammenhang, im Bild jedoch auf einer Zeitebene befindet ("Oben rechts trägt Christus das Kreuz, unten links hängt er am Kreuz").
  • Geringere Dichte des Erzählens. Der Erzähler erhöht die Verweildauer beim Gegenstand und richtet die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Kunstding, das er beschreibt. Die Erzählzeit ist dabei beachtlich länger als die erzählte Zeit.