Die Causa Adam Müller-Guttenbrunn

Kurz nach dem Krieg wurde die Kesselrain-Siedlung angelegt. Vertriebene waren zu versorgen, Wohnraum war knapp. Viele dieser neuen Winnender stammten aus Ungarn oder Rumänien. Es lag nahe, die Straßen nach verdienten Persönlichkeiten aus ihrer Heimat zu benennen. So kam die Adam-Müller-Guttenbrunn-Straße zu ihrem Namen. Heute wird immer deutlicher: Unproblematisch ist diese Namenswahl nicht. Fragen wir also: Sollte die Adam-Müller-Guttenbrunn-Straße umbenannt werden?

Nein! Adam Müller Guttenbrunn war Antisemit, das steht außer Frage. Richtig ist aber auch: Winnendens Umgang mit antisemitischen Tendenzen Winnender Bürger im Dritten Reich bestand lange im Leugnen, Verschweigen, Kleinreden, Übergehen. Die Unterlagen der Winnender Ortsgruppe: 1945 plötzlich verschwunden! Sehen wir von der verdienstvollen Arbeit der Stadtarchivare und ihrer Zeitzeugen ab: Aufarbeitung? Fehlanzeige! Historischer Antisemitismus muss aber dokumentiert bleiben, damit die Vergangenheit nicht verklärt wird. Lassen wir den Namen stehen – als Mahnmal! Unrecht schafft man nicht aus der Welt, indem man Straßen unbenennt.

Doch! Symbole schaffen Bewusstsein. Außerdem: Auch früher schon wurden in Winnenden topographische Namen geändert: Die Adolf-Hitler-Siedlung wurde nach 1945 zur Striebelsee-Siedlung, der Adolf-Hitler-Ring zur Ringstraße, die Schlageter-Straße zur Christaller-Straße, die Dietrich-Eckardt-Anlage wieder zum Stadtgarten. In diese Reihe gehört sinnvollerweise auch die Adam-Müller-Guttenbrunn-Straße. Oder?

Nein! Die Kosten für eine Umbenennung müsste letztlich der Steuerzahler tragen. Zudem: Neue Straßenschilder, neue Adressaufkleber, der Aufwand wäre immens. Und die Verwirrung erst! Kommt die Post auch weiterhin an?

Ja! Die Deutsche Post bekommt das hin, Paketdienste auch. Außerdem – längere, umständlichere Straßennamen gibt es in Winnenden nicht. Neun Silben, zwei Pfosten! Schon das Aufschreiben der Adresse wird zum Kraftakt! Ändern!

Nein – das wäre falsch! Als das Wohnviertel am Kesselrain bebaut wurde, zogen dort Vertriebene ein, auch Banater Schwaben, die ähnlich wie der junge Adam Müller-Guttenbrunn ausgegrenzt und unterdrückt wurden. Adam Müller-Guttenbrunn, selbst ein Banater Schwabe, hat sich mit seinem Roman Der große Schwabenzug von 1913 verdient gemacht um seine Landsleute. Die Straße umzubenennen, das würde die Identität der Donauschwaben in Frage stellen, ihre Gegenwart in Winnenden aus dem Straßenbild tilgen. Wäre Winnenden wirklich besser dran, wenn es dieses Erbe ausschlüge?

Aber ja! Heimatvertriebene haben nach 75 Jahren in Winnenden längst eine neue Heimat gefunden. Müller-Guttenbrunn, mit seinem Widerstand gegen Entwurzelung und Überfremdung – das ist Geschichte. Wir sollten nicht vergessen: Hier leben auch Ungarn, für die Müller-Guttenbrunn eine Reizfigur ist. Wir wollen versöhnen, nicht spalten. Runzelt man nicht andernorts die Stirn über einen so provokanten Straßennamen?

Nein, gar nicht! Der Temeswarer deutsche Literaturkreis benannte sich 1968 nach Adam Müller-Guttenbrunn. In Temeswar tagt im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus das Demokratische Forums der Deutschen im Banat. In Arad ist eine deutsche Schule nach ihm benannt. In Zăbrani steht ein Gedenkmuseum, in Wien liegt er in einem Ehrengrab bestattet. Wie würden wir eine Änderung den Schülern der Müller-Guttenbrunn-Schule in Masseldorn erklären oder den Müller-Guttenbrunn-Schülern in Fürth? Wären die nicht angesäuert?

Ja, vielleicht schon! Aber: Wenn Winnenden stattdessen verdiente Persönlichkeiten aus seiner Vergangenheit wählt – das ist doch verständlich! Beispielsweise Karl Mast: Träger des Bundesverdienstkreuzes, innovativer Lehrer, Verfasser spannender Abenteuerromane, Kirchenkenner, Haselstein-Erkunder? Wie wäre es denn mit einer Karl-Mast-Straße? Wir haben doch verdiente Persönlichkeiten vor Ort! Wenn es kein Mann sein soll: Fallen uns nicht auch Frauen ein, die Großes geleistet haben, die beeindruckende Persönlichkeiten waren? Adelheid vielleicht, die erste Herrin auf Bürg? Oder Herzogin Sabina? Wäre das nicht besser?

Nein, keineswegs! Heilige werden wir in Winnenden nicht finden, und auch nicht anderswo. Überhaupt: Wo kämen wir denn hin, wenn wir nur klinisch reine Straßennamen wählen wollten? Schauen wir in die nähere Umgebung: Lenau? Ein verrückter Syphilitiker! Stifter? Ein Selbstmörder! Wir ehren ja in Müller-Guttenbrunn nicht den Antisemiten, sondern den Schriftsteller! Sollten wir nicht differenziert urteilen?

 Fraglich! Wir wollen nichts relativieren. Selbst in einer Zeit, in der Judenhass durchaus salonfähig war, sticht Müller-Guttenbrunn heraus. Einen so abgebrühten Antisemiten muss man erst einmal finden: Er ließ antisemitische Stücke aufführen, verfasste antisemitische Schriften, stand einer antisemitischen Schriftstellergenossenschaft vor. Wäre alles andere als eine Umbenennung nicht eine schallende Ohrfeige für jeden jüdischen Deutschen? Für jeden, der heute wieder fürchten muss, dass man Synagogen schändet, dem man heute wieder die die Kippah herunterschlägt? Antisemitismus ist doch nicht verhandelbar!

Zugegeben – ja. Anderseits: Das ist doch reine Symbolpolitik. Wir können doch niemanden von seinem antisemitischen Irrglauben abbringen, wenn wir eine Straße umbenennen. Ein Vorschlag zur Güte: Warum fragen wir nicht einfach die Anwohner? Sie müssen doch leben mit Adam Müller-Guttenbrunn! Ob man den Namen ändert oder nicht: Sie wären doch die Betroffenen.

Guter Vorschlag. Allerdings: Betroffen sind wir aber alle – wir, die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Wir müssten es dulden, wenn ein glühender Antisemit im Straßennamen verewigt bleibt. Entscheiden sollte jedoch die Demokratie. Ein Gremium, dessen Beschlüsse wir anerkennen: Der Gemeinderat.