Pastorale

Die essbare Landschaft der Hirten

Hirtendichtung ist wie Hirtenessen: einfach. Zumindest strebt sie diese Einfachheit an. Einfach soll auch das Essen sein, dass die Dichter ihren Hirten vorsetzen. Nehmen wir einmal John Philips, der eine ländliche Dichtung vorlegt, die er - wie passend! - Cyder nennt, zu deutsch: Apfelsaft. Die Landschaft schüttet ihr Füllhorn aus: von saftigen Oliven und würzigen Pistazien ist die Rede, auch der "schmackhaften Pinienkern" wartet nur darauf, den Durchwanderer einer fruchtbeladenen Landschaft am Gaumen zu kitzeln. Der frohgemute Schäfer, so glaubt mam, hütet nie und nimmer die frierenden Schafe Yorkshires, er lebt in Arkadien, und wenn nicht dort, dannn wenigstens im sonnigen Sizilien. Getäuscht! Der Herbst färbt die Hügel mit Weintrauben, und die Hügel, englische zumal, "erröten" mit dem Rot der Apfelernte. Verständlich nun, dass der Rest des Gedichts eine Georgika ist: wie man Mühlen baut, das soll der Leser erfahren! Doch zurück zum Wie des schäferlichen Schmausens. Getrunken wird aus unförmigen Lederflaschen, am Gürtel festgeschnallt: so ist es auch am Dienstag in John Gays Shepherd's Week. Zwischen Marian, der Schäferin, und Colin, ihrem Schäfer, ist alles wie damals im Garten Eden. Adam treibt sich herum, Eva kocht das Abendessen. Hören wir die pflichtbewusste Schäferin:

And wenn at eve returning with the carr,
Awaiting heard the gingling bells from far;
Strait on the fire the sooty pot I plac't,
To warm the broth I burnt my hands for haste.
When hungry thou stood'st staring, like an Oaf,
I slic'd the luncheon from the barly loaf,
With crumbled bread I thickened well thy mess.
Ah, love me more, or love thy pottage less!

Und wenn am Abend du mit deinem Wagen heimkehrst,
Hört ich von weitem, wartend schon, der Glöcken Klang;
Rasch auf das Feuer stellt' ich jenen ruß'gen Topf,
Die Brühe wollt' ich wärmen und verbrannte meine Hände voller Hast.
Wenn du so starrend dastandst, hungrig wie ein Wolf,
Dann schnitt das Mahl ich ab vom Gerstenlaib,
Und brockte Brot dir ein in deinen Hafen.
Ach, lieb mich mehr, oder lieb deine Brüh' etwas wen'ger!

Nicht nur Marian, sondern auch Miltons flinkhändige Phillis aus L'Allegro versteht sich aufs Kochen: ein schmackhaftes Dinner aus Kräutern und anderem Landgut bereitet sie zu, so, dass Corydon und Thyrsis vergnügt tafeln können. Aber es stehen eben doch wieder die Frauen am Herde, auch da, wo Herde im Gegensatz zu Herden gar nicht vonnöten sind. Wie anders ging es da noch hundert Jahre zuvor zu, bei Robert Herrick, dessen Schäfer keine Mühe scheut, um seiner Phillis mit den erlesensten Köstlichkeiten den Mund wässerig zu machen (eingefleischte... halt: entschiedene Vegetarier mögen nun weghören). "Die Zungen der Geißlein sollen deine Nahrung sein", lockt der aufrechte Schäfer. Ich kenne Damen, die spätestens jetzt dem Werber den Laufpass gegeben hätten, und ich glaube kaum, dass die gute Geißenmilch oder die feine Schlüsselblumenbutter das Malheur ungeschehen gemacht hätten. Mit Süßmost versucht auch Robert Greenes Doron seine Carmela zu überzeugen: Süßmost gebe die Lederflasche her, und so wäre doch ein kleiner Kuss auf die Zehenspitzen durchaus zu rechtfertigen. ..? Carmela erscheint der Knabe im anschließenden Wettstreit schöner Worte weiß wie die häuslichen Rinder, sein Schweiß erinnert sie an Mutters Bratenfett. Doron möchte da nicht zurückstehen und verwandelt die Geliebte förmlich in ein kaltes Buffet ganz nach Hirtenlust - offenbar hat Doron die Schäferin zum Fressen gern.

Carmela deare, even as the golden ball
That Venus got, such are thy goodly eyes,
When cherries juice is jumbled therewithall,
Thy breath is like the steme of apple pies.

Thy lippes resemble two Cowcumbers faire,
Thy teeth like to the tuskes of fattest swine.

Carmela mein, ganz wie der goldne Ball
Der Venus, grad so sind deine güt'gen Augen mir,
Wenn Kirschensaft vergossen hier und dort,
Wie Apfelkuchen ist dein Atem mir.

Dein Mund gleicht einem Paare schöner Gurken
Und deine Zähne fetter Schweine Hauer.

Gurkenlippen? Schweinehauer? Das hat sicher beeindruckt. Nun, paradiesisch stellt man sich jedenfalls das Landleben vor, wenn man in 16. Jahrhundert in der Stadt lebt. Die fruchtstrotzenden Apfelbäume werfen dem schlafenden Wanderer ihre Frucht in den Schoß, die Haselnüsse, die Beeren, man streckt nur die Hand aus. Von Missernten, von Heuschreckenschwärmen, von Pferdekrankheiten, Bruchbändern, Schwarzrost und Mehltau schweigt der schäfernde Dichter. Stattdessen: der offenbar ganzjährig errötende Apfel, die bescheidne Birne, Kirschen, Erdbeeren, das würzig-nussbraune Bier - alles wartet geradezu darauf, verspeist zu werden, bis der Esser gar nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf - oder der Magen - steht. Das Paradies, wir erinnern uns an Genesis 1, 29, macht eben keine Arbeit nötig, unverlangt stellt sich die Fülle ein. Das Füllhorn ländlicher Dichtung schüttet Andrew Marvell seine Gaben so reichlich aus, dass der im Lustgarten der Lyrik umhertaumelnde Cavalier vor lauter prall gereifter Gottesgaben ins blumige Gras beißt:

What wond'rous Life in this I lead!
Ripe Apples drop about my head;
The Luscious Clusters of the Vine
Upon my Mouth do crush their Wine;
The Nectaren, and curious Peach,
Into my hands themselves do reach;
Stumbling on Melons, as I pass,
Insnar'd with Flo'rs, I fall on Grass.
Was führ ein Leben ich hier wundersam!
Reif fallen Äpfel mir aufs Haupt;
Aus süßem Trauben keltert mir die Reb'
Auf meine Lippe ihren Wein;
Die Nektarin', die Pfirsiche, ergötzlich
Mir reichen selbst sich in die Hand;
Melonen hemmen mir's Vorübergehn,
Ein Blumen=Fang fall' ich auf Gras.

Nichts freut den Hirten mehr, als wenn er sich fernab von Hof und Haus mit einfacher Rohkost den Bauch füllen kann, je gröber, desto besser. Wie die Rohrflöte das Cembalo, so bezwingt das frisch, fromm, fröhlich und ohne Umstände verschlungene Grünzeug die pikanten Lerchenbrüstchen. Denn auch mit der Kochkunst kann man es übertreiben, bis aus dem schlichten Mus der Urgesellschaft der dekadente Stadtfraß wird. Thomas Shadwell, der am gehässigsten verspottete Dichter des 18. Jahrhunderts, lässt Schäfer und Nymphe daher einmütig übereinstimmen, dass die auf dem Lande bewahrte Unschuld im Essen doch das diätetisch Beste sei. Der Schäfer führt an, dass die Gemüter auf dem Lande noch nicht vom Überfuss verdorben seien, dass ein heimisches Genug und ein rechter Appetit für Gesundheit und Stärke schon sorgten. Ganz recht, erwidert die Nymphe, und vergisst dabei ganz, dass sie als Geistwesen menschliche Kost im Grunde keineswegs nötig hätte:

A chast cold Spring does here refresh our Thirst,
Which by no feverish surfeit is increas'd.
Our food is such as Nature meant for Men,
Ere with the Vicious, Eating was an Art.

Ein keuscher Born erquickt uns kühlend hier den Durst,
Den fieberhaftes Streben nicht verstärkt.
Natur bereitet' uns die menschlichere Kost,
Eh bei Verruchten ward Verköstigung zu Kunst.

Ins selbe Horn stößt Joseph Warton in seinem Enthusiast: auch Wartons Sprecher drängt zurück in die muffigen Höhlen der Väter, denen die freundliche Erde unbestellt reiche Ernten schenkte, die dankbar noch die bitterste Eichel und die wieder einmal erötenden Beeren aufsammelten, um dann aus einem "flüssigen Schwunge murmelnder Wasser" ihren Durst zu stillen. Was die Nymphen anstellen? Darüber bewahren wir bei Tische Stillschweigen. Nun, jedenfalls schmeckt die Hirtenkost weitaus besser in frischer Luft und Buchenschatten als bei fiebernder Gier und Tabakdunst. Ja, was waren das für Zeiten, als man noch nicht wie verrückt auf den sieben Weltmeeren herumsegelte um von "schädlichem Kraute den Tod zu lesen" .

Es leuchtet ein, dass auch der schönste Hirtentraum einmal vorbei ist, wenn die Hirten verhungern. Es gibt nämlich nicht nur den schmachtenden Blick auf die Hopsereien von Kunsthirten, es gibt auch Arbeit im verlorenen Paradies. Die Armut der Landleute konnte auch den dumpfsten Dichtern nicht verborgen bleiben, die verschiedenen Enclosure Acts, die Landflucht, die Hungernden. Zunächst aber entdecken Dichter wie Stephen Duck nur, dass die Arbeit für den Lebensunterhalt schweißtreibend ist und oft das Vesper nicht ausreicht:

With Heat and Labour tir'd our Scythes we quit,
Search out a shady Tree and down we sit:
From Scrip and Bottle hope new Strength to gain;
But Scrip and Bottle too are try'd in vain.
Down our parch'd Throats we scarce the bread can get;
And, quite o'rspent with Toil, but faintly eat,
Nor can the Bottle answer all;
The Bottle and the Beer are both to small.

Von Hitz' und Arbeit müd gehn wir vom Feld,
Nach einem schatt'gen Baum, und setzen uns:
Von Brot und Flasch' erhoffend neue Kraft;
U msonst sind Brot und Flasche versucht.
Durch dürre Kehlen will uns kaum das Brot;
Wir essen kaum, so ausgelaugt von Müh,
Und auch die Flasche reicht uns nicht;
Die Flasch' ist klein, das Bier ist dünn.

Wer entschädigt die heimkehrenden Arbeiter? Richtig - wieder sind es ihre Frauen, die nun auch nicht mehr die Schonkost der Nymphen servieren, sondern ein kräftiges Essen, das Löcher im Magen stopfen soll, die eine sich stets erneuernde Sisyphusarbeit den Männern gerissen hat. Mit Eile fischt die brave Frau den Knödel und legt den Schinken dazu, als wäre beides miteinander verheiratet. Was die Ehefrau macht, derweil sich der Gatte vom Grundbesitzer mit Ale abfüllen und mit gedeckter Tafel verköstigen lässt? Wir können es nur vermuten.

Ehe man sich's versieht, tritt in der einstmals so lustbaren Hirtendichtung zur auszehrenden Arbeit die Not. Missernten und neue Getreideseuchen suchen die Landarbeiter heim, und das Leiden der Ameisen in Staffordshire spricht sich auch bei den Grillen in Groß-London herum. Charles Churchill lässt in seiner Prophecy of Famine zwei Hochlandknaben miteinander über die Hungersnot klagen. Davor jedoch schildert er die Hungersnot so drastisch, dass es Lesern und Leserinnen den Magen zusammenzieht. Selbst die Nacktschnecken kriechen, getrieben vom Hunger, Hauswände empor, und "halb verhungerte Spinnen jagen halb verhungerte Fliegen". Die einst so barock aufgetürmte Tafel der Landschaft ist nun ein Tisch, von dem der Wind ein paar Brotkrümel fegt. Angesichts erbärmlicher Brotkrusten möchte ein William Cowper in The Task nicht mit den Landleuten tauschen, auch wenn noch Butter beiliegt und ein wenig Käse. Die Zeit der roten Äpfel ist vorbei und vorbei sind die Lustbarkeiten Sidneys und Marvells.

Die deutsche Idyllendichtung nimmt einen ganz ähnlichen Verlauf wie die englische, zumindest in kulinarischer Hinsicht. Eigen ist beiden Literaturen der Widerstand gegen Zecherei, gegen maßloses Überfressen und überfeinerte Würzung. Die Stadt - in England ist es vorzüglich die Weltstadt an der Themse - und der Hof sind die Gegenbilder der ländlichen Hütte und der Schafkoppel, und so stehen Pastetchen gegen Rüben. Salomon Geßner nennt seinen adversus, den Gegner der idyllisch umrahmten Satire, mit griechischem Namen Orontes. Zunächst jedoch schildert Der Wunsch in reicher Fülle und beweglicher Abwandlung die ländliche Hütte, den ländlichen Garten, den sich der Sprecher erträumt. Er schließt dabei an Rousseaus Empfehlung an, sich im Garten - aber nicht gärtnernd! - der Natur anzunähern. Der sich frei entfaltende Dichtergarten in englischer Manier, eingefriedet mit Haseln, ist zugleich Lustort und Schutzort, locus amoenus und hortus conclusus. Fern sei dieser selbstgewählten Einfalt das Landhaus des Städters Orontes und sein barocker Ziergarten. Ihm geht jeder Sinn für die Schönheit der Natur ab, des "lieblichen Schauspiels" des Bienenstaats, weil ihm die Natur nur Stätte gewinnbringender Verrichtungen ist, deren Frucht ein speichernder Keller aufnimmt:

Weit von Oronten weg sei meine einsame Wohnung; fernher sammelt sich Wein in seinem Keller, die Natur ist ihm nur schön, weil niedliche Bissen für ihn in der Luft fliegen, oder den Hain durchirren, oder in der Flut schwimmen.

Salomon Geßners Idyllen, 1756 in Zürich bei Gessner "dem Verfasser des Daphnis" gedruckt, sind eigenartige Mischwesen aus Epfindsamkeit und Rokoko, rückwärtsgewandt und industriefeindlich, zugleich aber den feudalen Prunk der Höfe verdammend. Empfindsam ist der Geist, Rokoko die Form. Weil Arbeit den Aristokraten ebenso schändet wie die Ausbeutung den Dichter reicht dem Dichter, der beides ist, die Natur ihre Früchte selbsttätig hin - im Mycon etwa heißt es: "Zwo Ziegen gaben uns ihre Milch, und ein kleiner Baumgarten seine Früchte." Im Milon vollziehgt sich diese Begabung in einer Natur, deren Aufbau viel von der intimen Lustarchitektur des späten Rokoko hat. Die Rocaillen um die Höhle des Milon geben "Epheu" und Kürbis:

Sieh wie auf dem Hügel die Haselstaude zu grünen Grotten sich wölbt, und wie die Brombeer-Staude mit schwarzer Frucht um mich her kriecht, und wie der Hambutten-Strauch die roten Beeren empor trägt, und wie die Apfelbäume voll Früchte stehn, von der kriechenden Reb' umschlungen. O Chloe! dies alles ist mein! wer wünschet sich mehr?

Erzählen vom Landleben und vom Essen auf dem Lande beginnt bald auch Erzählen von der Freiheit zu sein, Erzählen im Eindruck der Revolution. In Johann Heinrich Voss' Erster Idylle aus der Leibeigenschaft, Die Pferdeknechte, sind Michel und Hans im Gespräch, klagen über die Härte des Vogts, der die einfachen Leute ausnehme, und so lautet Michels Schluss: "Besser, arm und frei, als ein Sklave bei Kisten und Kasten! Wasser und trocknes Brot schmeckt Freien, wie Braten und Märzbier!" Wasser macht frei, Wein unfrei.Wer sich von Zwängen des Leibs befreien kann, der befreit sich selbst: wer hungern kann, wird frei. Tugend ist Verzicht, Völlerei Gewaltat. Hans erzählt wenig später ein Märchen, das freilich keines ist. Die verhüllte Kritik am adeligen Ausbeuter macht den Vogt zum wilden Jäger, entwirft eine Blaubart-Burg, in der sich Edelleute am Fleisch des Volkes laben: "Sie fressen / Blutiges Menschenfleisch und trinken siedende Tränen." Sobald der Oheim des Erzählers jener eingebetteten Geschichte selbst ansetzen muss, den Krug der Tränen zu leeren, verschwindet die gespenstische Szene. Vossens dörfliche Idyllen mit ihrem ganz unhöfischen, aber eben auch ganz und gar nicht schäferhaftem Landvolk grenzt sich ab gegen jene Schäferdichtung, die im Anfang des Jahrhunderts wegweisend war: die französische. Mit dem Erscheinen der Idyllen der Deutschen aus der Hand Schmidts in den Jahren 1774 bis 1775 stellte man ihr eigene - deutsche - Idyllen entgegen, die dem linksrheinischen Muster noch stark verhaftet waren. Vossens Idyllen und die Bilder kräftig-schweren Essens mit unabsehbaren Folgen in der Verdauung sind Stellungnahmen gegen die edle Küche Versailles und die als dekadent empfundene Schäfermaskerade des Petit Trianon. Daher auch die lobenden Worte des "edlen bescheidenen Walters", gerichtet an die "liebe Mama" in der geburtstäglichen Festmahlszene aus der Luise:

Säße beim Mahle der Ländlichkeit selbst auch der Kaiser,
Unter dem Schatten der Bäum', in so traulicher lieber Gesellschaft;
Und er sehnte sich ekel zur Kost der französischen Köche
Und zum Gezier der Höflinge heim; so verdient' er zu hungern.

In der empfindsamen Idlylle lebt der ländliche Hüter der Ziegen also noch von Honig und glühenden Trauben, dann darf es mal ein Rettich sein, und in Vossens Der siebzigste Geburtstag in der ersten Fassung von 1780 zieht man sich zur Mahlzeit in die gute Stube zurück. Die erste Fassung ist dem damals gerade siebzig gewordenen Schweizer Johann Jacob Bodmer gewidmet; weitere Gleichsetzungen mit dem rüstigen Greis allerdings der Idylle verbieten sich jedoch von selbst - Bodmers Geburtstag am 19. Juli dürfte eher mit Johannesbeerwein begossen worden sein. Vossens Stubenherrlichkeit, die Decke rotgeblümt und "den eichenen Schrank mit Engelköpfen und Schnörkeln", bei den Engländern wäre sie in ihrer überwürzten Gemütlichkeit undenkbar. Zunächst hat der Jubilar jedoch mit dem "balsamischen Rheinwein" zu tun und stößt mit Mütterchen auf die Gesundheit an. Es folgt eine episch breite Beschreibung der Stube samt Zinnbechern und Kuckucksuhr, die Zuckerdos' wird nachgefüllt, die Kaffeebohnen in der Pfanne geröstet, bis sie zwischen den Knien gemahlen, gebrüht und durch ein Papier gefiltert: fertig ist der auf der ersten Silbe betonte "Kaffe" mit nur einem <e>! Voss hat offenbar die häusliche Idylle noch immer nicht idyllisch genug gefunden, weshalb er in der zweiten Fassung von 1802, nun nicht mehr dem seit fast zwanzig Jahren verstorbenen Bodmer gewidmet, die treffliche Mahlzeit vermehret. Nun schöpft die Magd zusätzlich noch Rahm ab, der die Kaffeesahne abgibt, ein Zuchtkarpfen und eine gestopfte Gans wird bereitet. Die Äpfel auf dem Schrank vollenden den Eindruck eines üppigen winterlichen Festmahls. Der kräftige Geschmack des Hausgemachten, er gehört zum Dorf, und er gehört zu jener Literatur, die im Dorf ihr Jerusalem sieht. Bei Mörike ist auch der Turmhahn, der die Geschehnisse im Dorf von seiner Warte übersieht, Teil jener kulinarischen Einheit, die das Dorf bezeichnet. Er überwacht, im Gespräch mit sich selbst, die Magd im Pfarrhaus unter ihm,

"Dann von der Küch' rauf, gar nicht übel
Die Supp' ich wittre, Schmalz und Zwiebel."

Kommen wir noch einmal zum "Kaffe" bei Voss zurück. In der ersten Idylle seiner Luise von 1795, Das Fest im Walde überschrieben, sitzt ein Pfarrer unter einem Lindenpaar auf einem handgeschnitzten Sessel und schmaust. Er schmaust zu Ehren Luisens, die an diesem Tage Geburtstag feiert, aber schmaust allein, das Festmahl ist beendet, Packan benagt die Knochen. Die anschließende Wechselrede verläuft nach einem strengen Muster, wie es noch manche schwäbische Hausfrau beherrscht: "Seid ihr auch satt, ihr Lieben?". Die Selbsterniedrigung des Gastgebers fordert den Gast dazu auf, die Einwendungen zu widerlegen und durch überschwängliche Auslassungen zu übertreffen; in diesem Fall fällt der letzte Trumpf aus der Hand des alten Vaters, der das höfliche Bescheiden seines Schwiegersohns mit einer Kaskade möglicher Mängeln aussticht:

Ei mit der ungereimten Entschuldigung! War denn der Reisebrei
Angebrannt? und der Wein auf dem Reisbrei nüchtern und kahnig?
Waren nicht jung die Erbsen und frisch, und wie Zucker die Wurzeln?
Und was fehlte dem Schinken, der Gänsebrust und dem Hering?
Was dem gebratenen Lammm, und dem kühlenden rötlichgesprengten
Kopfsalat? War der Essig nicht scharf, und balsamisch das Nußöl?
Nicht weinsauer die Kirsche Dernat, nicht süß die Morelle?
Nicht die Butter wie Kern, nicht zart die roten Radieschen?
Was? und das kräftige Brot, so locker und weiß! Es ist schändlich,
Wenn man Gottes Gaben aus Höflichkeit also verachtet!

Voss schildert ein Spiel, das bei Tisch immer wieder gespielt wird: der Gastgeber beeindruckt durch Freigiebigkeit, der Gast durch gezügelten Appetit; der Gastgeber macht sich und seine Küche herunter, um dem Gast Gelegenheit zu geben, ein Lob auszusprechen. Die Dichte der Beschreibung zeigt ihre Künstlichkeit an: das Mahl ist bereits vorüber, Voss lässt es also noch einmal, rücklblickend und deshalb in umgekehrter Reihenfolge, vor dem Gast (und dem Leser) vorbeiziehen. Bäurisch jedenfalls ist die Speisenfolge jedoch keineswegs: Hering, Gänsebrust und Schinken dürften selten gemeinsam aufgetragen worden sein. Jedenfalls bietet sich die Geschlossenheit der Reihung an, eine dichterische Schwierigkeit zu beherrschen, die das Beschreiben des Essens sonst so bitter macht: das decorum verbietet es, den Esser zu zeigen, und auch die leiblichen Folgen des Mahls sind kein Gegenstand der Idylle; es versteht sich, dass auch die Überreste der Mahlzeit mit keinem Wort erwähnt werden: "Endlich erfasste das rüstige Schwein mit gebogenem Rüssel die lockenden Reste?" - völlig undenkbar. Aber doch ist es Voss möglich - oder sogar nötig? - die dörfliche Idylle gegen die Etikette der Städter mit Derbheit anzureichern, der kräftigen Kost eine kräftige Wirkung zu verleihen. Ein Beispiel für diese Ästhetik des Groben ist der Junker Kord, Ein Gegenstück zu Virgils Pollio, unter dem Eindruck des Directoires 1794 entstanden. Die vierte Ekloge Vergils, ihr Übersetzer Voss nennt sie die vierte Idylle, ist im Titel angespielt. Gemeinsam ist beiden, Vorlage und Travestie, in der Tat außer dem stofflichen Anlass der Geburt nicht viel: den heroischen Ton der Vergilschen Idylle unterläuft Voss mit grotesken Paarreimen, teils in reicher Kadenz, den homerischen Hexameter ersetzt er durch den Alexandriner der französischen Hofdichtung. Vergils Ekloge besingt den Sohn eines Konsuls und das goldene Zeitalter, das dessen Geburt verspricht; Voss besingt das "Jünkerchen", dem "des Junkers Frau" das Leben geschenkt hat. Zunächst Vergil:

Weder den Karst erduldet die Flur, noch die Hippe der Weinberg;
Schon auch löset die Stiere vom Joch der stämmige Pflüger.
Nicht mehr lernet die Wolle den Lug vielartiger Färbung:
Nein, selbst hüllt auf der Aue der Widder sich bald in des Purpurs
Liebliche Röte das Vlies und bald in feurigen Safran;
Und freiwillig umglüht Scharlach die weidenden Lämmer.

Den Honig, der bei Vergil von der Eiche tropft, macht Voss zu Met; den Purpur des Widderfells findet er wieder an den Nasen der Trinker. Die Verheißung Vergils verkehrt sich in ihr Gegenteil; das "Gegenstück" macht seinem Namen Ehre. Die maßvoll genossene Ernte, die Geiß mit ihrem "milchgeschwollenen Euter": im römischen Vorbild verheißt die Schlichtheit der Nahrung die Einfalt des saturninischen Zeitalters, bei Voss schüttet die Natur dem Kind Vorboten seiner Schlechtheit aus, Standeskritik wird, wenn Hebungsprall und gesuchte Reimen das Preislied unterlegen:

Wohl dir, holdselig Kind! Dir sprießet Gerst und Hopfen
Auf väterlicher Flur, zu braunem Balsamtropfen;
Dir trägt die Biene Met zu starker Morgenkost;
Aus eignem Garten quillt würzhafter Apfelmost.

An die Stelle des noch ungekelterten Weins aus dem Vorbild Vergils, an die Stelle der Geißenmilch, in ihrem arkadischen Bereich durchaus heroisch und also angemessen, tritt in Voss' "Lied voll Saft und Mark" der gar nicht heroische "Rheinwein" und das noch weniger heroische "englisch Bier".

Sinnlicher begreift Wilhelm Müllers Molon die Landschaft. Die in Prosa gefasste Ekloge des Fauns um seine verstorbene Frau bedient sich ländlicher Güter, um die ursprüngliche, in der Form einfache Klage dem halb tierischen Empfinden des Fauns anzunähern. Die Rede des Fauns ist derb; während dem menschlichen Kläger die Trauer den Hunger vertreibt, entfällt dem trauernden Satyr die fleischliche Wohltat, und der Hunger kündigt sich an. Müllers ländliche Satyre greift weder auf Vergil, noch auf Theokrit zurück: zu denken ist eher an bildkünstlerische Entwürfe, die noch aus dem Barock stammen, an Rubens' Genreszenenoder an Jacob Jordaens. Man kann in Müllers Faun als Gegenentwurf zu den Idyllen Geßners und seiner Nachfolger sehen: nicht das zarte Band, das schöne Seele in gefälliger Neigung vereinigt, sondern die handfeste Bindung des Fleischs zum Fleisch macht er zum Gegenstand seiner Bukolik. Gerade deshalb treibt er nicht Hirten und Hirtinnen aneinander, sondern Faunen und Nymphen, umgeht so den Vorwurf der Unsittlichkeit. Maler Müllers Faun ist keine im eigentlichen Sinn pastorale Utopie: sie ist das Gegen- und Zerrbild einer leidenschaftslosen Schäferwelt. Sie stimmt nicht hoch und besänftigt nicht, sie reizt und entlastet. Auf abgrenzendes Gelächter zielt Müllers Entwurf, nicht auf teilnehmendes Mittrauern. Die Früchte des Lands sind nicht einfach Symbole, deren Austausch die Liebe schon anbahnt. Zwar ist auch die Nahrung des Fauns roh und simpel, aber nicht verlockende Form oder Farbe, nicht die Kunst der Darreichung, allein Geschmack und Nährwert, Fülle und Masse sind wichtig:

Was flog da Butter, Käse, Mehl, Honig und Kürbis in meine Keze; also reichlich, daß ich fast darunter zu Boden sank. - Jedem Mädgen sangst du dann was vom goldigen Buben und fremden Schäfer, mit Lämmer-Herden, weiß, grau, wie Holderblüt, und vom Mainachts-Amor -- des lachten die Dirnen gar herzlich; sprachen: Ei! wärs wahr! Gaben noch Milch und Most darüber, also, daß wir reich beladen zurück kamen, mit allem, was liebs und guts ist, und wir schmausen konnten nach Herzens Willen.