Emotionen und ihre Bedeutung für das Schauspiel

Für gutes Schauspiel sind starke Emotionen unverzichtbar: Im Ausdruck dessen, was auf der Bühne geschieht, aber auch im Eindruck dessen, er vor der Bühne sitzt.

Was ist eine Emotion?

  • Emotionen lassen sich im limbischen System verorten, einem entwicklungsgeschichtlich sehr alten Teil des menschlichen Gehirns;
  • Wenn sich eine Emotion entwickelt, werden Neurotransmitter ausgeschüttet;
  • Emotionen zeigen sich auch am Körper (Erröten bei Scham, Einziehen des Kopfes bei Angst): Dieser Umstand zeigt sich, wenn wir über Gefühle sprechen: Etwas liegt uns im Magen, unser Herz hüpft vor Freude, wir haben Schmetterlinge im Bauch;
  • Insbesondere an den Muskeln lassen sie sich nachweisen (was beispielsweise bei der Überführung von Lügnern eingesetzt wird): Mikroexpressionen verraten viel über unseren emotionalen Zustand;
  • diese körperlichen Wirkungen dienen uns dazu, uns der Situation anzupassen;
  • im Alltag erkennen wir Emotionen vor allem an der Stimme und am Blick;
  • Emotionen steuern das menschliche Verhalten; auch deshalb zielen viele Regeln darauf, Emotionen zu regulieren und zu unterdrücken;
  • sie sind stärker ausgeprägt, wenn die Situationbedeutsam ist;
  • Emotionen kann man wahrnehmen und beeinflussen, Affekte nicht;
  • Auf den amerikanischen Anthropologen Paul Ekman und sein Facial Action Coding System geht der Nachweis von sieben Basisemotionen zurück, die man förmlich am Gesicht ablesen kann: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung;
  • Emotionen können sozial erwünscht sein (Freude beim Beschenkten) oder unerwünscht (Schadenfreude);
  • Emotionen wirken sich auf unser Gedächtnis aus: Was emotional bedeutsam ist, das merken wir uns besonders gut;
  • Was emotional bedeutsam ist, erregt unsere Aufmerksamkeit;
  • Darüber hinaus beeinflussen Emotionen unser Urteilsvermögen und unseren Erfolg beim Lösen von Problemen.

Welche Bedeutung haben Emotionen im Schauspiel?

  • Schon sehr früh in der Theatergeschichte wird die Bedeutung von Emotionen erfasst: In seiner Poetik weist Aristoteles darauf hin, dass Furcht und Rührung zur Reinigung des Zuschauers beitragen: Sie lösen eine Katharsis
  • Im Bereich der Poetik und Rhetorik sind Emotionen wichtig: Texte sollen untere anderem auch bewegen (movere).
  • Für die Wirkung beim Publikum ist es wichtig, Emotionen glaubhaft zu vermitteln; dabei gibt es zwei Ansätze: der heiße Schauspieler empfindet (wie von Stanislawski gefordert) die darzustellende Situation und agiert sie aus; der kalte Schauspieler stellt sie dar, ohne sie selbst zu empfinden (wie von Brecht empfohlen).
  • Weil Menschen von Anfang an soziale Wesen sind und schon kurz nach der Geburt die Gesichter in der Umgebung zu deuten beginnen, sind Zuschauer nicht leicht zu täuschen – ein zu schwaches oder zu starkes Ausagieren von Emotionen wird oft beanstandet.
  • Bestimmte Emotionen gelten dabei als besonders schwierig nachzuahmen, besonders, wenn sie stark körperlich wirken (etwa das Weinen);
  • Im Film kommt der mimischen Darstellung von Emotionen eine besondere Rolle zu (Möglichkeit der Nahaufnahme), im Theater werden Emotionen vor allem gestisch dargestellt (Weitenwirkung).
  • Im Theater gibt es zusätzlich zu Ausdrucksmitteln, die anthropologisch konstant sind und überall verstanden werden, kulturspezifische Gebärden zum Ausdruck von Emotionen;
  • Auch der Gang (Schrittlänge, Haltung beim Gehen, Rhythmus) kann zum Gefühlsausdruck genutzt werden;
  • Die Emotionen des Zuschauers beeinflussen auch Farben (Kulisse, Beleuchtung) – besonders emotionsfördernd wirkt sich Musik
  • Weil es im besonderen Maß darauf zielt, Emotionen freizusetzen, wird dem Schauspiel oft ein hoher therapeutischer Wert zugeschrieben.

Übungen zum emotionalen Ausdruck

  • Partnerübung mit Papierball: Was wisst ihr über Emotionen? Diese Übung ist im Grunde eine Geschicklichkeits- und Kommunikationsübung. Sie regt zugleich dazu an, das Weltwissen über Emotionen austausche. Zwei Schauspieler*inn*en stehen sich gegenüber und werden einander einen Papierball zu, während sie sich über ihr Wissen zum Thema Emotionen austauschen.
  • Kontrastübungen: Viele Übungen lassen Kontraste zwischen Mitteilung und Emotion entstehen. So lassen sich emotionsbefrachtete Texte teilnahmslos lesen oder stark emotionale Augenblicke gleichgültig darstellen. Natürlich geht es auch anders herum: langweilige Sachtexte oder banale Alltagsvorgänge lassen sich emotionalisieren.
  • Zuweisungsübungen: Schauspieler müssen häufig Emotionen darstellen, die sie nicht empfinden. Denkbar ist, Emotionen unterschiedlichen Schauspielern zuzuweisen. Dan können die Schauspieler andere mit ihrer Emotion anstecken, indem sie ihre Mitspieler berühren.
  • Steigerungsübungen: Emotionen lassen sich auf der Bühne schrittweise steigern. So kann der einzelne Schauspieler Emotionen steigern oder abschwächen; denkbar ist auch dass Partner stufenweise den emotionalen Ausdruck des Partners steigern („Drübersetzen“).
  • Verlaufsübungen: Handlungsumschwünge erfordern manchmal ein Umschalten von Emotion zu Emotion. Üben lässt sich das durch Verlaufsübungen: Texte können so gelesen werden, dass Emotionen passagenweise wechseln.
  • Übungen am Requisit: Emotionen können auch am Requisit ausgedrückt werden. So kann ein Papierball beim Ausdruck unterschiedlicher Emotionen helfen: Ein simuliertes Zaubern löst Überraschung aus, ein vergebliches Versteckenwollen erzeugt Nervosität, man mag den Papierball vor Wut herumwerfen oder in der Faust zerdrücken, vielleicht zeigt man Freude über ein kostbares Weihnachtsgeschenk oder ekelt sich davor. Insbesondere eine pantomimische Darstellung schafft Aufmerksamkeit für Emotionen.
  • Übungen zum Gang: Viele Emotionen lassen sich auch am Gang darstellen. Ein hüpfender Gang verdeutlich Freude, ein rasches, stampfendes Auftreten symbolisiert Wut…!
  • Körperübungen: Emotionen erfassen nicht nur unseren Körper, sondern können auch vom Körper ausgehen. Texte lassen sich mit hoch- oder herabgezogenen Mundwinkeln sprechen – interessant ist die jeweilige Wirkung. Zorn lässt sich durch Konfrontationsübungen (Wegschieben, Armdrücken) schulen, Freude durch dezentes Kitzeln üben.
  • Gruppenübungen: Jeder hat seine eigene Art, Emotionen auszudrücken. In der Gruppe lassen sich Emotionen gemeinsam darstellen. Etwa so: Ein Schauspieler gibt körperlich eine Emotion vor, die anderen übernehmen sie. Dann kommt die Stimme hinzu. Denkbar ist auch, dass sich zwei Gruppen gegenüberstehen und einander abwechselnd eine bestimmte Emotion zeigen. Das Ganze lässt sich auch als Wettspiel inszenieren

Übungstexte

Wertsack und Beutel

(Gleichgültig) Der Wertsack ist ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung im Postbeförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil (wütend) sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden. (heiter) Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die zur Bezeichnung des Wertsackes verwendete Wertbeutelfahne auch (zweifelnd) bei einem Wertsack als Wertbeutelfahne bezeichnet wird und nicht als Wertsackfahne, Wertsackbeutelfahne oder Wertbeutelsackfahne.
(Drohend) Sollte es sich bei der Inhaltsfeststellung eines Wertsackes herausstellen, daß ein in einem Wertsack versackter Wertbeutel statt im Wertsack, in einem der im Wertsack versackten Wertbeutel hätte versackt werden müssen, (traurig) so ist die in Frage kommende Versackstelle unverzüglich zu benachrichtigen. (Spöttisch) Nach seiner Entleerung wird der Wertsack wieder zu einem Beutel und ist auch bei der Beutelzählung nicht als Sack, sondern als Beutel zu zählen. (Pathetisch) Verwechslungen sind im Übrigen ausgeschlossen, weil jeder Postangehörige weiß, daß (glücklich) ein mit Wertsack bezeichneter Beutel kein Wertsack ist, sondern ein Wertsackpaket.

Eduard Mörike (1804-1875): Er ist’s

 Träumerisch – leidenschaftlich – ängstlich – enthusiastisch – von sich selbst überzeugt - melancholisch

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!