Theater und Film

Seit der Entstehung des Films stehen Theater und Film in Konkurrenz und Wechselwirkung, Filme greifen auf das ästhetische Repertoire des Theaters zurück, das Theater bedient sich filmischer Konventionen. Gemeinsam ist beiden, dass mit audiovisuellen Mitteln eine für den Betrachter bedeutsame Illusion der Wirklichkeit kommuniziert wird.

Film und Theater – zwei verwandte Medien

 

Theater

Film

Zeit

Theater findet im Jetzt statt!

Film wird zeitlich verschoben konsumiert: Der Film ist immer eine Aufzeichnung – zwischen Produktion und Rezeption liegt ein oft langwieriger Prozess.

Ort

Die Zuschauer befinden sich im selben Raum wie die Schauspieler, der Bühnenraum ist nur symbolisch abgegrenzt.

Die Zuschauer schauen von außen auf die geschlossene Welt des Films.

Kosten

Theaterkarten sind teuer, die Produktion vergleichsweise günstig.

Filmkarten sind relativ günstig, dafür ist die Produktion um so teurer.

Schauplatz

Durch die körperliche Gegenwart der Schauspieler im Raum sind Schauplatzwechsel nur symbolisch möglich oder durch das Umrüsten der Bühne.

Ein Film kann mit einem Schnitt den Schauplatz wechseln oder im Split-Screen-Verfahren zwei Schauplätze gleichzeitig zeigen.

Soziale Bedeutung

Der Theaterbesuch ist ein gesellschaftliches Ereignis; Karten werden oft langfristig im Voraus gebucht, die Zuschauer und Zuschauerinnen tragen Festgarderobe – auch die Ausstattung der Theaterbediensteten, die Beleuchtung und die Verköstigung im Theater unterstreichen den Festcharakter der Theateraufführung.

Zumindest der Kinobesuch ist ein Gemeinschaftserlebnis mit typischen Zügen (Popcorn); allerdings lässt sich jeder Film auch alleine konsumieren. Der Festcharakter ist zu Hause nicht gegeben.

Interaktion

Aus der Begegnung von Schauspielern und Publikum ergibt sich Interaktion; das Publikum bestimmt den Verlauf des Schauspiels mehr oder minder stark mit. Zuschauer können sogar in die Handlung eingreifen.

Zuschauer können die Handlung des Films nicht beeinflussen.

Sinnlichkeit

Das Theater kommuniziert auch Raumerlebnisse und Gerüche.

Filme werden rein audiovisuell vermittelt.

Perspektive

Das Theater der Guckkastenbühne erlaubt nur einen Blickwinkel, der während der Rezeption nicht verändert wird.

Filme arbeiten mit einer Vielzahl von Perspektiven, können z. B. Vogelperspektive mit Mitsicht kombinieren.

Fokus

Obgleich die Bühne eine Blickfolge anlegt, kann der Zuschauer den Blick frei schweifen lassen.

Auch hier kann der Betrachter einen anderen Schwerpunkt wählen als die Kamera; durch das, was sie im Kader zeigt und wie nah sie herangeht, ob man von unten hinauf- oder von oben hinabschaut: Das bestimmt die Kamera.

Dauer

Die Handlung ist kontinuierlich.

Schnitte ermöglichen eine Straffung der Handlung.

Distanz

Das Geschehen auf der Bühne ist vom Betrachter stets gleich weit entfernt.

Über Zoom und Kamerafahrt können Details herausgearbeitet werden.

Ton

Beim Theater ist die Geräuschquelle im Raum feststellbar: Der Ton hat einen Ort im Raum, richtet den Blick des Zuschauers aus.

In Filmen lassen sich Geräusche in der Regel nicht lokalisieren: Der Ton kann sich vom Bild lösen, ist weitgehend autonom.

Tricktechnik

Das Theater muss sich auf die Grenzen der Wirklichkeit beschränken.

Durch Morphing und andere Spezialeffekte kann physikalisch Unmögliches gezeigt werden.

Schärfe

Das Geschehen auf der Bühne ist stets gleich scharf.

Durch Blenden schaffen Filme Bedeutung, lassen Gegenstände verschwimmen oder schärfer hervortreten.

Geschwindigkeit

Das Geschehen insgesamt ist nicht zu beschleunigen oder zu verlangsamen.

Zeitraffer und Zeitlupe dehnen oder raffen die Zeit im Film.

Originalität

Jede Theateraufführung ist anders. Die Theateraufführung ist zwar die Interpretation desselben Texts, aber zugleich einzigartig und nicht wiederholbar.

Der Film – sieht man von technischen Einflüssen ab – verändert sich auch nach zahllosen Aufführungen nicht.

Schauspiel

Schauspiel für die Bühne wirkt theatralisch: Weitenwirkung muss einkalkuliert werden und führt zu überdeutlichem Sprechen und groß angelegter Gestik.

Im Film lassen sich in der Groß- und Detailaufnahme Emotionen intensiver zeigen, die Darsteller können natürlich sprechen und kleinräumig oder nur angedeutet gestikulieren.

Fehler

Ein Fehler im Theater kann höchstens im Spiel kaschiert werden.

Fehler werden im Film oft beim Aufnahmeprozess vermieden, lassen sich aber auch retuschieren.

Besetzung

Im Theater werden Rollen in der Regel mehrfach besetzt.

Im Film ist die Einfachbesetzung üblich.

 Bibliographien

  • Manvell, Roger: Theater and film: a comparative study of the two forms of dramatic art, and of the problems of adaptation of stage plays into films. Rutherford: Fairleigh Dickinson University Press, 1979
  • Maintz, Christian (Hg.): Schaulust: Theater und Film - Geschichte und Intermedialität. Münster: Lit, 2002 (Literatur - Sprache - Medien; 2)
  • Maurer Queipo, Isabel: Theater und Schaulust im aktuellen Film. Bielefeld: transcript Verlag, 2004