Das materialgestützte Verfassen informierender Texte

Vielleicht gehört es zu deinen Stärken im Deutschunterricht, dass du ganz passabel zusammenfassen kannst, dass es dir leicht fällt, zu vereinfachen, systematisch darzustellen und klar zu erläutern. Wenn du außerdem solides Hintergrundwissen in den Bereichen Sprache, Medien und Literatur hast, dann kommt für dich die Aufgabe „materialgestütztes Verfassen eines informierenden Texts“ in Frage. Die folgenden Erläuterungen können dir bei der Vorbereitung helfen. Ein Musteraufsatz zeigt dir, wie der fertige Aufsatz aussehen könnte. Das Dossier besteht aus drei Texten und einer Informationsgrafik, die aus urheberrechtlichen Gründen nicht abgedruckt werden können.

Zum Aufgabenformat: Was kommt auf dich zu?

Seit 2021 hat die Literatur im Deutsch-Abitur an Bedeutung verloren. Du hast nun in den Aufgabenbereichen III und IV mit Sachtexten zu tun. Uns interessiert der vierte Bereich, das „materialgestützte Schreiben“. Hier kann dir entweder argumentierendes Schreiben abverlangt werden (der Kommentar) oder ein Informationstext. Für uns relevant ist das informierende Schreiben. Im Gegensatz zu einem Kommentar sollst du dabei niemanden von deinem Standpunkt überzeugen, sondern ins Thema einführen, etwas erklären, kontextualisieren und beurteilen. Das Modell eines informierenden Texts ist ein journalistischer Hintergrundartikel oder ein Fachbeitrag in einem Informationsmedium für ein breiteres Publikum. Dein Hauptziel wird also sein, aus mehreren Quellen einen Informationsbeitrag herzustellen, der das Publikum einführend informiert. Wer deinen Aufsatz liest, sollte eine ausreichende Basis zum Mitdiskutieren haben. Da wird es mit dem Fach Deutsch zu tun haben, ist domänenspezifisches Wissen gefragt. Das bedeutet, dass im Unterricht die Grundlagen zu deiner Beschäftigung mit Sprache, Medien und Literatur gelegt werden. Aus diesen drei Bereichen (oder Domänen) stammen die Themen beim informierenden Schreiben. Du musst also nicht befürchten, dass du dich mit Kernfusion oder Plattentektonik auskennen musst. Allerdings kannst du allein mit der Hilfe des Dossiers noch keinen bauchbaren Aufsatz schreiben – dein eigenes Vorwissen ist explizit gefordert. Es schadet nichts, über den Unterricht hinaus die Diskussionen in den Medien zu verfolgen. Gut geeignet sind dazu die Online-Auftritte der Öffentlich-Rechtlichen (ARD, Arte, …) und die großen Printmedien im Inland und Ausland: „Süddeutsche“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Zeit“, die Berliner „taz“, aber auch der „Guardian“, „Le Monde“ und die „Washington Post“.

Vorgehen

Vorbereitung

Für eine Klausur, bei der informierendes Schreiben verlangt wird, empfiehlt sich eine umfassende Vorbereitung. Ganz allgemein sollten domänenspezifische Materialien aus dem Unterricht gesichtet werden, die möglicherweise schon Aufschluss geben über das Klausurthema. Deine Unterlagen zum Aufbau des Aufsatzes solltest du ebenso nutzen wie Sammlungen sinnvoller Redemittel, stilistischer Empfehlungen und vertiefendes Material zum Zitieren und Paraphrasieren. Eigene Recherchen sollten die Materialien aus dem Unterricht ergänzen. Zur Vorbereitung gehört auch individuelles Üben. Deine sprachlichen Kompetenzen solltest du selbstständig erweitern, Rückmeldungen von Lehrkräften ernstnehmen. Ausgehend von deinem Fehlerprofil in den letzten Arbeiten beseitigst du Rechtscheib- und Grammatikprobleme, übst die Kommasetzung und achtest auf deine typischen Ausdrucks- und Stilfehler.

Zeitliche Planung

Wenn du von vier Stunden Klausurzeit ausgehst (= 180 min), dann empfiehlt sich folgende Strategie:

  1. 00:00 (5 min): Analyse der Aufgabe
  2. 00:05 (15 min): Sichtung des Dossiers
  3. 00:20 (50 min): Konzept
  4. 01:10 (10 min): Reinschrift, Einleitung,
  5. 01:20 (1 h 20 min): Reinschrift Hauptteil
  6. 02:40 (20 min): Korrekturdurchgang
  7. 03:00: Abgabe

Wenn dir die Zeit zum Konzipieren zu lang erscheint, dann halte dir vor Augen: Ordnung ist beim informierenden Schreiben zentral. Das fordert sorgfältige Planung im Konzept. Hast du die gedankliche Arbeit im Vorfeld geleistet, kannst du dich bei der Ausarbeitung auf die sprachliche und rhetorische Gestaltung konzentrieren.

Analyse der Aufgabenstellung

Aufgabe: Deine Schule hat sich mit einem neuen Leitbild das Ziel gesetzt, Lernenden mit einer Behinderung gleiche Bildungschancen zu geben. Dafür soll sich auch sprachlich einiges tun – unter anderem verwendet die Schulleitung inzwischen Einfache Sprache. Die Schulleitung beauftragt dich, für die Schülerzeitung einen Artikel mit max. 1500 Wörtern über die Bedeutung der Sprache bei der Inklusion zu schreiben, in welchem du darlegst, weshalb sprachliche Inklusion notwendig ist und wie sie funktionieren kann. Verfasse diesen Artikel auf der Grundlage des vorliegenden Dossiers und unter Berücksichtigung eigenen Wissens.

Zunächst liest du die Aufgabe ganz. Rasch wird dir klar, was das Thema ist: Inklusion und Sprache. Präziser: Wie sich Sprache auf Inklusion auswirkt. Weil der Anlass das neue Leitbild der Schule ist, ist auch klar, dass du dich auf Inklusion in der Schule beziehen wirst. Dein Publikum ist hier die Schulöffentlichkeit, deine Rolle die eines Schülers als Sprachrohr der Schulleitung. Das ergibt sich aus der Bitte der Schulleitung, den Beitrag in der Schülerzeitung zu veröffentlichen. Diese fiktive Schülerzeitung ist damit auch das Medium, die verlangte Textsorte ein informierender Artikel. Für eine Schülerzeitung gilt: Du solltest Schüler ernst nehmen und nicht vor den Kopf stoßen, andererseits darfst du auch die Schulleitung und die Eltern nicht verprellen. Dein Ziel sollte sein, a) zu zeigen, dass sprachliche Inklusion „notwendig“ ist und b.) Wege aufzuzeigen, wie sinnvolle Inklusion im Bereich der Sprache aussieht. Dafür gibt es eine Grenze hinsichtlich der Wortzahl: Sie liegt in diesem Aufsatz bei 1000 Wörtern. Diese Grenze ist das Maximum, du darfst darunter bleiben, solange dein Aufsatz hinreichend Substanz hat.

Analyse des Dossiers

Im Hinblick auf deine Zielsetzung schaust du dir nun das Dossier durch. Oft legt die Anordnung der Materialien eine bestimmte Reihenfolge nahe, sie ist aber keineswegs verpflichtend und muss häufig durchbrochen werden. In der Regel sind es mehr Materialien als im Beispiel – und neben Texte können diskontinuierliche Formen wie Grafiken, Karikaturen oder Tabellen treten. Nimm dir etwas Zeit für die Lektüre. Erst bestimmst du die Anzahl der Materialien, die vertretenen Textsorten (oder das Medium) und die jeweilige Zielsetzung des Materials: Liefert es Fakten? Bietet es Beispiele? Nimmt es Unterscheidungen vor? Definiert es den Sachverhalt? Dann hebst du wesentliche Informationen hervor, die dir helfen könnten beim Aufbau deines Aufsatzes. Achte besonders darauf, dass das Material dir dabei hilft, die kommunikativen Ziele des Aufsatzes zu erreichen. Es empfiehlt sich, das Material schon jetzt durch Nummerierung und Farbcode unterschiedlichen Bereichen zuzuweisen.

Disposition: Die Anordnung des Materials im Konzept

Im Konzept befasst du dich zunächst mit der Einleitung. Du hältst die Ergebnisse deiner Aufgabenanalyse bereit:

  • Wie steige ich ein ins Thema?
  • Was ist der Anlass des Schreibens?
  • An welches Publikum richte ich mich?
  • Aus welcher Rolle heraus?
  • Wie begründe ich die Wichtigkeit des Themas?
  • Welche vertiefenden Erläuterungen zum Thema sind nötig? Wo muss ich Begriffe definieren?

Nun muss das Material noch für den Hauptteil disponiert werden. Dazu entwickelst du zunächst Hauptaspekte, die du mit deutlichem Abstand auf deinem Konzept notierst. Wenn du viel Zeit hast (und nicht gerade in einer Abi-Klausur steckst) kannst du deine Themen auch auf Karteikarten schreiben, damit du sie frei verschieben kannst. Wichtig wäre auch, welche Aufgabe der jeweilige Abschnitt haben soll:

  • Möchtest du Fakten beitragen?
  • Willst du ein Beispiel liefern?
  • Wäre ein Vergleich hilfreich?
  • Willst du eine Entwicklung nachzeichnen?

Überlege dir dann, welche Reihenfolge logisch plausibel und rhetorisch sinnvoll ist. Wenn du eine Reihenfolge festgelegt hast, ordnest du das Material zu. Ein Unterthema kann den Stoff mehrerer Materialen des Dossiers aufnehmen. Am besten ordnest du das Material mit Stichpunkten an und verweist darauf, aus welchen Materialien (M1-M…) du dich bedienst. Beachte dabei das Format des Abschnitts, wie es sich aus der Aufgabe ergibt.

Für den Schluss überlegst du dir zunächst, welche Ziele du erreichen möchtest: Was soll dein Publikum jetzt wissen? Was davon ist zentral? Worüber soll es nachdenken? Welches Verhalten erwarte ich von ihm? Beantworte dann im Konzept folgende Fragen:

  • Welche Erkenntnisse sind besonders wichtig? Warum gerade jetzt und hier?
  • Welche Auswirkungen haben sie auf den Alltag, auch in der Zukunft?
  • Was erwarte ich nun von meinem Publikum?

Die Elocutio: Zur Ausarbeitung der Reinschrift

Die Einleitung muss dein Publikum ansprechen – sie muss inhaltlich interessant und stilistisch ansprechend sein. Einsteigen kannst du mit einer exemplarischen Szene, mit einer rhetorisch aufbereiteten Frage, mit einem Zitat aus dem Dossier, mit einem Paradoxon oder mit überraschenden Details. Eine persönliche Anrede des Publikums solltest du vermeiden! Deiner Hinführung zum Thema solltest du insgesamt nicht zu viel Platz einräumen. Möglichst knapp und konzise nennst du den konkreten Anlass des Schreibens, den du in den wissenschaftlichen, politischen und zeitgeschichtlichen Kontext einordnest. Achte darauf, dass du die Rahmenbedingungen nicht mit unnötigen Erfindungen ausschmückst. Die Wichtigkeit des Themas sollte deutlich hervortreten. Wichtig sind Themen, die gerade jetzt viele Menschen auf lange Zeit in vielen Bereichen ihres Lebens stark betreffen. Du kannst bereits andeuten, welche Themen du behandelst, damit dein Publikum sieht, welchen Mehrwert du ihm bietest.

Im Erläuterungsblock stellst du sicher, dass dein Publikum das Thema versteht, die maßgeblichen Fakten kennt, grundlegende Zusammenhänge durchschaut und die wesentlichen Begriffe versteht. Dazu musst du das Thema meistens eingrenzen und von verwandten Themen abgrenzen. Hier kannst du Missverständnissen und Verwechslungen vorbeugen.

Die weiteren Themenblöcke führst du mit einem Überblick ein: Wie viele Themen wirst du behandeln? Welche? Wie hängen sie zusammen? Jeder Themenblock beginnt mit einem Einführungssatz, dann wird das Material vorgestellt, ehe du eine Schlussfolgerung ziehst und zum nächsten Themenblock überleitest. Wie du die Binnengliederung jedes Blocks gestaltest, hängt von seiner Aufgabe ab – und auch dann hast du eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Wenn du zwei Dinge gegenüberstellen möchtest, dann kannst du sie blockweise oder im Reißverschlussverfahren anordnen. Zentral ist, dass deine Darstellung dem Leser Orientierung bietet. Hilfreich sind Strukturierungsmittel (einerseits, … / andererseits, …) und Überblickssätze. Diese „advance organizers“ lassen beim Lesen durchscheinen, welche Dinge im Folgenden behandelt werden („Zwei Kriterien sind hier besonders wichtig: …“).

Bei der Wiedergabe des Materials hast du die Wahl zwischen der Darstellung eigener Erkenntnisse, einer paraphrasierenden Wiedergabe fremder Gedanken und dem direkten Zitat. Wörtliche Zitate sind nur dort erforderlich, wo es auf den genauen Wortlaut ankommt. Du verwendest in deiner eigenen Darstellung den Indikativ (Präsens, bei Vorzeitigkeit: Perfekt), in der Wiedergabe fremder Gedanken brauchst du den Konjunktiv und andere Merkmale indirekter Rede. Wichtig ist, dass du sauber trennst zwischen Sachbericht und Meinungswiedergabe. Deine eigene Position lässt du aus dem Spiel! Halte dich mit Meinungsäußerungen zurück - abgesehen von begründeten Urteilen zur Sache.

Was deinen Stil angeht und die Haltung zum Publikum: Sachliche Information verlangt eine geradlinige Darstellung ohne stilistischen Schmuck. Metaphern und andere bildliche Mittel solltest du überprüfen: Brauchst du sie wirklich? Deine Sätze sollten möglichst klar gegliedert sein, verzichte auf Passivkonstruktionen und komplexe Satzgefüge (Hypotaxe). Gib jedem Gedanken einen Hauptsatz und verstecke nicht drei Ideen in einem Nebensatz. Der erste Satz bereitet immer schon den nächsten vor. Beachte bitte: Strukturierungsmittel sind hilfreich, du solltest aber in erster Linie gut geordnete Sätze vorlegen. Dein Wortschatz ist fachlich korrekt, aber zugänglich und konkret. Verwende einfache Verben und stelle sie an eine Stelle weit vorne im Satz. Nominalstil verführt dazu, im Ungefähren zu bleiben. Monotonie vermeidest du durch rhetorische Gliederungsmittel: Klimax, Parallelismus, Antithese. Auch klangliche Mittel wie Anaphern können dem Publikum Orientierung bieten. Dein Publikum sprichst du in der Regel nicht direkt an, wo es die Aufgabe nicht erfordert. Du begibst dich auf die Ebene deines verständigen, aber mäßig informierten Publikums, nimmst die Rolle eines respektvollen Begleiters ein und führst die Leserschaft durchs Thema, ohne es von oben herab zu belehren, zu ermahnen oder zu verurteilen.

Den Schluss machst du als Fazit kenntlich: „Abschließend kann man feststellen: …“ / „Welche Schlussfolgerungen liegen nahe? …“. Im Schlussteil erwartet das Publikum eine Zusammenfassung, also, dass du die wesentlichen Punkte noch einmal aufführst. Dabei soll es aber nicht bleiben! Es soll deutlich werden, welche Punkte besonderes Gewicht haben und wie sie mit den anderen zusammenhängen. Auch der Kontext ist hier von Bedeutung: Welche gesellschaftlichen Großthemen werden hier berührt? Welche aktuellen Entwicklungen sollte man berücksichtigen? Nicht unterschätzen sollte man die Bedeutung des Themas für das Publikum. Letztlich ist für dein Publikum zentral, was sich im Alltag nun ändert – und wie man darauf am besten reagiert. Dein Publikum will wissen: Welche Perspektiven sind hilfreich? Welche Verhaltensweisen sind sinnvoll? Ganz am Ende kannst du den Anfang des Aufsatzes aufgreifen, um deine Darstellung aus der Sicht des Lesers abzurunden. So entsteht eine rhetorische Klammer.

Der Korrekturdurchgang

Hast du die Reinschrift abgeschlossen, nimm dir Zeit für einen ausführlichen Korrekturdurchgang. Da du deinen Aufsatz bereits in einem gut gegliederten Konzept vorbereitet hast, solltest du jetzt nichts mehr umstellen müssen. Du kannst dich auf sprachliche Fehler konzentrieren und letzte Ungereimtheiten beseitigen. Es ist sinnvoll, sich den Aufsatz noch einmal durchzulesen – subvokal laut, als ohne Stimmeinsatz, damit du rhythmische Probleme nicht hörst und verwirrende Satzkonstruktionen bemerkst. Möglicherweise hast du dir im Vorfeld eine Liste möglicher Fehlerquellen eingeprägt, die du jetzt abrufen kannst.

Musteraufsatz

Sprache und Inklusion: Zum besseren Verständnis

Unsere Schule ist nicht „behindert“ – und sie behindert auch nicht. Dieser Grundsatz leitet einen Beschluss der Schulleitung, der uns auch sprachlich auf neue Wege führt. Das veränderte Leitbild der Schule ist für alle da, hilft aber vor allem Mitschülern, die eine Behinderung haben. Was kommt auf uns zu? Wir werden uns sprachlich auf besondere Bedürfnisse einstellen, wir werden aber auch anders über Behinderung sprechen.

Weswegen sollten wir uns um inklusive Sprache bemühen? In einem Vortrag vom 2.11.2011 in Berlin betont Norbert Höcke, Mitglied im Vorstand der GEW, Inklusion sei der „völkerrechtliche Maßstab für ein Leben in Würde und Freiheit aller Menschen“. Zu gelungener Inklusion gehöre auch eine inklusive Sprache. Er stützt sich dabei auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948, auf die UN-Kinderrechtskonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention. Halten wir fest: Sprachliche Inklusion ist keine besondere Vergünstigung für Schüler mit Behinderung, wenn wir uns sprachlich anpassen – es ist ihr gutes Recht. Eine Umfrage der EMNID, veröffentlicht 2015 in der „Welt“, zeigt zudem, dass sich ein großer Teil der Eltern eine inklusive Schule wünscht. Damit dürfte klar sein, dass auch an der sprachlichen Inklusion gearbeitet werden muss.

Allerdings sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass kein Mensch ausschließlich behindert ist und es große Unterschiede beim Grad der Behinderung gibt und dabei, auf welche Fähigkeiten sie sich bezieht. Eine Umfrage der EMNID im Rahmen der Jako-O-Jugendstudie von 2015 unterscheidet beispielsweise körperliche von geistigen Behinderungen und solche wiederum von Verhaltensauffälligkeiten. Wenn wir über Sprache und Inklusion nachdenken, dürfen wir diese Vielfalt nicht aus dem Blick verlieren.

Wie kann inklusive Sprache aussehen? Es sind besonders zwei Dimensionen, die inklusive Sprache ausmachen. Erstens: Wie sprechen wir über Menschen mit Behinderung? Zweitens: Wie gestalten wir Sprache barrierefrei?

Die erste Dimension erfasst die Art und Weise, wie wir Behinderungen benennen. Viele Jugendliche tun sich schwer damit, mit ihren Mitschülern unbefangen über Behinderungen zu sprechen. Das liegt zum einen daran, dass man Mitschüler mit einer Behinderung nicht verletzen oder bloßstellen möchte. Zum anderen werden manche Begriffe in der Jugendsprache abwertend benutzt werden. So sagt man beispielsweise, eine Regel sei „voll behindert“, wenn man sie ablehnt. Wie macht man es richtig? Der Aktivist Raul Krauthausen, der selbst mit der Glasknochenkrankheit lebt, empfiehlt in seinem Blogbeitrag „Ungenaue Sprache hilft niemandem“ von 2019, keine Beschönigungen zu verwenden. Er sei nicht „besonders“ oder „speziell“, sondern wolle lediglich dieselben Rechte genießen wie nichtbehinderte Mitbürger. Behinderungen darf man also auch so nennen. Es sei aber sinnvoll, mit den Menschen selbst ins Gespräch zu kommen. Dann wird man auch erfahren, dass ein Kind mit einer Gehbehinderung nicht an seinen Rollstuhl „gefesselt“ ist, sondern dass es lediglich damit fährt. Vielleicht wird man auch daran erinnert, dass ein Kind mit Trisomie kein „Downie“ ist. Es geht hier nicht darum, anderen ein bestimmtes Framing vorzugeben – sondern zu erkennen, was im Gespräch über Behinderungen schädlich und was förderlich ist. 

Die zweite Dimension betrifft unsere Sprache selbst. Wenn wir sicherstellen wollen, dass möglichst viele Menschen ohne Hürden an unserer Schule zurechtkommen, dann sollten wir uns um verständliche Sprache bemühen. Die Schulleitung formuliert ihre offiziellen Verlautbarungen deswegen in Leichter Sprache. Was darf man darunter verstehen? Leichte Sprache ist eine sprachliche Haltung, die Schwierigkeiten abbaut und damit für möglichst viele Menschen zugänglich ist. Die Bildungsforscherin Bettina Zurstrassen fasst in ihrem Artikel „Inklusion durch Leichte Sprache?“ von 2015 einige Merkmale Leichter Sprache zusammen. Im Hinblick auf den Wortschatz fällt auf, dass vorwiegend einfache Wörter gebaucht werden und längere Wörter durch Bindestriche unterteilt. Dem entspricht auf der Ebene des Satzbaus, dass man auf komplizierte Satzgefüge verzichten soll. Der Text sei klar zu gliedern, Sonderzeichen müsse man vermeiden und bei Schrifttyp und Schriftgröße sei Barrierefreiheit besonders wichtig. Im schulischen Alltag werden uns ab jetzt also Texte in Leichter Sprache begegnen.

Zusammenfassend sei gesagt: Die Änderungen sind zwar geringfügig, haben aber eine große Wirkung. Wenn wir dem neuen Leitbildung entsprechen wollen, müssen wir sprachlich achtsamer werden. Einerseits sollten wir Behinderungen auch so nennen – abwertende und beschönigende Begriffe werden der Sache und dem Menschen nicht gerecht. Zum anderen sollte uns auffallen, wo wir mit Texten Barrieren erzeugen – und wie wir sie abbauen können. Die Schulleitung versucht, mit Leichter Sprache möglichst vielen Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Entscheidend ist nicht die möglichst treffsichere Umsetzung von Sprachregeln, sondern mehr Achtsamkeit bei der Gestaltung leicht zugänglicher Texte. Wenn wir diese beiden Kriterien berücksichtigen, sind wir auf dem Weg zur inklusiven Schule deutlich vorangekommen. Unsere Sprache prägt unsere Wahrnehmung von Lernenden mit einer Behinderung: Sprachliches Handeln kann Brücken bauen und Mauern einreißen. Wenn wir uns so verhalten, können wir tatsächlich sagen: Unsere Schule behindert nicht – und „behindert“ ist sie keinesfalls.